Ernährungstrends So essen wir in Zukunft

Was kommt künftig auf den Teller – und ist es überhaupt noch ein Teller? Trendforscherin Karin Tischer prophezeit: Wir werden nur noch aus Schüsseln essen ohne Messer und Gabel. Zudem werden Markthallen als kulinarischer Treffpunkt immer wichtiger, und Snacks ersetzen die Mahlzeiten.

 Einkaufsmöglichkeit und Restaurant: Markthallen, wie hier der Time Out Market in Lissabon, werden zum kulinarischen Treffpunkt.

Einkaufsmöglichkeit und Restaurant: Markthallen, wie hier der Time Out Market in Lissabon, werden zum kulinarischen Treffpunkt.

Foto: imago images /Tom Maelsa/Tom Maelsa

Gesunde Ernährung ist und bleibt ein Mega-Thema – auch 2020. Allerdings ist der Konsument in der Beziehung eine gespaltene Persönlichkeit. „Der Verbraucher hat immer gute Vorsätze, ist dann aber oft nicht so motiviert, sich konsequent daran zu halten“, sagt Karin Tischer. Sie ist Trendforscherin und als Inhaberin des Forschungs- und Entwicklungsinstituts food & more in Kaarst rund um den Globus unterwegs, um Trends aufzuspüren. Als Beispiel für den inkonsequenten Verbraucher nennt sie die fettreduzierte Margarine und das Glas Nutella, die beide erst im Einkaufskorb und dann gemeinsam auf einer Scheibe Brot landen.

Ebenso wichtig ist den Verbrauchern die Reduktion von Fett, Salz und Zucker – aber bitte nur bei gleichem Geschmack. „Konsumenten sind nicht bereit, dafür auf Geschmack und Qualität zu verzichten“, sagt Tischer, die mit ihren Mitarbeitern systemtaugliche Konzepte, Innovationen und Rezepturen für Unternehmen entwickelt. Regelmäßig erstellt sie den „Foodzoom“ für die Gastronomie-Messe „Inter­norga“, in dem sie neue Trends zusammenfasst und in Trendvorträgen darüber berichtet. Als große Themen hat Karin Tischer ausgemacht:

Plantarismus Die stärker pflanzenorientierte Ernährung ist die Zukunft. Mitunter könnte man den Eindruck haben, schon jetzt ernähren sich viele Menschen vegan – doch dem ist nicht so, wie die Food-Expertin betont. 1,6 Prozent der Deutschen isst vegan, 9,7 Prozent vegetarisch, 13 Prozent bezeichnen sich als Flexitarier, und knapp jeder Zehnte gibt an, seinen Fleischkonsum reduzieren zu wollen. Dass dieses Thema trotzdem so präsent in der Gesellschaft sei, führt sie darauf zurück, dass Essen auch Ausdruck des Lebensstils sei. „Es gibt in diesen Gruppen eine starke Profilierung über die Ernährung.“ So würde sich mancher schon damit vorstellen, wer er ist und was er isst. „Ich heiße Florian und bin Veganer.“

Dennoch bleiben Pflanzen auch für Fleischesser als Proteinquelle interessant. So lösen Produkte aus Erbsen oder Lupinen anderen Fleisch­ersatz ab. Nur für Nahrungsmittel mit Insekten sieht Tischer noch einen langen Weg. Und dabei ist es wahrscheinlicher, dass Produkte aus Insektenmehl erfolgreich werden, als dass Heuschrecken als Brotbelag in Mode kommen.

Snacking Isst du noch oder snackst du schon? Das wird die Frage der Zukunft sein, denn die klassische Mahlzeit wird abgelöst durch Snacks. „Es wird gegessen, wann und wie es den Leuten in ihren Tagesablauf passt.“ Vieles davon gibt es auch „to go“, also für den Konsum unterwegs. Problematisch bleibt dabei natürlich der Verpackungsmüll, das sehen viele Verbraucher zwar kritisch, hält sie aber dennoch nicht ab. „Snacken ist einfach cool und en vogue“, sagt die Expertin. Hier ein schneller Kaffee, dort ein Smoothie zum Frühstück, für den kleinen Hunger einen Wrap oder eine Focaccia zwischendurch. Essen wird mobil und findet nicht mehr in den eigenen vier Wänden statt. Passend dazu wird Streetfood immer populärer und erobert auch die etablierte Gastronomie.

Digitalisierung In der Gastronomie ist der Computer mittlerweile genauso wichtig wie der Herd. „Das ist eine ganz rasante Entwicklung“, betont Tischer. „Digitalisierung macht hungrig.“ Das zeigt sich zum Beispiel in dem wachsenden Außer-Haus-Markt mit Lieferdiensten, bei denen es zwar eine Marktbereinigung gibt, die aber immer beliebter werden. Auch etablierte Unternehmen entdecken das Thema. So liefert die Bäckereikette Kamps die per App bestellten Brötchen sogar in den Park. McDonald’s in Schweden setzt beispielsweise auf eine smarte Picknickdecke, auf der man mittels eines QR-Codes seine Bestellung und Standort mitteilen kann und dann das georderte Happy Meal auf die Decke geliefert bekommt.

Aber auch kleine technische Gimmicks sind beliebt. Die britische Kette Costa Coffee bietet einen Becher an, mit dem man sogar bezahlen kann. „Die Tasse funktioniert wie eine Bankkarte“, erklärt Tischer. Und Hello Fresh setzt auf intelligente Kühlschränke, aus denen im Büro Mitarbeiter gesunde Snacks und Getränke kaufen können. Bezahlt wird via Paypal.

Technik und digitale Helfer sollen aber auch den Fachkräftemangel in der Gastronomie lindern. So gibt es in Moers das Restaurant „Neue Epoche“, in dem Roboter die Speisen und Getränke zu den Gästen bringen. In den USA hat das Restaurant „Spyce“ Köche durch Roboter ersetzt: Vor den Augen der Gäste werden in Induktions-Zylindern Bowls zubereitet.

Saucen Sie werden das Thema der nächsten Jahre, dank „einer Vielfalt, die noch nie so groß war“, stellt Karin Tischer fest. Vor allen Dingen gibt eine gute Sauce jedem Gericht Individualität, Profil und Charakter. Seien es rauchige oder fruchtige Aromen, orientalische oder asiatische – ohne Dip, Topping oder Paste geht es kaum. Der Hype um Grillen und Barbecue ebbt nicht ab, auch hier bringt selbst gemachter Ketchup den Unterschied.

Essen bleibt sozial und wird legerer Mahlzeiten müssen gut schmecken und gut aussehen, damit sie in den sozialen Medien vorzeigbar sind. Essen bleibt damit ein höchst soziales Gut. Die positive Nachricht trotz aller Individualisierung: „Menschen mögen immer noch andere Menschen zum Essen treffen“, betont Karin Tischer.

Besonders in den Restaurants oder Hotels geht es immer lockerer zu. Das betrifft aber nicht nur Interieur und Kleidung, sondern auch die Manieren. „Aus der Sensorik wissen wir, dass die Menschen immer bequemer werden, was Abbeißen und Kauen angeht“, sagt Tischer. Der Mensch entwickelt sich zunehmend zu einem „legeren Esser“, der sein Essen gerne nur noch mit Löffeln und Stäbchen aus einer Schüssel isst, direkt püriert als Smoothie inhaliert oder nur mit den Händen sich das Essen zum Mund führt – wie beim Burger. Das wird laut Tischer womöglich eine neue, erstrebenswerte Kulturtechnik: einen Burger mit einer Hand tropffrei essen zu können.

Markthallen Essen wird zur Freizeitbeschäftigung und so ein Teil des Einkaufserlebnisses. Karin Tischer geht sogar so weit zu sagen. „Essen ist das neue Shoppen.“ Immer mehr Geschäfte setzen daher auf kleine Foodcourts, die zum Verweilen einladen. Beim Blick in manche Innenstädte meint der Beobachter ohnehin, die Leute gehen schon jetzt nur noch in die Stadt, um neben dem Schaufensterbummel eine Kleinigkeit zu essen.

Ein Mega-Thema, da ist sich Karin Tischer sicher, werden Markthallen sein. Schon jetzt gibt es in Metropolen wie Rotterdam, Paris und Lissabon Orte, an denen sowohl hochwertige Lebensmittel verkauft als auch direkt konsumiert werden können. Handwerk, Produkte und Wissen rund um Lebensmittel finden sich unter einem Dach. „Gastronomisch bedienen die Markthallen den kontroversen Individualismus: Man muss sich nicht auf ein Restaurant einigen, sondern jeder kann sich holen, was er gerne mag, und man trifft sich trotzdem an einem Tisch zum Essen.“

Einen Wandel gibt es auch beim Lebensmittelhändler. „Der Discounter wird zum Supermarkt, der Supermarkt zum Spezialitätengeschäft und gastronomischer“, stellt Tischer fest. Supermärkte wie Edeka Zurheide in Düsseldorf setzen schon auf gastronomische Einheiten. USA und Kanada seien bei dieser Entwicklung Europa voraus. „Es dauert, bis sich das Einkaufsverhalten der Verbraucher ändert.“ Tischer glaubt aber fest daran, dass es eines Tages normal sein wird, im Supermarkt für das Wochenende einzukaufen und sich zugleich schon eine gute Pasta als Mittagessen zubereiten zu lassen.

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