Fleisch Dry-aged Meat - Einfach mal abhängen

Düsseldorf · Dry-Aged Fleisch liegt voll im Trend. Ihr Geschmack macht die gereiften Steaks do beliebt. Ein Heinsberger Fleischer geht nun einen Schritt weiter - er lässt Geflügel reifen.

 Dry-Aged Fleisch hat ein besonders Aussehen.

Dry-Aged Fleisch hat ein besonders Aussehen.

Foto: Macuser

Manchmal ist es der pure Zufall, der Gutes entstehen lässt. Wolfgang Otto hat es selbst erlebt. Kurz vor Weihnachten 2014 schenkte ein befreundeter Geflügelzüchter aus Frankreich Otto und seinen beiden Brüdern Stephan und Michael je einen Kapaun; einen gemästeten Hahn, der in der gehobenen Küche geschätzt wird. Otto freute sich über das Geschenk, steckte den Kapaun ins Kühlhaus - und vergaß ihn. "Irgendwann im neuen Jahr erinnerte mich ein Mitarbeiter daran, dass der Hahn noch da sei", erzählt Otto. "Ich nahm ihn mit nach Hause, bereitete ihn acht Wochen nach der Schlachtung zu und konnte kaum fassen, wie gut er schmeckte." Per Zufall hatte Otto eine Delikatesse entdeckt.

Der "Unfall", wie Wolfgang Otto den durch Vergesslichkeit gereiften Hahn mit Augenzwinkern nennt, führte in seiner Heinsberger Fleischerei Otto Gourmet zu einer Reihe von Experimenten. "Wir wussten, dass man in Frankreich schon vor zehn Jahren Geflügel reifen ließ, bis es praktisch vom Haken fiel. Mit einem Berliner Gastronomen haben wir dann erste Tests in unseren Reifekammern gestartet."

Für die Versuche benutzte Wolfgang Otto Schwarzfederhühner von eben dem Geflügelhändler, der ihm Monate zuvor den Kapaun geschenkt hatte: Jean Claude Miéral, einem französischen Geflügel-Experten. "Nach einigen Versuchen kamen wir zu dem Ergebnis, dass das Fleisch nach 13 Tagen Reifung perfekt ist", sagt Otto.

Dry-aged Fleisch: Die wichtigsten Antworten
Foto: Radowski

Vor vier Wochen bekamen die Gebrüder Otto schließlich die Erlaubnis, ihr Produkt zu verkaufen. Mikrobiologische Test erwiesen die Genießbarkeit des gereiften Fleisches. Nun hängen in den Heinsberger Kühlkammern dutzende Schwarzfederhühner am Haken und warten darauf, zur Delikatesse zu reifen.

Dass Geflügel durch Abhängen veredelt wird, ist neu - die grundlegende Praxis, Fleisch durch Reifung zart und geschmacksintensiver werden zu lassen, aber nicht. "Früher nannte man das Trockenreifung, heute Dry Aging - und das ist total angesagt", erklärt Burkhard Schulte, Geschäftsführer des Mönchengladbacher Online-Händlers Gourmetfleisch.de. Seit vier Jahren verkauft auch Schulte mit seinem Online-Handel Dry-Aged-Fleisch.

Für die zeitaufwendige Methode wird für gewöhnlich nur Rindfleisch verwendet, das am Knochen im Kühlhaus aufgehängt wird. Nach der Schlachtung wird das Fleisch zunächst zäh. Würde man ein Stück davon zubereiten, wäre es trocken und hätte einen säuerlichen Geschmack. Mit der Zeit sorgt der Abbau des in der Muskulatur befindlichen Glykogens dafür, dass die Muskelkontraktion, die nach der Schlachtung einsetzt, nachlässt. Die optimalen Bedingungen in den Reife-Kammern unterstützen diesen Prozess. Das Fleisch wird von Tag zu Tag zarter.

Geeignet für die Trockenreifung sind vor allem Stücke, die einen hohen Fettgehalt haben. Burkhard verkauft mit seiner Firma unter anderem gereifte Entrecôtes, Rump- und T-Bone-Steaks. "Bei der Reifung geht der Fettgeschmack ins Fleisch über. Bei fettarmen Teilstücken wie Filets lohnt sich die Dry-Aged-Methode also nicht. In Amerika sind die reifenden Stücke meist komplett mit Fett überzogen", erklärt Schulte. Wie lange das Fleisch reift, ist von Händler zu Händler und von Sorte zu Sorte unterschiedlich. Meist liegt der Zeitraum zwischen drei und vier Wochen. "In manchen Fällen aber auch bis zu 38 Tagen." Zu lange dürfe das Fleisch aber nicht hängen: "In Irland habe ich mal ein Steak gegessen, das 48 Tage gereift war - das hat geschmeckt wie Friedhofserde", erinnert sich der Fleisch-Experte.

Hat das Fleisch einmal den optimalen Reifegrad erreicht, ist es zwischen zehn und 14 Tagen haltbar. "Man sollte es möglichst bei einer Temperatur zwischen null und vier Grad Celsius lagern", so Schulte. Bei höheren Temperaturen gehe die mikrobiologische Zersetzung schneller voran.

Der Griff zum gereiften Fleisch führt meist auch zum tieferen Griff ins Portemonnaie. "Zeitaufwand und Gewichtsverlust durch das Dry-Aged-Verfahren schlagen sich natürlich im Preis nieder", erklärt Schulte. Je nach Stück kostet ein Kilo Dry-Aged-Fleisch zwischen 50 und 200 Euro. Fleisch in den eigenen vier Wänden reifen zu lassen, sei aber keine wirkliche Alternative, erklärt der Experte. "Ein Reifeschrank kostet zwischen zwei- und dreitausend Euro", so Schulte. Da müsse man schon eine Menge Fleisch hängen lassen, bis sich die Anschaffungskosten lohnen.

Egal, ob vom Delikatessen-Händler oder aus dem hauseigenen Reifeschrank: Dass man Dry-Aged-Fleisch in seiner heutigen Form in Deutschland überhaupt kennt, ist einem zufälligen Treffen in Irland zu verdanken. "Auf dem europäischen Fleisch-Forum saß vor einigen Jahren ein Metzger aus England neben mir, der mir von der Dry-Aged-Methode erzählte", sagt Wolfgang Otto. "Zur gleichen Zeit hat mir mein Bruder, der damals in den USA lebte, berichtet, dass dort eine Art Schimmelreifung Thema sei. Wir haben daraufhin in ganz Deutschland gesucht, aber niemand hatte Dry-Aged-Fleisch im Angebot." Die Gebrüder Otto entschlossen sich, das gereifte Rindfleisch auf den deutschen Markt zu bringen; inspiriert vom Treffen mit dem englischen Metzger. Noch so ein Zufall, der zum Erfolg führte.

(tsp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort