Kinder und Jugendliche Was gegen die Internetsucht hilft

Berlin/Düsseldorf · Rund 300.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland nutzen das Internet exzessiv, hat eine aktuelle Studie gezeigt. Experten sehen diesen Zustand mit Sorge und raten zu klaren Regeln.

Das Smartphone in der Hosentasche verleitet dazu, immer online zu sein. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, weil sie den Umgang damit erst noch lernen müssen, einen Großteil ihrer Schul- und Freizeit aber bereits im Netz verbringen. Experten warnen vor dem Suchtrisiko durch die ständige Präsenz des Internets. Ab wann sind Kinder abhängig, wie lässt sich das verhindern, und was kann getan werden, wenn alarmierende Symptome bereits auftauchen? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Das On- und Offline-Leben ist bei Kindern und Jugendlichen oft nicht mehr voneinander getrennt. Fast jeder zehnte junge Smartphone-Besitzer (acht Prozent) ist gar suchtgefährdet. Das ergab eine aktuelle Studie im Auftrag der Landesmedienanstalt NRW. Fast die Hälfte der befragten Acht- bis 14-Jährigen gibt zu, durch das Handy abgelenkt zu werden, etwa von Hausaufgaben (48 Prozent), oder unüberlegt persönliche Daten preiszugeben (43 Prozent). Jeder Vierte fühlt sich durch die permanente Kommunikation über Chat-Dienste gestresst (24 Prozent). Bei den Sechs- bis Siebenjährigen ist das wichtigste Zugangsgerät zum Internet allerdings noch das Notebook, gefolgt vom stationären Computer. Grundsätzlich kann man sagen: Je älter die Kinder und Jugendlichen, desto eher verwenden sie mobile Geräte zur Internetnutzung.

Das sind sichere Zeichen für eine Onlinesucht
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Foto: gms

Eine neue Studie der Krankenkasse DAK hat ermittelt, dass 85 Prozent der befragten Eltern von Zwölf- bis 17-Jährigen angaben, ihre Kinder hätten eine Hauptaktivität im Internet. Demnach schaut jeweils ein Drittel vor allem Videos, spielt am Computer oder chattet in Messenger-Programmen mit Freunden. Soziale Netzwerke sind nur bei zehn Prozent der Kinder - nach Einschätzung ihrer Eltern - die Hauptaktivität. Doch die Forscher stießen auf einen deutlichen Geschlechterunterschied: Während Jungen ihre Zeit am häufigsten (43 Prozent) mit Onlinespielen verbringen, ist die Hauptaktivität bei gleichaltrigen Mädchen im Internet das Chatten (42 Prozent).

Die Antwort ist klar: Computerspiele bergen Experten zufolge das größte Risiko für Jugendliche, süchtig zu werden. "Vor allem Jungen suchen in Computerspielen wie ,World of Warcraft' Anerkennung", sagt Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters an der Hamburger Uni-Klinik Eppendorf. Mithilfe der digitalen Figuren in den Spielen könnten sie "Großartigkeit und Stärke ausleben". Soziale Phobien im realen Leben oder Umgangsstörungen würden so umgangen. Mädchen hingegen suchen häufiger den Austausch etwa in Foren, um frühere Traumatisierungen aufzuarbeiten und das Gefühl zu bekommen, endlich verstanden zu werden. Matthias Rohrer, Studienleiter am Hamburger Verein Jugendkulturforschung.de, weist jedoch darauf hin, dass bei vielen Jugendlichen auch zahlreiche Spiele-Apps für Smartphones bereits Suchtpotenzial hätten.

Mehr als die Hälfte der Achtjährigen (55 Prozent) ist bereits online. Von den Sechsjährigen geht fast ein Drittel ins Internet, und bei den Dreijährigen ist es jedes zehnte Kind. Das ist das Ergebnis der Studie "Kinder in der digitalen Welt" des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit (Juni 2015). Nach einer Studie des Technologieverbands Bitkom aus dem vergangenen Jahr gaben sogar zwei Prozent der befragten Sechs- bis Siebenjährigen an, täglich das Internet zu nutzen. Bei den Acht- bis Neunjährigen waren es vier Prozent. Nicht jeden Tag, aber mehrmals in der Woche nutzten bereits 14 Prozent der Sechs- und Siebenjährigen das Netz. In den meisten Fällen spielten die Kinder Onlinespiele und nutzten noch keine sozialen Netzwerke. Zum Vergleich: Bei den 16- bis 18-Jährigen halten sich der Bitkom-Studie zufolge 85 Prozent in sozialen Netzwerken auf.

Suchtexperte Thomasius sieht das Kontaktverhalten der Jugendlichen als ein wesentliches Zeichen. Verlaufen Gespräche nur noch flüchtig und ziehen sich Jugendliche zurück, sollten Eltern aufmerken. Auch wenn die Nutzung immer länger wird, das Kind bis in die Nacht Computer oder Smartphone bedient, es launisch oder depressiv reagiert, wenn kein Zugang verfügbar ist.

Wichtig ist laut Thomasius, dass Eltern ihre Kinder zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Medien erziehen. Dazu gehört, dass sie sich mit den Inhalten, mit denen sich ihre Kinder im Netz beschäftigen, auskennen. Grenzen zu setzen, sei gerade in jüngeren Jahren sehr wichtig, das geschehe noch zu wenig. So hat die DAK ermittelt, dass zum Beispiel ein Drittel der Familien keine Vorgaben zu den Inhalten der Internetnutzung macht. Und Eltern sollten Alternativen für Hobbys und Freizeitaktivitäten abseits von Computer und Smartphone anbieten, sagt Thomasius.

Noch ist Computersucht nicht als Krankheit eingestuft. Organisationen wie der Kinderschutzbund beklagen das schon lange und verweisen auf fehlende Präventionsprogramme der Krankenkassen. Allerdings sind Psychotherapeuten mittlerweile besser ausgebildet, Computersucht zu behandeln. Auch bei den Suchtberatungsstellen gibt es Informationen für betroffene Jugendliche. Und im Internet unter www.computersuchthilfe.info. Dort sind Broschüren abrufbar, die sich jeweils explizit an Jugendliche, Eltern und Lehrer wenden.

(jd)
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