Selbstverletzung kann Zeichen für Hänselung sein Das richtet Mobbing bei Kindern an

Düsseldorf/London · Angst, Schlafstörungen oder gar Selbstmord: Mobbing ist ein ernstes Thema. Doch wissenschaftlich untersucht hat es bisher kaum jemand. Londoner Forscher wagten einen Vorstoß und fanden heraus, dass gemobbte Kinder dreimal häufiger dazu neigen, sich selbst zu verletzen.

Das ist Mobbing
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Foto: Archiv/dpa-tmn

Rangeleien und Streitereien gibt es überall. Sie gehören zum Schulalltag. Doch Mobbing geht darüber hinaus: Experten definieren es als aggressives Verhalten gegen einen anderen, das über längere Zeit hinweg andauert. Ein einzelner wird gequält, ausgegrenzt und schikaniert.

Wissenschaftler in Deutschland gehen davon aus, dass jedes sechste Kind zum Mobbingopfer wird. In Großbritannien hat eine Studie ergeben, dass diese Schätzzahl höher liegen mag: Dort ist es jedes vierte Kind, das im Laufe seiner Schulzeit gemobbt wird.

Grausamkeiten gegen einzelne

Das Spektrum der Grausamkeiten, die diese Kinder durchleben ist unvorstellbar. Es reicht von verbalen Attacken mit verletzenden Aussprüchen über vollkommenes Ignorieren der gemobbten Person, bis hin zu körperlichen Angriffen wie Tritten, Schlägen, Schneiden, Beißen, Ausreißen von Haarbüscheln oder Strangulation. Neben solchen Angriffen droht Kindern und Jugendlichen auch der gemeine Angriff aus dem Internet: Jeder dritte Jugendliche ist schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden, stellt eine Studie der Techniker Krankenkasse fest.

Der Schmerz, den die Kinder seelisch erfahren scheint sich nach den Ergebnissen der britischen Studie oft in schrecklicher Art und Weise seinen Weg nach außen zu suchen. Kinder, die in der Kindheit gemobbt werden, neigen bis zu einem Alter von zwölf Jahren häufiger zu Selbstverletzungen. Von 2141 Kindern, die dafür untersucht wurden, sagte jedes neunte im Alter von zwölf Jahren, dass es in der Schule gemobbt werde. Die Mütter jedes sechsten dieser Kinder gaben an, sie denke, dass ihr Kind ein Mobbingopfer sei.

Mobbing zeigt sich körperlich und psychisch

Auch die Angriffe aus dem Internet bleiben nicht folgenlos. Die Jugendlichen, die für die Studie der Krankenkasse befragt wurden, gaben in 66 Prozent der Fälle an wütend zu sein, jeder Fünfte war verzweifelt und fühlte sich hilflos. Bei 18 Prozent der Teenager kam es zu Schlafstörungen und Kopf-sowie Bauchschmerzen. "Bei den betroffenen Schülern führt Mobbing nicht nur zu einer Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit", erklärt Bildungsexperte Dr. Karl Gebauer. Auch ist bekannt, dass Kinder, die zu Mobbingopfern werden eher unter Angststörungen und Depressionen leiden. Sie zeigen schneller Verhaltensauffälligkeiten oder Psychosen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie stellt heraus, dass Mobbing von Niedergeschlagenheit, Lernschwierigkeiten und Isolation bis hin zu Selbstmordversuchen führen kann.

Nach der Londoner Studie liegt nun die Vermutung nahe, dass betroffene Kinder auch schneller Selbstverletzungen vornehmen als andere. Als Risikofaktoren für selbstverletzende Handlungen sind schwierige Familienverhältnisse bekannt, ein niedriger IQ, Misshandlungen oder Verhaltensprobleme. In Zukunft werden nach den Studienergebnissen Psychologen und Psychiater aber auch Mobbing als weitere auslösende Ursache in Betracht ziehen.

Mobbing unmittelbar begegnen

Außerdem fordern die Autoren, effektivere Programme zur Verhinderung von Mobbing in Schulen zu entwickeln, um betroffenen Kindern alternative Strategien an die Hand zu geben und ihnen unmittelbar zu helfen. Doch auch Eltern und Lehrer können im Mobbingfall aktiv werden. Die beteiligte Personen — auch die Täter — senden fast immer Signale. Diese, sagt Dr. Karl Gebauer müssten von den Erwachsenen wahrgenommen, gedeutet und als Ausgangspunkt für Klärungsgespräche genutzt werden.

Auch deutsche Wissenschaftler ergründen das Thema Mobbing: Seit Januar 2011 arbeitet an der Universität Hohenheim eine Forschergruppe zum Thema Cyber-Mobbing, um Spekulationen durch harte Fakten ersetzen. Pädagogin Ruth Festl und ihr interdisziplinäres Team aus Kommunikationswissenschaftlern und Psychologen haben ein klares Ziel vor Augen: Interventionsstrategien gegen Cyber-Mobbing für die Schul- und Jugendarbeit. Damit wollen sie das Problem an der Wurzel packen. Allerdings werden diese Ergebnisse erst in drei Jahren erwartet.

Hilfe finden Betroffene oft direkt in der Schule. Dort sind meist Anlaufstellen und soziale Ansprechpartner, Sozialpädagogen oder Lehrkräfte, die speziell ausgebildet wurden und sich als Ansprechpartner zur Verfügung stellen.

Darüber hinaus findet man auch bei Sozialstellen kirchlicher Träger wie Diakonie, Johanniter oder Cartias eine erste Hilfestelle. Auch Psychologen können weiterhelfen und das Problem aufarbeiten und den betroffenen Kindern helfen, Strategien zu entwickeln, die ihnen dauerhaft helfen. Eine Psychotherapie hilft zudem, die Folgen des Mobbings zu bewältigen und neu durchstarten zu können.

(wat)
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