Bonn Reproduktionsmedizin gilt heute nicht mehr als anstößig

Bonn · Künstliche Befruchtung und Retortenbabies: Die Wahrnehmung der Reproduktionsmedizin in Deutschland hat sich nach Auffassung des Kulturwissenschaftlers Andreas Bernard komplett gewandelt. Noch in den 90er Jahren habe die Reagenzglasbefruchtung als künstlich gegolten. "Es gab die Angst, dass diese Techniken den Kern des Menschlichen bedrohen", sagte der Buchautor. In den 1990er Jahren sei dann das Wort "Wunschkind" beziehungsweise "Kinderwunschbehandlung" aufgekommen. "Es rückte das Drama der Unfruchtbarkeit in den Vordergrund und die Möglichkeit, diesen Paaren zu helfen." Das Künstliche spiele in der Wahrnehmung heute kaum noch eine Rolle. "Es geht um die Erfüllung eines zutiefst menschlichen Wunsches."

Bernard ist Kulturwissenschaftler am Center for Digital Cultures an der Leuphana-Universität Lüneburg. Nach Meinung des Autors stützt die Reproduktionsmedizin die bürgerliche Familie. "Paare, die früher keine Familie gründen konnten, sei es, weil sie unfruchtbar oder weil sie homosexuell sind, beleben, wenn sie nun Eltern werden, das ausgezehrte Modell Familie", sagte er. Selbst Lebensformen, die früher einmal aus einer Distanz gegenüber den Konventionen entstanden seien, hätten die bürgerliche Familie wieder zur vollen Blüte gebracht oder sogar übertrumpft.

"Wenn gleichgeschlechtliche Paare heute als Musterfamilien leben, dann hat das aber auch etwas Merkwürdiges, wenn man bedenkt, wofür die Schwulenbewegung einst angetreten ist."

(kna)
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