Ratgeber Flugangst bei Vögeln hat oft körperliche Ursachen

Flügel ausbreiten und los: Viele Heimtiervögel haben genau damit Probleme.

Vögel müssen in Bewegung bleiben. Ansonsten verkümmert irgendwann ihre Muskulatur.

Vögel müssen in Bewegung bleiben. Ansonsten verkümmert irgendwann ihre Muskulatur.

Foto: JULIAN STRATENSCHULTE/TMN

Er sitzt an der Käfigtür, tippelt nach vorne, guckt skeptisch über den Rand — und tippelt wieder zurück. Es ist gar nicht so selten, dass sich Papageien, Wellensittiche und andere Vögel vor dem Fliegen fürchten. Die Gründe dafür können vielfältig sein — beispielsweise ein neues, ungewohntes Umfeld, sagt Sonja Kling, Fachtierärztin für Ziervögel in Berlin. "Darauf reagieren sie ängstlich." Demnach kann es mehrere Wochen dauern, bis sich die Tiere in ihrem neuen Zuhause sicher fühlen und auch auf Entdeckungstour gehen, sagt Kling. "Diese Scheu ist von Vogel zu Vogel anders ausgeprägt und hängt von seiner Aufzucht, seinem Zahmheitsgrad, seiner Sozialisierung und seinen Erfahrungen ab."

Katzen im Haushalt können eine weitere Ursache dafür sein, dass sich die gefiederten Schützlinge nicht aus ihrem Käfig trauen, erklärt Daniela Rickert, Vorsitzende des Arbeitskreises Heimtierhaltung in der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) in Bramsche. "Bei Wellensittichen oder Papageien kann es immer wieder vorkommen, dass sie verunsichert sind." Anders verhielten sich Kanarienvögel. "Die sind meist frecher und neugieriger — sie lassen sich nicht so schnell einschüchtern", sagt Rickert. Ein weiterer Grund sind Krankheiten: Atemwegs- und Herzerkrankungen, Gefiederstörungen, Knochen- oder Gelenkerkrankungen und Übergewicht können die Vögel am Fliegen hindern, erläutert Kling. "Da Vögel Schwarmtiere sind, verbergen sie Krankheitszeichen: Wenn sie Angst davor haben, abzustürzen oder bei Fußproblemen nicht sicher landen zu können, vermeiden sie möglichst jeden Flugversuch." Daher sollte sicherheitshalber zunächst ein Tierarzt den flugunwilligen Vogel untersuchen, um eventuell verborgene Erkrankungen auszuschließen.

Um Fußverletzungen von vornherein zu vermeiden, rät der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) zu Naturästen in unterschiedlichen Stärken als Sitzstangen. "Stangen aus Kunststoff sind eher ungeeignet, da durch den immer gleichen Durchmesser dieselben Stellen der Füße belastet werden, was zu entzündlichen Geschwüren und einer Fehlstellung der Krallen führen kann", sagt Claas Sascha Züpke vom ZZF.

Tiere, die außerdem aus schlechter Haltung kommen, seien körperlich oft nicht mehr zum Fliegen fähig, weiß Rigungckert. "Ich habe einmal einen Kakadu behandelt, der 25 Jahre in einem Käfig verbringen musste. Seine Muskulatur war so stark verkümmert, dass er die Flügel gar nicht mehr richtig ausbreiten konnte."

Damit der Vogel nach und nach zum Freiflug durch das Zimmer animiert wird, empfiehlt Rickert, ihn mit Leckerbissen zu locken. "Vögel sollten keinesfalls losgescheucht werden, sonst gewinnt man ihr Vertrauen nicht." Effektiver sei die Methode, Futter an verschiedenen Stellen außerhalb der Voliere zu verteilen. "Die Vögel müssen immer in BeweRigung bleiben, damit sie ihre Muskulatur aufbauen", sagt Rickert. Das gelte nicht nur für junge und ängstliche Tiere, sondern auch für verletzte. "Für sie eignet sich auch eine Vogeltreppe, auf der eine Futterspur gelegt wird." So erreichen sie die Leckerbissen mit nur wenigen Flügelschlägen. Hilfreich sind Kling zufolge auch gut beleuchtete Räume: "Vögel fliegen nicht bei schlechter Sicht." Möglichst viele flugfähige und flugwillige Artgenossen könnten ebenfalls zum Mitfliegen anregen, da auf diese Art das Schwarmverhalten gefördert werde. "Weitere Möglichkeiten sind eine große, hoch gelegene und bequeme Ausflug- und Landeklappe an der Voliere, sowie mehrere interessante Landeplätze außerhalb des Käfigs." Diese sollten mit Futter oder Spielzeug bestückt werden.

Einen weiteren Tipp gibt der ZZF: "Die meisten Vögel wie Kanarienvögel legen großen Wert auf Körperpflege, deshalb sollte ihnen in der Voliere eine Badewanne zur Verfügung stehen", erläutert Kathrin Handschuh, Pressereferentin beim ZZF. Denn nur mit einem gepflegten Gefieder bleibt den Tieren die Flugfähigkeit erhalten.

Für einen ungehinderten Freiflug sollten Halter außerdem darauf achten, alle Gefahrenquellen so gut wie möglich aus dem Weg zu räumen. Dazu zählen etwa heiße Herdplatten, geöffnete Fenster oder Gardinenkordeln, an denen sich die Vögel erdrosseln können, sagt Handschuh. Ist erst einmal die Motivation zum Fliegen geweckt, sei es ideal, wenn die Vögel vier Stunden pro Tag in der Wohnung umherfliegen können.

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