Stammzellenforschung Wie erbkranke Kinder gesund zur Welt kommen sollen

Bonn · Shoukhrat Mitalipov wirkt gelassen und bescheiden. Sachlich spricht er über seine Arbeit. Dabei hätte Mitalipov Grund stolz zu sein, wenn nicht gar euphorisch: Er ist der erste Forscher, der bei Klon-Experimenten mit menschlichen Zellen erfolgreich war. Dank ihm sollen Frauen mit Erbkrankheiten gesunde Kinder bekommen.

Stammzellenforschung: Wie erbkranke Kinder gesund zur Welt kommen sollen
Foto: Shutterstock/Chris Harvey

Damit nicht genug: Das britische Parlament hat im Februar eine neue Therapie genehmigt, die Frauen mit einer bestimmten Form von Erbkrankheiten die Geburt gesunder Kinder ermöglichen soll. Dabei wird in der Eizelle der Frau defektes Erbgut gegen ein gesundes DNA-Fragment einer anderen Frau getauscht.

Mitalipov ist der Vater dieser Methode. Noch in diesem Jahr werden die ersten klinischen Tests beginnen, berichtete er bei einer Fachtagung des NRW-Stammzellnetzwerkes in Bonn. Das hat zur Folge, dass 2016 die ersten Kinder geboren werden, die nicht zwei, sondern drei genetische Eltern haben.

In Bonn erklärte Mitalipov, wie menschliche Stammzellen auf unterschiedlichen Wegen hergestellt werden. Was ist besser? Sogenannte "Ips-Zellen", die aus menschlichen Hautzellen gewonnen werden und damit ethisch eher unproblematisch sind? Oder Stammzellen, für deren Produktion geklont werden muss, ähnlich der Methode, aus der Klonschaf Dolly entstand? Für eine Bewertung sei es zu früh, sagt Mitalipov.

Mancher Beobachter reibt sich verwundert die Augen: Der Bundestag hat über die Verwendung von Stammzellen in Deutschland schon entschieden. Klonen ist verboten und die Verwendung bestimmter Zelllinien stark eingeschränkt. Als die Abgeordneten 2002 über das Gesetz abstimmten, ging es um die Abwägung ethischer Aspekte. Mitalipov respektiert diese Entscheidungen. Er sagt aber auch, dass es Aufgabe der Wissenschaft sei, Fakten zu sammeln, damit Entscheidungen getroffen werden können.

Mitalipovs ethisches Universum ist klar: Bevor mit menschlichen Zellen gearbeitet werden darf, sollten die Verfahren mit tierischen Zellen gesichert getestet sein. Die Reparatur einzelner Gene in einer menschlichen Eizelle, den Eingriff in die Zellentwicklung des Embryos, wie er heute möglich erscheint und in China versucht wird, lehnt er deshalb ab. Da sei noch viel Arbeit nötig, bis die Methoden sicher genug seien, sagt er.

Die nächste Grenze sei die Einpflanzung einer veränderten Eizelle in die Gebärmutter. Eben das ist in Großbritannien jetzt erlaubt. Das Land nimmt erneut eine Vorreiterrolle im Umgang mit Eizellen ein, wie schon bei der künstlichen Befruchtung. Trotz großer Bedenken haben die britischen Politiker den medizinischen Fortschritt größer als das Risiko bewertet.

Der Genforscher will keine Zahlen nennen, obwohl er sie vermutlich kennt. Er hat zwar die Meinungsbildung beeinflusst, profitiert aber nicht von der Parlamentsentscheidung. Mitalipov arbeitet in den USA, wo sein Verfahren noch auf eine Genehmigung durch die Behörden wartet. Bei den jetzt beginnenden klinischen Tests handele sich nicht um ein Angebot für alle Betroffenen, sondern um "sehr begründete Einzelfallentscheidungen", sagt der Forscher. Wie beim Retortenbaby Louise Brown werden auch diese Kinder jahrelang untersucht: ihre Entwicklung, ihre Krankheiten, ihr Genom und Auffälligkeiten. Gegner befürchten, dass der Austausch von Genen unerwartete Auswirkungen auf die Entwicklung des Embryos haben könnte.

"Zum ersten Mal versucht die Forschung, Krankheiten zu verhindern, die durch Fehler in den Genen verursacht werden", sagt Mitalipov. Es geht nicht um die mehr als 20 000 Gene im Zellkern der Eizelle. Von ihnen nimmt man an, dass sie das menschliche Wesen prägen. Es geht um Defekte im Energiekraftwerk der Zelle: das mit 33 Genen viel kleinere Erbgut der Mitochondrien. Etwa eines von 4000 Kindern wird mit Gendefekten in den Mitochondrien geboren. Die Frauen, die das Risiko der Vererbung kennen, könnten nun ihre schadhafte Mitochondrien-DNA austauschen lassen.

Mitalipov sieht darin einen Vorteil: "Wir reparieren nichts. Wir tauschen aus. Wir verwenden ein natürliches Stück DNA, dessen Verträglichkeit aus der Eizelle einer anderen Frau bekannt ist", erklärt er. Mit dieser Interpretation rückt er die genetische Manipulation in die Nähe einer Organspende. Menschen mit solchen Erkrankungen hätten das Recht auf die Entwicklung einer Therapie, sagt Mitalipov. Aus seiner Sicht finden die Patienten nicht genug Gehör. "Am Ende geht es doch um sie, und sie müssen entscheiden."

(RP)
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