Blutdruck-Medikament unter Krebsverdacht Was Sie über den Valsartan-Skandal wissen müssen

Düsseldorf · Nachdem in etlichen Chargen des Blutdrucksenkers Valsartan krebserregende Substanzen gefunden wurden, herrscht große Unsicherheit bei vielen Patienten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 Ein Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck. (Archiv)

Ein Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck. (Archiv)

Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Es ist, als werde der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Man nimmt ein Medikament, um den Bluthochdruck in den Griff zu bekommen, doch plötzlich wird es vom Markt genommen, weil es mit einem Stoff verunreinigt ist, der potenziell krebsauslösend ist. Val­sartan heißt das Medikament, und bei einer Reihe der sogenannten Generika kam bei einem Billigproduzenten in China der Stoff NDMA (N-Nitrosodimethylamin) hinzu. Im Tierversuch war NDMA kanzerogen – Ratten, die es schluckten, bekamen Leberkrebs. Die Auswirkungen auf den Menschen sind noch nicht hinreichend erforscht.

Jetzt herrscht Unruhe unter den fast 900.000 Patienten, die derzeit pro Jahr Valsartan als Mono- oder Kombinationspräparat nehmen, es gibt Lieferengpässe für gleichwertige Produkte, 17 Pharmafirmen haben verschiedene Valsartan- und ein Irbesartan-Präparat zurückgezogen. Nur vier Pharmakonzerne – Aurobindo, Mylan dura, Novartis, TAD Pharma – bestätigen aktuell, keinen Wirkstoff des chinesischen Herstellers Zhejiang Huahai Pharmaceutical verarbeitet zu haben. Ihre Val­sartan-Präparate bleiben folglich für Apotheker und Patienten verfügbar. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

Derzeit ist die Lage komplett unübersichtlich. Seit wann ist die kontaminierte Tablette überhaupt auf dem Markt? Erst seit 2014? Wie hoch ist das Krebsrisiko? Und wieso überhaupt China?

Was ist Valsartan?

Es ist ein Medikament aus der Gruppe der sogenannten Sartane. Im Bereich der Blutdrucksenkung handelt es sich um ebenso wirkungsvolle wie nebenwirkungsarme Mittel. Sie sind den sogenannten ACE-Hemmern verwandt, die allerdings als Nebenwirkung häufig einen chronischen Reizhusten auslösen. Die Wirkweise ist raffiniert: Auch in den Blutgefäßen gibt es kleine Muskeln, die über ein hormonelles Steuerungssystem des Körpers aktiv werden und ein Gefäß enger stellen können; dann steigt der Blutdruck. Sartane – man nennt sie auch AT1-Blocker – heben diese Funktion auf, die Gefäße werden wieder weiter.

Wie kam NDMA in die Pillen?

Seit die Krankenkassen sogenannte Rabattverträge mit den Pharmakonzernen haben, wurde die Produktion von Medikamenten häufig ins Ausland verlagert. Oder ausländische Anbieter drängen mit preisgünstigen Offerten auf den Markt. In der Ferne versagt aber die Kontrollaufsicht. Keiner weiß, was in chinesischen Laboratorien wirklich passiert. Dass die Valsartan-Krise durch einen Zufallsfund ausgelöst wurde, stimmt beunruhigend.

Ursache war offenbar eine Produktionsumstellung beim chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical, wie die Europäische Arzneimittelbehörde EMA berichtet. Demnach fiel nach der Umstellung im Jahr 2012 bei einem Produktionszwischenschritt NDMA an, das dann offenbar nicht konsequent wieder entfernt worden sei.

Wie erfahre ich, ob mein Medikament vom Rückruf betroffen ist?
Jeder Apotheker und jeder Arzt, der Valsartan verschreibt oder verkauft, besitzt derzeit eine Äquivalenzliste, die über Alternativen und die Dosierung aufklärt.

Wie gefährlich ist NDMA wirklich?

Auch hierzu gibt es unterschiedliche Aussagen von Fachleuten. Der Kardiologe Thomas Meinertz, ehemaliger Vorstand der Deutschen Herzstiftung, sagte im ZDF, Patienten, die auf eines der zurückgezogenen Val­sartan-Medikamente eingestellt sein, sollten es sofort absetzen. Ihre Ärzte sollten ihnen dann ein unbelastetes Valsartan, ein anderes Sartan oder einen anderen Blutdrucksenker verschreiben. Ein Krebsscreening sei aber übertrieben, gleichwohl sollte man sie aufmerksam beobachten.

Für den Fall einer Umstellung auf einen anderen Vertreter der Sartane hat die Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) eine Tabelle mit Äquivalenzdosierungen veröffentlicht. Lars-Christian Rump, Nephrologie-Professor an der Düsseldorfer Uniklinik und Experte für Hochdruck-Erkrankungen, rät ebenfalls zur Beruhigung: „Der Wechsel von einem Sartan auf ein anderes ist unproblematisch, es sind sehr potente und sichere Medikamente, die sich trotz unterschiedlicher Namen nicht nennenswert in ihrer Wirkweise unterscheiden.“

Bekommt man beim Apotheker problemlos ein anderes Produkt?

Gegen Vorlage eines Rezepts bekommen Patienten zwar das Präparat eines Herstellers, der nicht vom Rückruf betroffen ist. Aber es ist möglich, dass für dieses Arzneimittel eine Zuzahlung oder Mehrkosten fällig werden. Der Grund dafür sind gesetzliche Bestimmungen, auf die Apotheker keinen Einfluss haben. Versicherte sollten sich an ihre Krankenkasse wenden und nach einer Rückerstattung der Zuzahlung fragen. Einige große gesetzliche Kassen haben bereits angekündigt, sich kulant zu zeigen. Das ist nur recht und billig, denn ohne den Preisdruck, den sie auf den Markt ausüben, wäre es zu einem Skandal wie diesem nicht gekommen.

Welche Konsequenzen sind aus dem Valsartan-Skandal zu ziehen?

Offenbar gibt es ein Niemandsland für das Kontrollverfahren von Medikamenten, die aus dem Ausland stammen. „Das muss dringlich geändert werden, zum Beispiel durch eine Bundesbehörde, die die Einfuhr stichprobenhaft auf Verunreinigungen kontrolliert“, fordert Meinertz. Weiterhin braucht man wohl eine sogenannte rückwirkend ansetzende Studie, die beispielsweise 10.000 Patienten eines sauberen Sartans mit weiteren 10.000 Patienten vergleicht, die Pillen aus den verunreinigten Chargen genommen haben. Dann müsste man sie in regelmäßigen Abständen untersuchen.

Lässt sich das Krebsrisiko realistisch berechnen?

Die Ärztezeitung hat dieser Tage zwei Rechnungen miteinander verglichen. Nachdem sich bereits die US-Arzneimittelbehörde FDA zum gesundheitlichen Risiko durch Einnahme verunreinigter Valsartan-Präparate geäußert hat, gibt es nun auch erste Daten der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Während die FDA einen zusätzlichen Krebsfall auf 8000 Patienten schätzt, kommt die EMA auf einen zusätzlichen Krebsfall pro 5000 Patienten – bei einer Dosis von 320 mg über sieben Jahre. Allerdings müssen bei einer Risikobewertung das generelle Krebserkrankungsrisiko und die mögliche Aufnahme von NDMA durch andere Quellen (Bier, gepökeltes Fleisch, geräucherter Fisch) berücksichtigt werden. Die EMA-Experten betonen, es gebe „kein unmittelbares Risiko“ durch die Einnahme von verunreinigtem Valsartan. Auch Experte Rump sieht keinen Grund zur Panik und warnt vor übereilter Selbstbehandlung: „Wer Valsartan einfach absetzt, ohne ein gleichwertiges oder ähnliches Präparat verordnet zu bekommen, geht ein wesentlich höheres Gesundheitsrisiko ein.“

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