Nach Fall in Düsseldorf Warum es bei Marathon-Läufen immer wieder zu Todesfällen kommt

Düsseldorf · Beim Düsseldorfer Lauf am Wochenende ist ein 32-jähriger Läufer gestorben. Solche Fälle kommen immer wieder vor. Sollten Sportler vor dem Start vom Arzt untersucht werden? In anderen Ländern ist das schon Pflicht.

Per pedes sind es 34,5 Kilometer von Marathon nach Athen, weiß der Routenplaner; ein Geher sollte das laut digitaler Berechnung in sieben Stunden, 27 Minuten schaffen. Damals, im Jahr 490 v. Chr., waren die Verhältnisse anders: mehr Umwege (deshalb 42 Kilometer), mehr Steine, schlechtes Schuhwerk. Allerdings gab es den Typus des trainierten Läufers, der Botschaften von hier nach dort trug. So der legendäre Pheidippides: Er hatte in Athen den glück­lichen Sieg über die Perser bei der Schlacht von Marathon zu rapportieren. Nach der Botschaft soll er tot zusammengebrochen sein. Die Geschichte ist vermutlich Legende, wird aber bis heute weitergesponnen – auch als Menetekel.

Tatsächlich hat es seitdem bei vielen Marathon-Läufen Todesfälle gegeben. Die Statistik ist in der Angelegenheit seit Jahrzehnten zuverlässig: Auf 100.000 Marathonläufer kommen ein bis zwei Tote. Beim Berlin-Marathon sind es weniger – ein Toter auf 157.000 Teilnehmer. In den meisten Fällen bleibt die Todesursache unklar, denn die Toten werden nicht obduziert. In etlichen Fällen dürfte ein Herzinfarkt mit anschließenden Rhythmusstörungen die Ursache gewesen sein – vor allem bei Läufern, die älter als 40 waren. „Das ist das Alter, in dem eine unerkannte koronare Herzerkrankung fatale Folgen haben kann“, sagt Heribert Brück, Kardiologe in Erkelenz und selbst Marathonläufer. Ablagerungen in den Herzkranzgefäßen können unter der massiven Belastung einreißen. Dabei entstehen Blutgerinnsel, die das Gefäß verstopfen.

Gleichwohl kommt es immer wieder zum Tod jüngerer Läufer, wie jetzt in Düsseldorf. Hier war es ein 32-jähriger Läufer, der einen Halbmarathon bestritt und kurz vor dem Ziel zusammenbrach. Er wurde „unter Reanimationsbedingungen“, wie es hieß, in die Uniklinik gebracht, wo er am Abend verstarb. Die recht lange intensivmedizinische Spanne spricht eher gegen einen Infarkt: In einem Herzkatheterlabor hätte man die Engstelle mit einem Ballon schnell aufgedehnt und dann einen Stent nachgeschoben, der das Gefäß offenhält.

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Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Seit langem ist bekannt, dass (trainierte und auch untrainierte) Sportler tatsächlich unwissentlich in ihren Tod laufen können. „Mancher hat einen unerkannten Herzklappenfehler oder einen geschädigten Herzmuskel, eine Kardiomyo­pathie“, sagt Brück. In Italien und anderen Ländern, so der Kardiologe, sei das Risiko eines plötzlichen Herztodes von Marathonläufern geringer, weil sich alle Teilnehmer untersuchen lassen und die Bescheinigung vorlegen müssen. „Bei einem Ultraschall des Herzens sieht ein erfahrener Arzt strukturelle Vorerkrankungen immer“, weiß Brück.

In der Marathonprosa ist oft von „Todeszonen“ die Rede, die angeblich kurz vor dem Ziel erreicht würden. Tatsächlich gibt es – etwa bei Kilometer 36 oder bei Kilometer 19 – Triggermarken, an denen die Läufer auf ihre Uhr schauen, die letzten Reserven mobilisieren und alle Alarmglocken überhören. Das ist grob fahrlässig. Jürgen Lock, Sportwissenschaftler beim Berlin-Marathon, empfiehlt allen Läufern: „Haben Sie keine Scheu, die letzten Meter ins Ziel zu gehen.“ Gerade Freizeitsportler sollten auf übertriebene Endspurts verzichten.

Man könnte die Aspiranten beim Arzt auch aufs Fahrrad setzen – für ein Belastungs-EKG. „Das wird in der Kardiologie aber kontrovers diskutiert“, sagt Brück. Ohnedies warnt er davor, im Attest einen Freibrief zu sehen: „Wer sich nach dem Arztbesuch einen Infekt einfängt, womöglich sogar eine Myokarditis, eine Entzündung des Herzmuskels, für den kann schon eine kürzere Distanz lebensgefährlich sein.“

Vor einigen Jahren starben zwei Marathon-Läuferinnen, die eine in Boston, die andere in Washington, an einer Elektrolyt-Störung, der Hyponatriämie: Sie hatten beim Lauf zu viel getrunken. Das führte dazu, dass die Konzentration von Natrium im Körper zu niedrig wurde. Brück: „Das ist beim Laufen ebenso gefährlich, wie wenn man zu wenig trinkt.“ Es droht ein gefährliches Hirnödem, eine Flüssigkeitseinlagerung im Gehirn. „Es sind aber auch Fälle bekannt, dass Läufer gegen die Schmerzen oft Medikamente nehmen“, berichtet Brück, „das kann zu erheblichen Nierenproblemen bis hin zum Nierenversagen führen.“

Der Sportmediziner Frank Mooren sprach einmal vom „Marathon-Paradox“. Während das Training für den Lauf positive Effekte auf Herz, Bänder und das Immunsystem habe, treffe das für den Marathonlauf selbst nicht zu. Er schwäche das Immunsystem, denn er rufe eine starke Entzündungsreaktion hervor – Läufer seien eine Zeitlang anfälliger für Infekte. „Das ist eine Schutzreaktion des Körpers, damit er sich nicht noch mehr belastet“, sagt Mooren.

Trotzdem: Das Laufen auch über längere Distanzen ist – sofern vernünftig dosiert und ärztlich begleitet – der Gesundheit deutlich zuträglicher als Bewegungsmangel. Außerdem sind Marathonstrecken von vielen Sanitätern gesäumt, die sofort eingreifen können. Eine US-amerikanische Studie aus den 80er Jahren fand dagegen heraus: Das Risiko, während des Trainingslaufs im Wald aus dem Leben zu scheiden, ist um ein Zehnfaches höher als beim Berlin-Marathon: eins zu 15.000. Der einsame Wald ist also schöner, aber auch gefährlicher als der Asphalt im Rudel.

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