Experten raten zu einer höheren Zufuhr Vitamin D — unterschätzer Schutzschild

Berlin/Bonn · Deutschland ist Mangelland – zumindest was den Vitamin D-Bedarf angeht. 60 Prozent der deutschen Bevölkerung weist nach internationalen Kriterien eine unzureichende Vitamin D-Versorgung auf. Um schon bei Babys möglichen Knochenverformungen vorzubeugen, verschreiben Kinderärzte ihnen bis zum zweiten Lebensjahr Vitamin D-Präparate. Doch damit ist für ein ganzes Leben nicht genug vorgesorgt, sagen Experten.

Wie man seinen Vitamin-D-Bedarf richtig deckt
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Foto: AOK

Deutschland ist Mangelland — zumindest was den Vitamin D-Bedarf angeht. 60 Prozent der deutschen Bevölkerung weist nach internationalen Kriterien eine unzureichende Vitamin D-Versorgung auf. Um schon bei Babys möglichen Knochenverformungen vorzubeugen, verschreiben Kinderärzte ihnen bis zum zweiten Lebensjahr Vitamin D-Präparate. Doch damit ist für ein ganzes Leben nicht genug vorgesorgt, sagen Experten.

Knochenbrüche, Deformierungen des Skeletts, O-Beine, Kraftverlust, Störungen im Gleichgewicht und vorzeitiger Tod, das sind die Folgen, die ein Vitamin D-Mangel in jungen Jahren später nach sich ziehen kann. Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hat alle Studien der vergangenen Jahre gesichtet und kommt zu dem Ergebnis: Nicht nur Säuglinge sollten von ihren Ärzten verordnet bekommen.

Auch die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin fordert das und hat dabei vor allem für Kinder und Jugendliche im Blick. Ihrer Auffassung nach ließe sich durch eine bessere Versorgung mit dem fettlöslichen Vitamin D eine Osteoporose in späteren Jahren verhindern, da es dann nicht zur Abnahme der Knochenmasse kommen würde.

Diese Menschen sind besonders gefärdet

Besonders mangelgefährdet sind vegetarisch ernährte Kinder, Migranten, chronisch Kranke und Menschen, die selten ans Sonnenlicht kommen. Der Gießener Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Clemens Kunz und Dr. Peter Gilbert, Chefarzt des St. Josef-Krankenhauses in Gießen schlagen Alarm, weil Schwangere und Neugeborene dramatisch mit Vitamin D unterversorgt seien. Bei 90 Prozent der Frauen und 88 Prozent der Säuglinge ist ihrer Studie nach ein Vitamin-D-Mangel gegeben. Zurzeit empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine Aufnahme von 20 Mikrogramm Vitamin D täglich, für Säuglinge eine von zehn Mikrogramm. In Kanada beispielsweise liegt die Empfehlung um das zehnfache höher.

Vitamin D ist wichtig für die Regulierung des Kalzium-Spiegels im Blut und damit für den Knochenaufbau. Bei Kindern führt ein Mangel zu Rachitis mit Knochenverformungen und bei Erwachsenen zur schmerzhaften Knochenerweichung (Osteomalazie). Ein zu geringer Vitamin-D-Spiegel ist möglicherweise auch ein Risikofaktor für Multiple Sklerose (MS). Je näher ein Mensch in Richtung Äquator aufwächst, desto geringer ist sein Erkrankungsrisiko. Je weiter weg er in Richtung Nord- oder Südhalbkugel seine Kindheit verbringt, desto häufiger entwickelt er eine Multiple Sklerose.

Überversorgung schadet ebenfalls

Doch auch eine Überversorgung ist schädlich, wenn sie erhelblich ist. Bei einer Zufuhr von über 100 Mikrogramm Vitamin D pro Tag (80 Mirkgramm über dem empfohlenen Wert) kann es zu einer zu hohen Calciumkonzentration im Blut kommen. Lagert sich das Calcium in den Blutgefäßen, Nieren, Herz oder Lunge ab, ist es nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) möglich, dass sich Nierensteine bilden, im schlimmeren Fall sogar eine Unterfunktion der Nieren entstehen. Möglich ist zudem ein akutes Nierenversagen. Allerdings schließt die DGE aus, dass das es bei normalen Ernährungsgewohnheiten dazu kommen kann. Wichtig ist es nach Auffassung der Kinder- und Jugendmediziner, immer zunächst den Vitamin-D-Spiegel im Blut zu testen, um dann entsprechend ein Vitamin-D-Präparat zu verordnen.

Woher das Vitamin D im Körper kommt

Vitamin D wird zum Teil über Nahrungsmittel aufgenommen. Zum weitaus größeren Teil aber bildet sich das Vitamin bei ausreichender UVB-Strahlung, also Sonnenbestrahlung über die Haut. Bilden kann sich das für die Knochen so wichtige Vitamin also nur, wenn man sich regelmäßig draußen aufhält. Um zehn Mikrogramm Vitamin D zu bilden, muss sich ein Mensch mit dem Hauttyp III, also mittelheller Haut, die langsam bräunt und nicht schnell verbrennt von April bis Oktober im Süden zur Mittagszeit mit zu einem Viertel unbedeckter Haut drei bis acht Minuten in der Sonne bleiben.

In den USA geht man dem Problem eines möglichen Vitamin-D-Defizits aus dem Weg, indem man die Hauptnahrungsmittel wie Milch, Organgensaft, manche Brotsorten oder Frühstücksflocken mit Vitamin D anreichert. In Europa ist das aber verboten. Lediglich Margarine und Frühstücksflocken dürfen einen solchen Zusatz enthalten.

So wenig Vitamin D nehmen wir auf

Daten, die Das Max-Rubner-Institut vor einiger Zeit ermittelte, zeigen, dass die größte Menge an Vitamin D über Fisch aufgenommen wird (33 Prozent). Zehn Prozent der nötigen Menge des Vitamins nehmen wir über den Verzehr von Eiern oder aus Fetten wie zum Beispiel Margarine auf. Der Ernährungsbericht aus dem Jahr 2000 offenbarte schon, dass 84 Prozent der Männer und 91 Prozent der Frauen jenseits der 65 nicht die täglich empfohlene Menge an Vitamin D aufnehmen. Rund ein Drittel kommt nicht mal auf die Hälfte der empfohlenen Menge.

Noch gravierender sind die Ergebnisse mit Blick auf die Jugend. Sechs bis Elfjährige Jungen nehmen im Schnitt 1,4 Mikrogramm des wichtigen knochenaufbauenden Vitamins auf. Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys des Robert-Koch-Instituts und des Forschungsinstituts für Kinderernährung weisen darauf hin. Die Jugendmediziner weisen in einer aktuellen Stellungnahme darauf hin, dass Kinder, die im Kleinkindalter zu wenig Vitamin-D bekommen haben ein viermal höheres Risiko haben, später einen Diabetes Typ 1 zu entwickeln.

Eine Studie brachte ans Licht, dass die tägliche Gabe von 50 Mikrogramm dieses Vitamins das Risiko einen Diabetes Typ 1 zu bekommen im Alter von 25 Jahren um bis zu 80 Prozent verringert werden könnte. Ebenso gehen Wissenschaftler und Mediziner davon aus, dass auch die Erkrankungszahlen an Multipler Sklerose zurückgehen würden, würden die Menschen besser mit Vitamin D versorgt.

Das sind die drohenden Gesundheitsrisiken

Deutlich beschreiben Wissenschaftler und Mediziner gleichermaßen, was diese Unterversorgung für gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit junger und älterer Menschen hat: Muskelschwäche und Muskelschmerzen gehören zu den eher harmlosen Symptomen, die sich laut Prof. Dr. Dorothee Volkert von der Universität Erlangen-Nürnberg und Prof. Dr. Heike A. Bischoff-Ferrari von der Klinik für Rheumatologie des Universitätsspitals Zürich leicht innerhalb weniger Wochen durch eine regelmäßige Vitamin D-Gabe beheben lassen.

Gravierender sind hingegen Mineralisationsstörungen der Knochen mit der Folge schneller auftretender Brüche oder Knochen — und Skelettdeformationen. Letztlich setzen wir, unsere Mobilität und damit die Selbständigkeit im Alter aufs Spiel. Das belegen mehrere Studien mit insgesamt über 42.000 Studienteilnehmern. Diskutiert, aber durch Studien bislang unzureichend belegt, ist die positive Auswirkung von Vitamin D auf chronische Krankheiten. Bluthochruck, Diabetes Typ 2 und verschiedenen Krebsarten treten, so die bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesene Annahme, seltener auf, wenn zusätzlich Vitamin D verabreicht wird.

(wat)
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