Volkskrankheit Mundtrockenheit Wenn das Wasser nicht mehr im Mund zusammenläuft

Düsseldorf · Ein Viertel der Deutschen leidet an Mundtrockenheit. Die Folgen für die Gesundheit sind erheblich. Oft hilft es, die Nasenatmung anzuregen.

 Mundtrockenheit zeigt sich oft auch in der äußerlichen Beschaffenheit der Zunge.

Mundtrockenheit zeigt sich oft auch in der äußerlichen Beschaffenheit der Zunge.

Foto: imago/imagebroker/imageBROKER/Simon Belcher

Für die allermeisten Menschen ist der Besuch beim Zahnarzt sozusagen die elfte biblische Plage. Dabei sind die Befürchtungen streng verteilt: Der eine sorgt sich, dass der Bohrer der Nerv trifft. Der andere fürchtet die Betäubungsspritze. Der Nächste hasst es, wenn Zahnstein entfernt wird. Es gibt aber noch eine weitere Angst: dass man nämlich den Mund voller Sabber hat und der Arzt zwischen Zähne und Wangen diese dicken Watterollen steckt. Besonders eklig ist das beim Bleaching: Dann liegt man eine gefühlte Ewigkeit mit Wülsten im Mund auf dem Zahnarztstuhl.

Diese Hasenfüße sollten sich nicht sorgen, denn sie speicheln offenbar ausgiebig. Unangenehmer und auch gefährlicher ist hartnäckige oder gar chronische Mundtrockenheit. Dieser nicht bloß den Zahnarzt interessierende Befund ist ein gesamtmedizinisches Problem, denn wir brauchen den Speichel wie unser täglich Wasser und Brot. Wenn er uns fehlt, kann das ernstliche Konsequenzen für den Körper haben, nicht nur für die Zähne. Wer zu wenig Speichel im Mund hat, kann zum Beispiel deutlich schlechter schlucken.

Wie Speichelfluss entsteht
und im Gehirn angeregt wird

Unsere Speicheldrüsen – es gibt mehrere davon – sind damit beschäftigt, diverse Sorten von Speichel zu produzieren. Es gibt ihn in flüssiger und zäher Form, und natürlicherweise besteht er vor allem aus Wasser, aber auch aus Elektrolyten und Salzen. Der Zahnarzt freut sich über regsamen Speichelfluss jedes Patienten, denn Speichel remineralisiert die Zahnsubstanz; er befeuchtet und schützt Zunge und Schleimhäute. Preisfrage: Wie viel Speichel produziert ein gesunder Mensch pro Tag? Knapp einen Liter.

Aber die Speicheldrüsen unterliegen Stimmungsschwankungen, die wiederum eng mit dem vegetativen Nervensystem zusammenhängen. Angst, Stress und Müdigkeit sind wichtige Trigger, aber auch äußerliche Reize wie der Anblick und Geruch eines fabelhaften Pilz-Risottos.

Wenn der Mund
austrocknet

Mundtrockenheit kann verschiedene Ursachen haben und erfordert manchmal detektivische Diagnostik. Es gibt Leute, die produzieren einfach sehr wenig Speichel, das nennt man Hyposalivation. „Bei älteren Menschen lässt die Aktivität der Speicheldrüsen im Alter deutlich nach, das ist ein bekannter degenerativer Prozess“, sagt Jörg Schipper, HNO-Professor an der Uniklinik Düsseldorf. Oder sie haben eine Erkrankung der Speicheldrüsen, manchmal eine Entzündung oder Steine, die den Abfluss blockieren.

Doch auch Medikamente sind eine ernsthafte Bremse. Wer dauerhaft auf Tabletten angewiesen ist, sollte dann vielleicht doch mal den Beipackzettel studieren. Manche Blutdrucksenker können Mundtrockenheit bewirken, ebenso Antidepressiva, Asthma- und Allergiemittel oder solche zur Behandlung der überaktiven Blase (sogenannte Anticholinergika). Weiterhin geht die Therapie von Migräne, von Muskelkrämpfen, von überschüssiger Magensäure oder der Zuckerkrankheit zuweilen mit Mundtrockenheit einher. Auch die Behandlung einer Krebserkrankung kann sie auslösen, entweder durch die Chemotherapie oder durch eine Bestrahlung.

Doch gibt es auch Krankheiten selbst, die als Ursache einer Mundtrockenheit infrage kommen. Gar nicht so selten ist beispielsweise das sogenannte Sjögren-Syndrom, eine chronische Autoimmunkrankheit, bei der vor allem das Drüsengewebe zerstört wird. Es zählt zu den sogenannten Kollagenosen, also Erkrankungen der Kollagenfasern im Körper, bei denen sich entzündliche Prozesse des Bindegewebes häufen. Typische Merkmale sind Augen- und Mundtrockenheit, weswegen Mediziner sie auch als „Sicca-Symptomatik“ bezeichnen (nach dem lateinischen Wort für „trocken“).

Die Zähne leiden
besonders stark

Der Zahnarzt muss eine Mundtrockenheit nicht als erster Heilkundiger bemerken oder behandeln, aber er sieht die langfristigen Folgen in aller Deutlichkeit. Vor allem die Erreger einer Karies (gern auch an den Hälsen und den Wurzeln) in jeglicher Gestalt finden bei Mundtrockenheit ein perfektes Milieu vor. Prothesen sitzen schlechter, Zahnfleischentzündungen und Pilzinfektionen machen sich breit, ebenso Mundgeruch. Es herrscht ein Gefühl von Klebrigkeit, der Speichel wird schaumig, Risse (auch in der Zunge) lösen Schmerzen aus, die Lippen pellen sich und wirken spröde.

Ältere Menschen haben häufig ein verändertes Durstgefühl – der Klassiker jeder geriatrischen Behandlung –, oder sie wollen bei Blasenproblemen nicht alle paar Minuten aufs Töpfchen gehen müssen. Folglich trinken sie zu wenig. Kein Wunder, dass sie das nicht nur mit internistisch-neurologischen Ausfällen bezahlen, sondern auch mit teilweise vehementen Zahnproblemen – durch Mundtrockenheit.

Lutschen, Trinken und Lüften
sind meistens probate Mittel

Es klingt fast wie eine Binsenweisheit, aber die Steigerung der Trinkmenge ist häufig die halbe Miete. Auch saure Drops mit Citrus-Geschmack kurbeln die Speichelproduktion an. Und wenn die Raumluft trocken ist – etwa bei überheizten Räumen im Winter –, dann wirkt sich das nicht nur in der Nase und in den Augen, sondern auch im Mund aus. Bei Mundtrockenheit als Medikamenten-Nebenwirkung kann es helfen, mit dem Arzt über Alternativen nachzudenken. Etwa bei der Behandlung eines Bluthochdrucks gibt es häufig andere Stoffgruppen, die nicht schlechter sind, aber weniger Nebenwirkungen hervorrufen. In schwierigen Fällen gibt es Speichelersatzpräparate.

Müssen wir noch auf den starken Zusammenhang von Rauchen und Alkohol mit einer Mundtrockenheit hinweisen? Nein, müssen wir nicht, er liegt auf der Hand.

Manchmal ist eine behinderte
Nasenatmung schuld

Nicht selten hilft es bei der Diagnosesicherung, den Patienten einfach nur ruhig zu beobachten und zu schauen, wie er atmet. Es gibt nämlich sehr viele Menschen, die nicht nur die Nase, sondern durch den Mund atmen, oft und vor allem auch nachts. Vielleicht behindern sie eine verkrümmte Nasenscheidewand oder vergrößerte Nasenmuscheln. Für nicht wenige Fälle empfiehlt sich vor einer eventuellen OP der Versuch mit einem kleinen Medizinprodukt, das aber große Wirkung erzielen kann: der sogenannte Face Former. Dieser sehr diskrete Schnarchschnuller, der in Wirklichkeit ein Trainingsgerät zur Straffung der Mund- und Rachenmuskulatur ist, hilft nicht nur tatsächlich bei leichteren Fällen von Schnarchen, sondern programmiert nachts den Mundatmer auf Nasenatmung um. Die ist auch deshalb wichtig, weil der offene Mund seinerseits die Aktivität der Speicheldrüsen hemmt.

Noch einmal zurück zu den Zähnen: Längst ist bekannt, dass eine bakterielle Zahnfleischerkrankung (die Gingivitis) auch das Risiko erhöht, an Alzheimer-Demenz und anderen neurodegenerativen Leidenzu erkranken. Wie schon die Medizin der Antike wusste: Das Leiden des Körpers beginnt im Mund.

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