Wissenschaftliche Studie Vereine verleiten Jugendliche zum Trinken

Düsseldorf · Wissenschaftler stellen fest, dass Jugendliche schnell an Alkohol geraten. Der Landessportbund widerspricht.

In der einen Hand der Pokal, in der anderen schon die Flasche Bier. Die Belohnung im Sport fällt oft alkoholisch aus. Jonas Schneider hatte seinen ersten Vollrausch mit 15 im Vereinsheim. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen — seine Eltern wären zu schockiert. "Sie haben mich mit einer Flasche Apfelschorle am Vereinsheim abgeliefert und waren froh, dass ich gut versorgt war", erklärt der Mönchengladbacher.

"Im Verein wird mehr getrunken"

Das Image des Sportvereins ist gut — hier sollen Heranwachsende in Durchsetzungsvermögen, Fairness und Ausdauer geschult werden. Doch die Realität sieht häufig anders aus. Die Wissenschaftler Professor Wolf-Dietrich Brettschneider und Professor Erin Gerlach kommen in ihrer Kinder- und Jugendstudie "Aufwachsen mit Sport" zu einer erschreckenden Erkenntnis: Hier wird ein Bild gezeichnet vom Sportverein als Ort, an dem das Trinken von Alkohol nicht nur kultiviert, sondern auch gelernt wird. "Jugendliche, die in den Verein eintreten und länger bleiben, werden dort auch an Alkohol herangeführt", sagt Erin Gerlach von der Universität Potsdam und ergänzt: "Im Verein wird mehr getrunken. Aber dass Jugendliche dort auch schon mit Alkohol versorgt werden, bevor sie sich selbst etwas kaufen können, halten wir für problematisch."

Wenn Jonas Schneiders Fußballmannschaft ein Spiel gewonnen hatte, blieb die Saftschorle im Rucksack — stattdessen zischte der Kronkorken. Wenn dann auch noch die Alten Herren im Vereinsheim mitfeierten, kamen zu fortgeschrittener Stunde die Schnäpse auf den Tisch. "Und dann sagst du nicht ,Nein für mich bitte ne kleine Cola'. Dann wäre man in der Gruppe unten durch gewesen", erklärt Jonas. Laut Studie ist der Alkoholkonsum im sportlichen Umfeld gesellschaftlich akzeptiert.

Auch in der Öffentlichkeit sind die Bilder von sportlichen Vorbildern, die sich mit Alkohol belohnen, präsent: So schüttelt Formel 1-Fahrer Sebastian Vettel auf dem Siegertreppchen eine überdimensionierte Champagner-Flasche, die Bayern-Spieler heben vor laufenden Kameras XXL-Weißbiergläser an den Mund, und die eine oder andere Bierdusche ist nach einem sportlichen Triumph im Fernsehen live mitzuverfolgen. Bei den Bildern scheint klar: Sport und Alkohol gehören zusammen. "Im Vereinssport fängt es leider schon bei manchen Eltern an, die mit einer Flasche Bier am Spielfeldrand oder in der Halle stehen und die Kinder anfeuern", sagt Erin Gerlach.

Zehn Jahre lang haben die Wissenschaftler immer wieder dieselben Kinder und später Jugendliche befragt. 1637 Heranwachsende aus Paderborn — von der dritten Klasse bis hin zur Berufsausbildung. Der Landessportbund NRW sieht die Studie hingegen kritisch. "Es wurden nur Heranwachsende in einem Landkreis befragt. Wie die Autoren behaupten können, die Ergebnisse könnten bedenkenlos auf Nordrhein-Westfalen und Deutschland übertragen werden, ist nicht nachvollziehbar", erklärt Frank-Michael Rall vom Landessportbund und ergänzt: "Außerdem wurde in der kompletten Studie weder ein Verein besucht noch Personal aus Vereinen befragt."

Vereine bieten Jugendlichen Halt

Neben dem problematischen Umgang mit Alkohol im Verein kann die Studie jedoch auch Positives vermelden: Denn besonders in kritischen Lebenssituationen der Jugendlichen bietet die Vereinsgemeinschaft Halt. "Die Gruppe beim Sport fungiert als Puffer, zum Beispiel beim Übergang von der Primar- zur Sekundarschule. Wenn schulische Leistungen oder das Selbstbewusstsein plötzlich in Frage gestellt werden oder den Heranwachsenden ihre Bezugsgruppe aus der Primarschule verloren geht", erklärt Gerlach.

In dieser krisenhaften Situation verhindert die Einbindung in eine Sportgruppe, dass die Jugendlichen in ein Loch fallen — eine Leistung, die weder Eltern noch Lehrer erbringen können.

(RP)
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