Psychologin berät junge Eltern Zeit nach der Geburt ist „natürliche Krise“ für die Partnerschaft

Dinslaken  · Wenn das Baby da ist, wird alles wundervoll. Die Zweierbeziehung geht eigentlich so weiter wie bisher, nur dass alles noch viel schöner ist, und ... ja, von wegen! Ein Kind zu bekommen ist eine „natürliche Krise“ für jede Partnerschaft.

 Manchmal läuft nach der Geburt einiges anders, als es sich die Eltern vorgestellt haben.

Manchmal läuft nach der Geburt einiges anders, als es sich die Eltern vorgestellt haben.

Foto: dpa // Frank May

Die Geburt eines Kindes – in den meisten Fällen ist es ja die Ankunft eines Wunschkindes – ist für viele Paare eines der schönsten, wichtigsten, größten Ereignisse ihres Lebens. Aber dann, bei aller Freude, läuft irgendwie alles ganz anders, als man sich das vorgestellt hat. Gefühle, Sexualität, Arbeitsaufteilung, Ziele und die Überzeugung davon, wie man als Paar und Eltern eigentlich sein will – irgendwie ist alles aus dem Lot.

Wenn das so ist, dann ist das vor allem eines: normal, sagt die Psychologin Carolin Landers, Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Dinslaken und Wesel. „Für Paare, die zu uns kommen, ist es oft eine große Entlastung, wenn wir ihnen das sagen“, erklärt sie. Nicht selten hätten Eltern nämlich bis dahin das Gefühl: „Bei allen anderen um uns herum scheint es zu klappen, bei uns nicht.“ Dabei stimmt das überhaupt nicht. Aber über das Glück, das mit dem Kind kommt, wird vielleicht häufiger offen gesprochen als über die Schwierigkeiten.

Die Zeit nach der Geburt eines Babys sei eine „natürliche Krise“ im Leben. Was nicht rein negativ zu verstehen sei: Es sei eine Übergangsphase, „in der das, was mal war, nicht mehr ist und das Neue noch nicht etabliert ist“, beschreibt Landers. Die Gefühle, die es auf einmal gibt, und die Alltagssorgen – das sei für alle komplett neues, unbekanntes Terrain.

 Psychologin Carolin Landers berät Menschen in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung.

Psychologin Carolin Landers berät Menschen in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung.

Foto: Zehrfeld

Zur großen Veränderung, jetzt eine Familie zu sein, kommen die ganz praktischen Umstände, die die Lage verschärfen. Junge Eltern haben weniger Zeit füreinander. Es gibt weniger Austausch, weniger Zärtlichkeit, weniger Sexualität. „Die Wertschätzung füreinander leidet dann oft. Und dann kann sich das Bild von Partner oder Partnerin verändern“, sagt Carolin Landers.

„Was auf der Strecke bleibt, ist oft ein emotionales Update“: echter Austausch darüber, wie es einem geht und was man gerade braucht. „Was dadurch weniger wird, ist das Wir-Gefühl. Und was zunimmt, ist ein Gefühl von innerlicher Distanzierung und Entfremdung“, schildert Landers weiter. „Wenn man den anderen als nicht so präsent erfährt, kann das als mangelndes Commitment zur Beziehung gedeutet werden.“ Grob zusammengefasst: Am Ende fühlen sich beide allein gelassen und glauben, es läge am jeweils anderen.

Bemerkenswert häufig funkt jungen Eltern ein interessantes Phänomen dazwischen: „Plötzlich werden alte Rollenbilder aus den Herkunftsfamilien reaktiviert.“ Eine gewisse Logik hat das: Wenn man auf dem besagten „unbekannten Terrain“ improvisieren muss, dann hält man sich irgendwie an das, was man mal kennengelernt hat. „Das ist oft ein ganz unbewusstes Zurückgreifen auf alte Muster – die allerdings dem eigentlich aktuellen, bewussten Beziehungsideal widersprechen“, erklärt die Psychologin.

Ganz konkret nehmen sich beispielsweise viele Eltern vor, sich die Sorge-Arbeit, den Haushalt und alles andere ganz ebenbürtig aufzuteilen. Aber irgendwie klappt das dann einfach nicht. Gleichgeschlechtliche Paare haben speziell dieses Problem übrigens etwas seltener als heterosexuelle. Dafür müssen sie sich häufiger mit komplizierten Emotionen rund um natürliche Elternschaft oder Adoption befassen.

An vielen Stellschrauben lässt sich drehen, um besser durch diese Zeit zu kommen, sagt Carolin Landers. Sich Raum und Zeit zu schaffen, um sich noch als Paar zu erleben, „das ist sicher eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben“.

Über Rollenbilder und Arbeitsaufteilung gilt es zu diskutieren – und zwar immer wieder und wieder. „Da ist manchmal die Erwartung: Es läuft schon irgendwie“, sagt Landers. Tatsächlich aber gehe es bei der Sache „durchaus auch um intensives Verhandeln“, macht sie klar. Und selbst, wenn man glaubt, passende Lösungen gefunden zu haben, sollte man die immer wieder auf den Prüfstand stellen: Funktioniert unser Modell noch? Fühlt sich das wirklich „richtig“ an? Nein? Dann muss ein neues her.

In Diskussionen sollte man einander besser weniger Vorwürfe machen und mehr verdeutlichen, was man gerade als hilfreich empfände. „Ein Mythos ist: Der andere müsste doch wissen, was ich brauche“, betont Landers. Das stimme einfach nicht: In dieser Umbruchphase brauche man auch für den geliebten Menschen „eine Art Anleitung“. Das gilt nicht zuletzt fürs Feld der Intimität, die sich vielleicht anders gestaltet als früher. Auch dafür müsse man offen sein. „Es geht eigentlich darum, sich ständig neu zu definieren, um ein Paar zu bleiben“, fasst es Landers zusammen.

Und man sollte sich klarmachen: Das alles ist nicht unbedingt leicht. Landers regt an, kurzfristig und regelmäßig darüber sprechen, welche Situationen man schwierig fand. Erstens, um Missverständnisse aufzulösen. Zweitens, um einander Dinge zu verzeihen. Damit man sich nicht bei der Goldenen Hochzeit noch gegenseitig vorwerfen muss, dass der andere in dieser oder jener Zeit nie da war.

Carolin Landers und ihre Kolleginnen helfen, wenn es kriselt. Viel lieber aber würde sie vorbeugen statt heilen: Die Psychologin lädt Eltern in spe ausdrücklich ein, schon vor der Familiengründung mal in der Beratungsstelle vorbeizuschauen.

„Wir hoffen, dass unser Angebot noch präventiver genutzt wird“, sagt Carolin Landers. „Dass ein Paar im Vorhinein sagt: Okay, da kann einiges auf uns zukommen. Da holen wir uns doch Moderation.“

  • Carolin Landers ist Psychologin, systemische Familientherapeutin und systemisch-integrative Paartherapeutin und seit sieben Jahren bei der Ehe-, Familien- und Lebensberatung des Bistums Münster und heute Leiterin des Teams für die Standorte Dinslaken und Wesel.
  • Die Beratungsstelle Dinslaken liegt an der Danziger Straße 3, Telefon 02064 58645, montags und mittwochs 8 bis 12 Uhr, dienstags und donnerstags 15 bis 18.30 Uhr.
  • Die Beratungsstelle Wesel liegt an der Sandstraße 24, Telefon 0281 25090, montags 14 bis 18 Uhr, dienstags 9 bis 12 Uhr, donnerstags 14 bis 18 Uhr.
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