Interview: Sprechstunde Roland Hille Zähneknirschen: Wo rohe Kräfte sinnlos walten

Bruxismus ist eine Diagnose, die in der Zahnarztpraxis häufig gestellt wird. Therapien sind vielfältig.

Unsere Leserin Heike A. (34) aus Mönchengladbach fragt: "Ich knirsche nachts mit den Zähnen. Was kann ich tun?"

Roland Hille Der Anteil der Bevölkerung, der mit den Zähnen knirscht und presst, steigt kontinuierlich, so dass zwischenzeitlich von einer Volkskrankheit Bruxismus - dies ist der Fachname - gesprochen werden kann. Unter Bruxismus leiden etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Solange Bruxismus als kurzfristiges emotionales Entlastungsventil auftaucht, kann von einer Therapie abgesehen werden. Chronischer Bruxismus kann vielfältige Ursachen haben. So kann nicht nur eine falsche Verzahnung der Ober- und Unterkieferzähne oder ein nur ungenau passender Zahnersatz ursächlich sein, sondern Bruxismus muss auch als eine Art Anzeiger für Dauerstress, Angststörungen und Depressionen im alltäglichen Leben angesehen werden. Aber auch Ärger in der Familie, Prüfungsstress und finanzielle Probleme lassen die Menschen die Zähne aufeinander reiben. Wer keinen Partner hat, der durch das nächtliche Zähneknirschen gestört wird, erfährt dies häufig erst durch erschöpftes Aufwachen oder bei seinem Zahnarztbesuch. Die Zahnsubstanz oder auch der Zahnersatz werden geschädigt, dies führt häufig zu einem vorzeitigen und irreparablen Verschleiß. Der bis zu 400 Kilogramm starke Druck führt zu Rissen und Sprüngen im Zahnschmelz. Häufig sind auch Zahnlockerungen und Zahnverlust zu beobachten. Kaumuskulatur und Kiefergelenke werden verstärkt beansprucht, viele Patienten leiden auch unter Ohren-, Kopf- und Nackenschmerzen. Eine durchsichtige Kunststoffschiene, die der Patient je nach Schwere der Erkrankung trägt, kann bereits zu einer deutlichen Entlastung der Muskulatur führen. Ohne Entlastung kann die dauerhafte Überanstrengung sich über einen längeren Zeitraum so entwickeln, dass sich der Muskel nach und nach verhärtet. Es entstehen kleine schmerzhafte Knötchen, das Zusammenspiel zwischen Muskeln und Gelenken ist gestört. Zudem kann sich die Kieferposition verändern, was entzündliche oder degenerative Prozesse im Kiefergelenk hervorrufen kann. Dann kann das Zähneknirschen eine sogenannte cranio-mandibuläre Dysfunktion (CMD) hervorrufen. Zu den Symptomen der CMD können Schmerzen, Knacken und Reiben der Kiefergelenke beim Öffnen und Schließen des Mundes gehören. Auch die Öffnungsbewegung des Kiefers kann nur noch eingeschränkt möglich sein. In diesen Fällen kann eine spezielle Physiotherapie helfen, die auf CMD konzentriert ist. Zudem kann mit aufwendig konstruierten und angepassten Okklusionsschienen gearbeitet werden. Diese stellen zusätzlich eine Kieferposition ein, die den Unterkiefer stabilisiert und die Kaumuskeln entlastet. Total zerknirscht durchs Leben zu gehen und dabei auf Granit beißen, hat wenig Sinn. Eine rechtzeitig eingeleitete Therapie - und hier ist auch die Verhaltensänderung im Lebensalltag zu benennen - hilft vielen Patienten, auch in der Nacht ihren erholsamen Schlaf wiederzufinden.

Roland Hille ist Zahnarzt in Viersen.

(RP)
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