Mehr Sicherheit bei Herzrhythmusstörungen Wie Patienten mit Vorhofflimmern von moderner Medizin profitieren

Düsseldorf · Beim Kampf gegen gefährliche Herzrhythmuserkrankungen wie Vorhofflimmern gibt es Neues: das Klebe-EKG, hilfreiche Pulsuhren und raffinierte Katheter. Drei Kardiologen berichten von ihren Erfahrungen

 Christian Meyer, Chef-Kardiologe im Düsseldorfer EVK, bei der Katheterbehandlung eines Patienten, der an Vorhofflimmern leidet.

Christian Meyer, Chef-Kardiologe im Düsseldorfer EVK, bei der Katheterbehandlung eines Patienten, der an Vorhofflimmern leidet.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Der Finger geht zum Handgelenk, da fühlt sich alles normal an. Doch ist es das wirklich? Ist der Puls vielleicht doch zu schnell? Oder gar zu langsam? Herrscht da gelegentlich plötzliche Raserei, die von jetzt auf gleich wieder aufhört? Was wissen wir über unser Herz? Etwa zur Frequenz: Wie schnell schlägt es? Etwa zum Rhythmus: Wie regelmäßig schlägt es? Zuweilen horcht es der Hausarzt mit dem Stethoskop ab, oder er klebt Elektroden an und schaut sich die Ableitungen im EKG an.

Wenn der Mensch nichts spürt, heißt das nicht, dass er nichts hat. Diese Weisheit kennt auch Christian Meyer, kardiologischer Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf – vor allem wenn es um Vorhofflimmern (VHF) geht. Meyer weiß, „dass VHF bei manchen Menschen nur sehr kurz auftritt, für Sekunden oder wenige Minuten.“ Eine solche anfallsartige Symptomatik heißt im Fachjargon „paroxysmal“. Meyer: „Das ist oft auch nicht mit Beschwerden verbunden.“ Tückisch ist es trotzdem, weil mancher die Folgen wie einen Überfall zu spüren bekommt: „Bei zu vielen Menschen ist noch immer ein Schlaganfall das Erstsymptom von VHF.“

Man könnte und sollte noch häufiger nach Herzrhythmusstörungen fahnden und die „Trefferquote“ (Meyer) erhöhen. Fündig wird man regelmäßig: „Mit zunehmendem Alter unserer Bevölkerung steigen auch die Fallzahlen für VHF. Bislang gibt es geschätzt etwa sechs Millionen Patienten in Europa“, rechnet Marc Bonsels vor, „diese Zahl wird sich wohl bis in 50 Jahren verdoppeln.“ Der kardiologische Oberarzt an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach weiß, dass Vorhofflimmern nicht nur Schlaganfälle, sondern auch Herzschwäche auslösen kann. Zum Glück werden die detektivischen Möglichkeiten der Medizintechnik immer besser. Mit einer fast kontinuierlichen Aufzeichnung des Herzrhythmus lassen sich deutlich mehr verdeckte Fälle finden. Das klassische Zwölf-Kanal-EKG sowie ein tragbares Langzeit-EKG sind zwar immer der Goldstandard. Sie haben jedoch Grenzen, die wir, sagt Meyer, „mit innovativen Technologien überwinden“ können.

Kürzlich zeigte eine Studie, dass ein aufklebbares EKG für daheim und unterwegs ebenso simpel wie effektiv funktioniert. Dieses Klebe-EKG („Patch“ genannt) kann den Herzrhythmus bis zu 14 Tage aufzeichnen. Die Studie wies nach, „dass im Vergleich zur Kontrollgruppe häufiger VHF beobachtet wurde und Betroffene auch häufiger einen medikamentösen Schutz vor einem Schlaganfall per Blutverdünner bekamen“ (Meyer). Die „Patches“ sind angenehm, wie Bonsels verrät: „Durch ihren Tragekomfort (keine Kabel, kein lästiges Kästchen) gibt es weniger Fälle von Fehlbildern, sogenannten Artefakten, oder von Signalverlust als beim Langzeit-EKG.“ Trotz dieses Fortschritts warnt Meyer vor übereilten Konsequenzen: „Die Diagnose einer Herzrhythmusstörung kann nur ein EKG-erfahrener Arzt stellen.“ Auch der Algorithmus eines hochentwickelten Geräts produziert gelegentlich Irrtümer.

Bleiben wir bei den „Wearables“, also den tragbaren EKG-Spürgeräten. Im Gegensatz zu den „Patches“ hat die Firma Apple mit der Stanford University in einer Studie gezeigt, dass die kontinuierliche Pulserfassung der Apple-Watch ein VHF sicher meldet. In Kombination mit einem iPhone ist es zudem möglich, „ein für eine Rhythmusanalyse ausreichendes Ein-Kanal-EKG zu dokumentieren“, sagt Bonsels. Wichtiger Vorteil: „Bei über 40.000 Studienteilnehmern wurde nur bei etwa 0,52 Prozent ein unregelmäßiger Puls aufgespürt. Eine Flut falsch positiver Befunde blieb aus.“

Nun gibt es Bewegung auch bei den Therapien der unterschiedlich belasteten VHF-Patienten. Bislang bekam ein Mensch, der nur gelegentliche Episoden hatte, die er möglicherweise gar nicht bemerkte, einen Blutverdünner und eventuell ein Medikament zur Frequenzkontrolle; es ließ den Puls nicht nach oben entgleiten. Die sogenannte East-Studie zeigt nun, dass es sinnvoll ist, dass auch bei ihnen der Rhythmus kontrolliert und bei Bedarf eingestellt wird, entweder durch Medikamente oder durch eine Katheterablation. Bei über 2000 Studienteilnehmern und einer Studiendauer von mehr als sechs Jahren erwies sich nämlich, dass die Patienten, die rhythmuserhaltend behandelt wurden, weniger Schlaganfälle erlitten und auch seltener an Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems starben als Patienten, bei denen nur die Herzfrequenz kontrolliert wurde. Deshalb wird es in Zukunft immer wichtiger, bei Patienten mit Risikofaktoren (Bluthochdruck, Adipositas, Schlaf-Apnoe, Rauchen) ein VHF frühzeitig zu erkennen – auch und gerade bei den asymptomatischen Patienten. Und hierbei können die „Wearables“ hilfreich, ja überlebenswichtig sein.

Nun ist der Kathetereingriff eine invasive Maßnahme, bei der im linken Vorhof des Herzens die elektrische Störung direkt beseitigt wird –durch einen speziellen Katheter, der mit Hitze oder Kälte operiert. Bei leichteren Fällen von VHF ist die Ablation seit Jahren ein Routineeingriff. Sie funktioniert, grob gesagt, nach den Methoden von Verödung und Vereisung (nicht-thermische Verfahren sind bereits in der Pipeline). Hans Kottkamp, Chefarzt der Rhythmologie am Sana-Krankenhaus Benrath, erklärt, wie das geht: „Hierbei werden im Vorhof elektrische Isolationslinien um die Mündungen der Lungenvenen platziert. Man nennt das Pulmonalvenen-Isolation.“ An diesen Mündungen tritt VHF sehr oft auf. Momentan werden zwei unterschiedliche Kathetersysteme eingesetzt. Kottkamp: „Zum einen die klassische Variante mit einer Metallspitze am Ende des Katheterschlauches (,Single-Tip-Katheter‘), über die man elektrische Informationen bekommt und auch den therapeutischen Strom abgeben kann. Und zum anderen ein Ballonkatheter, der im Mündungsbereich der Lungenvenen platziert wird und über Kälte eine Isolation herbeiführt.“

Beide Systeme haben Stärken und Schwächen. Kottkamp: „Mit dem Single-Tip-Katheter kann man sozusagen alles machen, was nötig ist, aber diese Methode ist zeitaufwändig und erfordert viel Erfahrung. Der Ballonkatheter dagegen ist einfacher zu handhaben, aber im Bereich außerhalb der Mündungen der Lungenvenen nicht sehr hilfreich.“

Wie für jede andere Fachrichtung gilt auch für die Kardiologie: Handwerk hat goldenen Boden. Fraglos findet man bei den Herzspezialisten viele Rohrreiniger und Elektriker. Aber es geht auch um Wissenschaft, um Experimentelles, um Reisen durch unbekannte Galaxien, etwa um die Frage: Wie findet sich der Katheter im Vorhof überhaupt zurecht? Dazu gibt es raffinierteste Verfahren, dreidimensionale Landkarten des Vorhofs anzufertigen (das „Mapping“).

Wie seine Kollegen entwickelt Kottkamp Leidenschaft für heikle Fragen. Er hat wesentlich an der Erkenntnis mitgewirkt, dass es im linken Vorhof auch andere, nämlich fibrotische Gebiete gibt, die VHF auslösen. Und er interessiert sich für die Neuentwicklung von Kathetern, etwa des „Globe“-Katheters, der das Mapping (die Landkarte) und die Ablation (die Verödung) sozusagen in einem einzigen Arbeitsschritt erledigt. Das spart Zeit. Seit August 2020 arbeitet Kottkamp bereits mit dem „Globe“.

Meyer, Kottkamp und Bonsels wissen: So leistungsstark die moderne Medizin ist, so begrenzt sind die Optionen bei einem Teil der VHF-Patienten. Denn wenn die Rhythmusstörung dauerhaft (persistierend) vorhanden ist und die Wand des Vorhofs bereits fibrotisch (bindegewebig) umgebaut ist, wird man die Störfelder, eine Art elektrischen Schmutz, nicht immer entfernen können. Dann ist es erst recht wichtig, dass die Patienten keine Herzschwäche entwickeln, keine Schlaganfälle erleiden.

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