Umweltschadstoffe belasten Babys Mikroplastik in Muttermilch entdeckt – können Frauen weiter stillen?

Düsseldorf · Stillen ist das Beste für Säuglinge. Diese Gewissheit gerät nun durch die Entdeckung italienischer Forscher ins Wanken. Sie fanden erstmals Mikroplastik in Muttermilch. Wie kommt es dort hinein und sollten Frauen besser nicht mehr stillen?

Stillen ist die beste Ernährung für Säuglinge.

Stillen ist die beste Ernährung für Säuglinge.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

PVC ist vor allem als Bodenbelag bekannt. Aus Polyethylen werden Müllsäcke und Kabelummantelungen hergestellt. Mikrowellengeschirr oder Kleidungsstücke beinhalten Polypropylen. Muttermilch auch, wie italienische Forscher jetzt zeigten. Sie fanden erstmals in Muttermilch kleinste, farbige Mikroplastikteilchen aus PVC, Polyethylen und Polypropylen.

Für ihre Studie untersuchte das italienische Forscherteam der Universität in Ancona 34 Muttermilchproben gesunder Mütter eine Woche nach der Geburt ihrer Kinder. In 76 Prozent der Proben steckten außer den erwarteten gesunden Inhaltsstoffen Plastikteilchen. Oft sind in Kunststoffen schädliche Chemikalien wie Phthalate (Weichmacher) enthalten.

Schon im Jahr 2020 fand das gleiche Forscherteam Plastikteilchen in der mütterlichen Plazenta. Der neuerliche Fund in der Muttermilch versetzt die Wissenschaftler in Sorge. Zumal nicht absehbar ist, welche Folgen dies für die Gesundheit des Nachwuchses haben kann.

Insgesamt weiß man noch zu wenig über die gesundheitlichen Folgen von Mikroplastik. Einzelne Studien weisen darauf hin, dass kleine Partikel größtenteils wieder ausgeschieden werden. Ausgehend von dieser Annahme scheint jedoch dann verwunderlich, warum Mikroplastik auch schon in Organen wie der Lunge oder der Plazenta gefunden wurde. Genau dies belegt eine niederländische Untersuchung, laut der die Partikel auch bis zu den Immunzellen vordringen und sich zudem an Eiweiße und Fette im Körper andocken können.

Im Zusammenhang mit der gerade publizierten Muttermilch-Studie betonen die Experten dennoch, dass Stillen nach wie vor die beste Form der Säuglingsernährung sei. Erst recht vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Untersuchung, die ebenfalls im Jahr 2020 Polypropylen-Fläschchen unter die Lupe nahm. Demnach schlucken mit der Flasche ernährte Säuglinge täglich Millionen Teilchen Mikroplastik. In einem Liter befanden sich laut der Studie der irischen Forscher 16,2 Millionen feinster Plastikpartikel. Diese lösen sich durch die Zubereitung der Babynahrung mit heißem Wasser aus dem Fläschchen.

Was dem Umweltverband „Bund“ Sorge bereitet: Insgesamt scheinen Babys Plastik und Schadstoffen noch stärker ausgesetzt als Erwachsene. Sogar schon vor der Geburt. Dabei beziehen sich die Umweltschützer auf Forschungsergebnisse, laut derer sich bereits im allerersten Stuhlgang Neugeborener, auch Mekonium genannt, vereinzelt Mikroplastikpartikel fanden. Auch im Stuhl von Babys innerhalb des ersten Lebensjahres steckten PET-Partikel. Deren Menge lag in etwa 14-mal so hoch wie bei den Erwachsenen.

Als Mikroplastik werden feste und unlösliche synthetische Polymere (Kunststoffe) bezeichnet, die kleiner als fünf Millimeter sind. Mikroplastik hat oft nur eine Größe von 0,001 Millimetern. Zur Einordnung: Eine menschliche Schweißdrüse hat einen Durchmesser von 0,4 Millimeter.

Die kleinsten Plastikteilchen gelangen dabei unter anderem über Plastikflaschen beim Trinken in unseren Magen-Darm-Trakt und werden inzwischen in allen Tiefen des Meeres nachgewiesen und von Plankton, Muscheln, Fischen und Seevögeln aufgenommen. Über die Nahrungskette nimmt der Mensch sie dann selbst wieder auf.

Auch Kosmetik wie Cremes, Peelings und Highlighter beinhalten häufig kleinste Plastikteilchen. Es wird angenommen, dass diese die Haut passieren können und so in den menschlichen Organismus gelangen. Nicht absehbar groß ist das Risiko, die Teilchen fernab der Ernährung einfach über das allgegenwärtige Vorkommen von Mikroplastik in der Umwelt aufzunehmen.

Die jüngste Muttermilch-Studie der italienischen Wissenschaftler könnte diese These untermauern. Die Forscher stellten nämlich fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Auffinden der Plastikteilchen in der Muttermilch und dem mütterlichen Ernährungs- oder Konsumverhalten gab. Kurzum: Es hatte also keine Auswirkungen, ob die Mütter Speisen und Getränke aus Plastikverpackungen aßen, Meeresfrüchte zu sich nahmen oder plastikhaltige Kosmetik- und Pflegeprodukte benutzten.

Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass das Vorhandensein von Mikroplastik in der Umwelt „eine Exposition des Menschen unvermeidlich macht“, wie die an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin Valentina Notarstefano sagt.

Alleine auf Grund der Erkenntnisse aus ihren Studien drängen die italienischen Forscher nach dem Fund in der Muttermilch darauf, Möglichkeiten zu finden, um die Belastung in Schwangerschaft und Stillzeit zu minimieren. Zudem müsse mehr öffentliches Bewusstsein für die Problematik geschaffen werden. Die Politik sei gefragt, Maßnahmen zu treffen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren.

Das Problem mit Mikroplastik ist nicht das einzige: Umweltschadstoffe sind ein zunehmendes Problem, das bereits die Kleinsten belastet. Dazu zählen auch Weichmacher. Bei Urin-Untersuchungen von über 2000 Kindern und Jugendlichen aus Deutschland fiel auf, dass Drei- bis Fünfjährige rund zwei- bis dreimal stärker mit dem Weichmacher DEHTP belastet sind als die untersuchten Jugendlichen. DEHTP kommt laut Informationen des Bundesumweltministeriums als Ersatz für den seit 2007 zum Schutz der Gesundheit von Kindern in Babyartikeln und Kinderspielzeug verbotenen Weichmacher DEHP zum Einsatz.

Eine mögliche Erklärung für die stärkere Belastung kleinerer Kinder: Bezogen auf ihr Körpergewicht nehmen kleine Kinder deutlich mehr Nahrung auf als Erwachsene, wie Toxikologin Marike Kolossa-Gehring vom Umweltbundesamt gegenüber dem Online-Portal „riffreporter“ berichtet. Damit gelangen auch mehr Schadstoffe in ihren Organismus.

Doch was können Schwangere tun, um sich und ihr Baby zu schützen?

„Wir raten Schwangeren, plastikverpackte Lebensmittel und Getränke, Kosmetika und Zahnpasten mit Mikroplastik sowie Kleidung aus synthetischen Stoffen besser zu vermeiden“, sagt Studienautorin Valentina Notarstefano. Gleiches empfiehlt sich selbstredend auch über die Zeit der Schwangerschaft und des Stillens hinaus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort