Studie "Gesundheit in Deutschland" Armut macht krank

Berlin · Das Robert-Koch-Institut hat einen Mammutbericht zum Gesundheitszustand der Deutschen herausgegeben. Demnach bestimmt vor allem der soziale und wirtschaftliche Status, wie gut es den Menschen geht. Ein Lagebild.

 Frau beim Hausarzt (Archivbild)

Frau beim Hausarzt (Archivbild)

Foto: dpa

Von wegen "Früher war alles besser": Die Bevölkerung der Bundesrepublik fühlt sich heute mehrheitlich deutlich gesünder als vor 20 Jahren. Drei Viertel der Bundesbürger schätzen ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut ein - und das bei einer steigenden Lebenserwartung. Das geht aus dem fast 500 Seiten starken Bericht "Gesundheit in Deutschland" hervor, den das renommierte Robert-Koch-Institut gestern in Berlin vorgelegt hat. So gibt es weniger Neuerkrankungen an Krebs, die Sterblichkeitsrate ist deutlich zurückgegangen.

Aber es gibt auch schlechte Nachrichten in dem Mammutwerk: Angesichts der im Schnitt deutlich verbesserten Lebensumstände im wiedervereinigten Deutschland ist die Wohlstandskrankheit Diabetes mit alarmierendem Tempo auf dem Vormarsch. Wir geben einen Überblick über die Entwicklung der wichtigsten Krankheiten in den vergangenen Jahren.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Fast 40 Prozent aller Todesfälle in Deutschland gingen auf Herzinfarkte oder Schlaganfälle zurück, melden die Forscher des Robert-Koch-Instituts. Das ist mit Abstand die häufigste Todesursache hierzulande. Doch seit dem ersten Bericht aus dem Jahr 1998 hat sich die Zahl der Neuerkrankungen deutlich reduziert. Und auch die Sterblichkeit ist zurückgegangen.

Die Wissenschaftler führen das auf eine deutlich verbesserte Früherkennung, Versorgung und bessere Therapiemöglichkeiten zurück. So seien im Jahr 1995 erste "Stroke Units" entstanden, die sich auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisiert haben. 2010 gab es bereits mehr als 400 solcher Einheiten in deutschen Krankenhäusern, und jeder zweite Patient konnte in einer Stroke Unit behandelt werden.

Entwarnung gibt es vom Robert-Koch-Institut jedoch nicht. Denn noch immer ist die Zahl der Bürger, die unter einer chronischen Herzkrankheit leiden, sowie die Zahl derjenigen, die schon einen Schlaganfall überlebt haben, unverändert hoch. Das Risiko dieser Krankheitsbilder bleibt also bestehen. Und wegen ihrer Häufigkeit (2013 wurden knapp 300.000 Schlaganfallpatienten in Deutschland behandelt) stellten sie hohe Anforderungen an die gesundheitliche Versorgung im Land, so das Robert-Koch-Institut. Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung seien sehr wirksame Präventionsmaßnahmen.

Krebs
Die gute Nachricht vorweg: Die Zahl neuer Krebsfälle ist im Zeitraum der vergangenen 20 Jahre kontinuierlich zurückgegangen - allerdings mit der Einschränkung, dass das nur altersbereinigt gilt. Es gibt also in der Gruppe jüngerer Bundesbürger deutlich weniger Neuerkrankungen als früher, insgesamt ist die Zahl der Krebspatienten wegen der weiteren Alterung der Gesellschaft aber gestiegen.

Fast eine halbe Million Menschen ist im Jahr 2011 an Krebs erkrankt, das sind etwa 65.000 mehr als um die Jahrtausendwende. Deutlich zugenommen, auch altersbereinigt, hat aber die Zahl der Brustkrebspatientinnen. Von 2001 bis 2011 stiegen die diagnostizierten Fälle um neun Prozent - wohl auch, weil sich die Erkennungsmethoden verbessert haben und mehr Frauen zur Vorsorgeuntersuchung gehen.

Und auch beim Lungenkrebs sind die Zahlen der weiblichen Patientinnen nicht rückläufig. 17.600 Erkrankungsfälle wurden 2011 gezählt, ein Anstieg gegenüber 2001 von knapp 38 Prozent. Zahlenmäßig liegen die Männer zwar mit gut 35.000 Fällen vorn, die Erkrankungsrate ging seit 2001 aber um knapp 15 Prozent zurück. Die Forscher nennen als Hauptgrund die gegenläufigen Bewegungen beim Rauchverhalten: Heute rauchen Frauen häufiger als Männer, die Zahlen der Krebsfälle nähern sich also einander an.

Bei Kindern unter 15 Jahren liegt die Zahl der Krebsfälle pro Jahr bei 1800, die Sterblichkeit ist jedoch in den vergangenen 30 Jahren stark zurückgegangen, schreibt das Robert-Koch-Institut.

Diabetes
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der den Bericht gestern gemeinsam mit dem Chef des Instituts, Lothar Wieler, vorstellte, schlägt beim Thema Diabetes Alarm. So sei bei rund 4,6 Millionen Menschen in Deutschland Diabetes bekannt, das sind 7,2 Prozent aller Erwachsenen zwischen 18 und 79 Jahren. Die Zahl der Neuerkrankungen wachse jährlich, der demografische Wandel sei daran aber nur bedingt schuld. 30 Prozent des Anstiegs würden auf die demografische Entwicklung zurückgehen. Ein wesentlicher Risikofaktor, an Diabetes zu erkranken, ist Übergewicht. Laut Robert-Koch-Institut ist heute rund ein Viertel aller Erwachsenen übergewichtig, bei Kindern sind es schon sechs Prozent. Gerade bei Menschen mit niedrigerem sozialen Status sei starkes Übergewicht recht weit verbreitet, sagte Gröhe. Er kündigte an, nun ein nationales Diabetes-Überwachungssystem einzurichten. Denn bisher wisse man zu wenig über die Krankheit, so der Minister.

Soziale Unterschiede
Nicht nur bei Diabeteserkrankungen zählt der Grundsatz: Wer einen schlechten sozioökonomischen Stand hat, erkrankt häufiger und hat auch eine deutlich niedrigere Lebenserwartung. So würden Frauen dieser Gruppe im Durchschnitt etwa acht Jahre früher sterben, Männer sogar elf. Insgesamt liege die Lebenserwartung in Deutschland für heute geborene Mädchen im Mittel bei 82,7 Jahren, für Jungen bei 77,7 Jahren, so das Robert-Koch-Institut. Dass es Unterschiede je nach Status gibt, führen die Forscher etwa auf den Bildungsgrad zurück. So hätten Menschen mit geringer Schulbildung bei Prävention und gesundheitlicher Aufklärung Defizite. Sie erkennen Krankheiten weniger schnell. Und auch das verfügbare Einkommen habe Einfluss auf die Behandlungsmöglichkeiten, hieß es. Besonders drastisch ist, dass der sozioökonomische Status des Elternhauses auch prägend für die Gesundheit der nachwachsenden Generation ist.

(jd)
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