Psychologie Verbitterung kann krank machen

Bonn/Berlin · Kränkungen und Enttäuschungen können die Psyche aus dem Gleichgewicht bringen. Manche Betroffene finden aus der Verbitterung jedoch alleine nicht mehr heraus.

 Eine große Ungerechtigkeit oder einen Vertrauensbruch kann die Krankheit auslösen. (Symbolbild)

Eine große Ungerechtigkeit oder einen Vertrauensbruch kann die Krankheit auslösen. (Symbolbild)

Foto: picture alliance / PIXSELL/Shutterstock/Themalni

Seit mehr als 20 Jahren arbeitet die 52-Jährige als Verkäuferin in einem kleinen Familienunternehmen. Sie opfert sich für den Betrieb auf und fühlt sich als Teil der Familie. Dann übergibt ihr plötzlich ein Bote einen Brief mit ihrer Kündigung. Niemand hat mit ihr geredet. Für sie bricht eine Welt zusammen. Sie ist zutiefst gekränkt, weint tagelang, geht nicht mehr zur Arbeit, verlässt kaum noch das Haus und zieht sich immer weiter zurück. Sie bekommt Schlafstörungen, kann sich zu nichts mehr aufraffen und wird depressiv. Die Patientin leidet an einer posttraumatischen Verbitterungsstörung. Nach Schätzungen von Experten sind drei bis fünf Prozent der Bevölkerung betroffen.

Bei der sogenannten PTED (Posttraumatic Embitterment Disorder) handelt es sich laut Definition um eine schwere psychische Erkrankung, die durch eine Kränkung, eine Ungerechtigkeit oder einen Vertrauensbruch ausgelöst wurde.

„Ein einschneidendes, tief verletzendes Ereignis hat zu hilfloser Verbitterung geführt, die man danach nicht mehr los wird“, erläutert der Psychiater und Psychotherapeut Michael Linden, der die 52-jährige Patientin behandelt hat. Er leitet an der Berliner Charité die Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation und hat viel zu diesem Thema publiziert. Auf ihn und sein Team geht der Begriff der posttraumatischen Verbitterungsstörung maßgeblich zurück.

Aufmerksam auf das Problem wurde Linden nach 1989. Immer wieder begegnete er Patienten, die sich als „Verlierer der Wende“ betrachteten, weil sie im vereinten Deutschland beruflich nicht Fuß fassen konnten und sich missverstanden fühlten. „Verbitterung kann anstecken und ganze Bevölkerungsgruppen infizieren“, sagt Linden.

Dabei ist chronische Verbitterung längst nichts Neues. „Verbittert ist der schwer zu Versöhnende, der lange den Zorn festhielt“, schrieb schon der antike Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.). Im Alten Testament erschlägt Kain seinen Bruder Abel aus Verbitterung darüber, dass Gott das Opfer Abels annimmt, während er Kains verschmäht. Und in Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ hat der fanatische Kapitän Ahab bei der Jagd auf den weißen Wal nur das eine Ziel: Rache zu nehmen an Moby Dick, durch den er sein Bein verloren hat.

Bei Patienten mit dem Thema Verbitterung zu arbeiten, hält auch Alexandra Philipsen für sinnvoll, die die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Bonn leitet: „Wir haben es oft mit Menschen zu tun, die verbittert sind. Dabei ist es natürlich wichtig, über Kränkungen und Traumata in ihrer Vergangenheit zu sprechen.“

Allerdings reibt sie sich etwas an dem Begriff der posttraumatischen Verbitterungsstörung. „Die Frage ist: Wann genau liegt ein Trauma vor?“ Ein Trauma werde durch ein einschneidendes Ereignis von katastrophalem Ausmaß ausgelöst: etwa eine Vergewaltigung oder den gewaltsamen Tod eines Angehörigen durch Bombenangriff oder ein Erdbeben. „Das ist etwas anderes als der Mauerfall oder eine Kündigung.“ Sie selbst spricht daher lieber von einer „Anpassungsstörung“. Besonders gefährdet seien Menschen mit „narzisstischer Prägung“.

Doch einig ist sie sich mit Linden darin, dass der Patient während der Therapie lernen muss, loszulassen und sich für neue Lebenswege zu öffnen. Es sei wichtig, den Blick auf das Geschehene so zu verändern, dass man sich selbst in die Lage versetzt, aus seiner Verbitterung herauszufinden, sagt Linden. Und zitiert den amerikanischen Schriftsteller Mark Twain, Autor von „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“: „Enttäuschungen sollte man verbrennen, nicht einbalsamieren.“

(epd)
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