Koch-Trend Ganz und gar

Nicht nur Filets gehören auf den Teller, sagt Spitzenkoch Steffen Kimmig. Er empfiehlt  in seinem Buch „Die ganze Kuh“, auch ungeliebte Teile wie Nierchen oder Backe zu verarbeiten.

 Ein Sauerbraten von der Ochsenbacke (aus dem Buch „Die ganze Kuh“).

Ein Sauerbraten von der Ochsenbacke (aus dem Buch „Die ganze Kuh“).

Foto: Olivia Verlag, Foto: Dirk Tacke

Fleisch essen ohne Reue – dieser Wunsch treibt immer mehr Menschen um. Auch aus diesem Grund boomen Biosiegel, signalisieren sie doch eine artgerechtere Haltung. Vielen geht das aber nicht weit genug, Tierschützer beispielsweise kritisieren den Entfremdungsprozess, den Fleisch durch die industrielle Verarbeitung durchläuft – liegt es erst einmal hübsch eingeschweißt im Supermarktregal, erinnert nichts mehr an das Tier, das dafür gestorben ist. Auch die Art des Fleisches gibt darüber keine Auskunft, in der Regel handelt es sich um Filet, Steak oder Hack. An diesem Punkt setzt auch Spitzenkoch Steffen Kimmig an: Mit seinem Kochbuch „Die ganze Kuh“ wirbt er dafür, das Rind komplett zu verwerten, so wie es die Bauern in seiner Kindheit auch getan haben. „Nose to Tail“ lautet das Prinzip – von der Nase bis zum Schwanz landet alles auf dem Teller.

Kaum vorstellbar, wenn man sich die Statistiken betrachtet. Danach werden heute nur noch rund 50 Prozent eines Nutztiers nachgefragt, und zwar vor allem das vermeintlich hochwertige Fleisch, nämlich Filets und Steaks. Der Verbrauch von Innereien beispielsweise ist von 1,5 Kilogramm pro Person im Jahr 1984 auf rund 100 Gramm im Jahr 2015 zurückgegangen. Früher gängige Gerichte wie „Saure Nierchen“, „Saure Kutteln“ (aus dem Kuheuter oder Pansen), „Saures Lüngerl“ oder „Labskaus“ (gepökelte Rinderbrust) finden sich weder auf den Menüs der Restaurants noch auf dem heimischen Speiseplan. Durch die industrielle Produktion muss heute niemand mehr auf diese billigen „Abfallprodukte“ zurückgreifen, weil sich jeder ein Steak leisten kann. Für Kimmig eine bedenkliche Entwicklung.

Mit seinem Kochbuch will er gegensteuern. Alle Gerichte sollen alltagstauglich sein, sind dementsprechend bewusst einfach gehalten und lassen sich mit gängigen Zutaten zubereiten. Kimmig vermittelt die einzelnen Schritte anschaulich und erklärt sowohl Begrifflichkeiten als auch die wichtigsten Handgriffe. Dazu gibt es kleine Fotoexkurse, in denen alle Körperpartien der Kuh verortet und ihre mögliche Verwendung in der Küche beschrieben werden. Von Hals und Nacken über Zunge und Backen bis zu Nieren und Schwanz, für fast alles gibt es ein geeignetes Rezept. Insgesamt 90 versammelt das Buch, vom „Geschmorten Rinderbauch mit Sherrysauce, Waldpilzen und Rotkohl“ über „Gaisburger Marsch mit Rinderbrust und Meerrettich“ bis zu „Gefülltem Kalbsrollbraten mit Tomaten, Pinienkernen und Thymian“ – allesamt so ansprechend fotografiert, dass man direkt loslegen möchte.

Fehlt nur noch das passende Fleisch, das sich ja nun eben nicht an der nächsten Kühltheke beschaffen lässt. Auch hier will Kimmig mit seinem Buch ein Umdenken anstoßen – nicht nur hin zu einem sorgsameren Umgang mit dem Fleisch, sondern auch zu mehr Verantwortung für die Kreatur. Nur wer direkt aus der Hofschlachtung kauft oder bei Metzgern, die zuverlässig Auskunft geben können über ihre Lieferanten, kann sich ein Bild machen von der Haltung der Tiere.

Das ist auch Philipp Brosi von der gleichnamigen Metzgerei in Düsseldorf wichtig. Der Fleischermeister hat sich zudem zum Fleisch-Sommelier ausbilden lassen, um gerade auch die Partien des Tiers zu würdigen und an den Kunden zu bringen, die nicht so große Wertschätzung erfahren. „Ob Schwein oder Kuh, das ganze Tier ist hochwertig, nicht nur das Filet“, sagt Brosi. Mittlerweile gebe es in der Metzgerei vermehrt Nachfragen beispielsweise nach Innereien oder anderen Partien. Als Beispiel für einen Teil der Kuh, aus dem sich schmackhafte Gerichte zubereiten lassen, nennt Brosi den Nierenzapfen. Wichtig sei es dabei, das Fleisch nach der Schlachtung reifen zu lassen. „Nierenzapfen waren jahrelang aus den Auslagen der Metzger verschwunden“, sagt Brosi. Das ändere sich gerade wieder.

Ebenfalls eine Renaissance erlebt haben die Ochsenbäckchen, die, wie der Name schon sagt, aus der Backe des Rinds stammen. Weil die Kaumuskulatur sehr sehnig sei, müssten die Bäckchen aber lange geschmort werden. „Dafür wird man mit einem unheimlich intensiven Geschmackserlebnis belohnt“, sagt Brosi. Auch intensiv, aber deutlich gewöhnungsbedürftiger sei dagegen der Geschmack und der Geruch von Pansen. Brosi: „Das muss man schon mögen.“ Was ihn nicht daran hindert, in der Metzgerei das gesamte Tier zu verwerten.

Hinter Trends wie „Cow-Sharing“ oder „Crowd-Butching“ steht derselbe Gedanke. So bieten etwa Internet-Start-ups wie kaufnekuh.de oder besserfleisch.de das Gefühl, nah am Erzeuger zu sein. In beiden Fällen funktioniert das Prinzip so, dass die Portale mit festen, zertifizierten Höfen zusammenarbeiten. Angeboten werden unterschiedlich zusammengesetzte Fleisch-Pakete, und erst wenn ausreichend viele Bestellungen eingegangen sind, wird das Rind geschlachtet. Dabei betonen beispielsweise die Betreiber von besserfleisch.de, dass auch die Innereien des Tiers verzehrt oder an Restaurants und Futtermittelhersteller verkauft werden. Selbst die Kuhfelle werden vermarktet, zumindest aber gegerbt. Und wer Knochen für einen Fond oder die Suppe haben will, kann auch die bekommen. Übrig bleibt von der Kuh am Ende: nichts.

Steffen Kimmig, „Die ganze Kuh: 90 Rezepte für Feinschmecker“, Olivia Verlag, 224 S., 27,90 Euro

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