Überlastete Kreißsäle Warum eine Hebamme davor warnt, an Ostern schwanger zu werden

Düsseldorf · Die Fruchtblase platzt, aber der Kreißsaal ist überfüllt und die Hebammen sind überlastet - in Deutschland kommt das regelmäßig vor. Eine Hebamme rät Paaren deshalb dazu, den Zeugungstermin bewusst zu planen. Sie hat dafür sogar eine App entwickelt. Wir haben mit ihr gesprochen.

 Ein Paar liegt nebeneinander im Bett (Symbolbild).

Ein Paar liegt nebeneinander im Bett (Symbolbild).

Foto: Olga Danylenko/ Shutterstock.com

Schon letztes Jahr haben Sie gesagt, "Zeugen Sie kein Kind zu Ostern", jetzt sagen Sie, achten Sie das ganze Jahr darauf, wann Sie Kinder zeugen. Warum?

Christine Küsters-Niersmann Die Situation ist noch schlimmer geworden. Im vergangenen Jahr sind noch mehr Geburtskliniken geschlossen worden und noch mehr Hebammen haben ihren Job verloren. In der Folge muss eine Hebamme oft fünf gebärende Frauen gleichzeitig betreuen. Das bedeutet, dass eine Frau während der Geburt 50 Minuten pro Stunde mit ihrem Mann alleine ist, ohne Experten im Raum. Wenn Kreißsaal und Wehenzimmer voll sind, kann es auch sein, dass eine Frau in den Wehen einfach weggeschickt wird.

 Der Zeug-o-mat zeigt, wann eine Frau ungefähr fruchtbar ist und wie es um den errechneten Geburtstermin in ihrem Bundesland mit der Hebammenversorgung aussehen wird.

Der Zeug-o-mat zeigt, wann eine Frau ungefähr fruchtbar ist und wie es um den errechneten Geburtstermin in ihrem Bundesland mit der Hebammenversorgung aussehen wird.

Foto: Screenshot Zeug-o-mat

Was ist die krasseste Geschichte, die Sie in den vergangenen Monaten aus dem Krankenhaus gehört haben?

Küsters-Niersmann Ich bin freiberufliche Hebamme, betreue Eltern also zu Hause. Die Eltern erzählen mir aber von ihren Erlebnissen. Am meisten in Erinnerung geblieben ist mir die Erzählung von einem Vater, der die gesamte Geburt über quasi allein mit seiner Frau im Kreißsaal war. Die Hebamme musste zwischen verschiedenen Geburten hin und her springen und hat ihm immer nur zugerufen, sie würde gleich zu ihnen kommen. Am Ende war der Mann mit seiner Frau in den Wehen zehn Stunden fast alleine, bis das Kind gekommen ist. Dafür kam die Hebamme dann allerdings dazu.

Sie sagen aber auch, dass das zu manchen Zeiten schlimmer ist als an anderen.

Küsters-Niersmann Ja. Zu den Feiertagen wie etwa Weihnachten und Silvester ist der Versorgungsmangel besonders hoch. Deshalb habe ich den "Zeug-o-mat" entwickelt. Eine Frau kann dort ihren Zyklus eingeben, wann sie schwanger werden möchte, sowie das Bundesland, in dem sie lebt. Und dann wird berechnet, wie die Versorgung im Krankenhaus rund um den Geburtstermin einzuschätzen ist.

 Christine Küsters-Niersmann ist freiberufliche Hebamme in Kerken.

Christine Küsters-Niersmann ist freiberufliche Hebamme in Kerken.

Foto: Christine Küsters

Das ist zuverlässig?

Küsters-Niersmann Die Berechnung und die Versorgungsdaten sind zuverlässig, ja, aber natürlich muss man einräumen, dass sich eine Geburt nicht auf den Tag genau festlegen lässt. Außerdem gibt es Paare, die schon lange versuchen, Kinder zu kriegen, und die sich danach nicht richten wollen und können.

Zu welcher Zeit sollte man Ihrer Meinung nach keine Kinder kriegen?

Küsters-Niersmann Ich würde sagen: Bitte zeugen Sie keine Kinder zu Ostern. Das würde nämlich bedeuten, dass das Kind rund um den Jahreswechsel auf die Welt kommt, und da herrscht in Krankenhäusern immer ein Engpass.

Sex ist wohl bei den meisten Paaren nichts, was man so plant. Würden Sie selbst wirklich so einen Aufwand betreiben?

Küsters-Niersmann Wenn ich einen Kinderwunsch hätte, würde ich das heutzutage planen, ja. Wenn ich sehe, dass ich mit der Geburt auf den 2. Januar fallen würde, dann würde ich an dem Wochenende lieber nochmal verhüten und zusehen, dass mein Kind Anfang Februar kommt. Da bin ich mit der Versorgung relativ sicher.

Welche Konsequenzen hat es denn, wenn Eltern bei der Geburt alleine gelassen werden?

Küsters-Niersmann Viele gehen völlig traumatisiert aus dieser Situation. Sie weinen viel und wollen keine Kinder mehr, weil sie das Erlebnis überfordert hat. Bei einer Geburt geht es ja nicht nur darum, dass Mutter und Kind gesund bleiben, sondern auch darum, dass sich die Mutter wohl und behütet fühlt. Das ist auch kein esoterischer Unsinn, sondern Studien zeigen, dass die Geburt für Mutter und Kind und auch das Wohlergehen des Kindes dann am besten ist, wenn es bei der Geburt eine Eins-zu-eins-Versorgung gibt. Eine Hebamme, die während der Wehen dabei sitzt und strickt, hat eine überaus beruhigende Wirkung auf Mutter und Baby.

Was müsste sich ändern?

Küsters-Niersmann Es müsste einen Gesundheitsfonds geben, damit die hohen Kosten für die Haftpflichtversicherung nicht mehr von den Krankenhäusern oder Hebammen alleine getragen werden müssen. Außerdem müssten Geburten nach Aufwand bezahlt werden. Eine Geburt kann bis zu 30 Stunden dauern, trotzdem wird sie als Fallpauschale in etwa wie eine Blinddarm-Entfernung berechnet - die dauert aber nur ungefähr 45 Minuten.

(ham)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Abtreibung
Debatte um Werbeverbot für SchwangerschaftsabbrücheAbtreibung