Verhaltensforschung Warum der Marshmallow-Test die Karriere voraussagt

Berlin · Erfolg ist keine Frage der Intelligenz, sondern der Geduld. Das behaupten Verhaltensforscher. Sie haben herausgefunden, dass geduldigere Menschen höhere Bildungsabschlüsse erreichen und noch dazu gesünder sind.

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Foto: Techniker Krankenkasse

Wenn die Offensivkraft der Fußball-Nationalmannschaft mal wieder am gegnerischen Abwehr-Beton zu zerschellen droht, beschwört Bundestrainer Joachim Löw immer wieder ein Wort: Geduld. Wenn die Mannschaft geduldig sei und auf ihre Chance warte, so die Botschaft, werde sie das Spiel gewinnen.

Das klappt zwar nicht immer - aber häufig. Und genauso scheint es auch im normalen Leben zu sein. Das behaupten zumindest Verhaltensforscher: Wer geduldig und diszipliniert sei, werde es im Leben statistisch weiter bringen als andere. Jeder Angler weiß das nur zu gut. Es braucht Geduld, um einen Fisch zu fangen - und in der Regel noch mehr Geduld, um dann irgendwann auch den dicksten aus dem Wasser zu ziehen. Der geduldige Angler wartet, statt sofort die Zelte wieder abzubrechen, wenn die Fische nicht anbeißen. "Geduld ist die Fähigkeit, beim Abwägen zwischen Gegenwart und Zukunft ein höheres Gewicht auf die Zukunft zu legen", sagt der experimentelle Wirtschaftsforscher Matthias Sutter, der zuletzt das Buch "Die Entdeckung der Geduld. Ausdauer schlägt Talent" zu diesem Thema veröffentlich hat.

Vom Marshmellow zum Ü-Ei

Wissenschaftlich belegt hat diese Erfahrung erstmals der Psychologe Walter Mischel. In den sechziger Jahren startete er ein Experiment, dessen Aufbau man noch heute in der Fernsehwerbung bewundern kann. Statt eines Überraschungs-Eis lag damals auf dem Tisch in einem fensterlosen leeren Raum jedoch ein Marshmallow, mit dem Kinder alleine gelassen wurden. Die Versuchsleiter sagten ihnen, dass sie die Süßigkeit entweder sofort essen könnten. Oder dass sie eine zweite bekämen, wenn sie warten. Das Ergebnis des Versuchs ist brutal: Wer schon als Kind dem Marshmallow nicht widerstehen konnte, dem mangelte es auch später an Selbstdisziplin und Geduld.

Studien belegen dies eindrücklich. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, einen besseren Bildungsabschluss zu erreichen, weil die Geduldigen bereit sind, mehr Zeit zu investieren. Dadurch bekommen sie nicht nur bessere Berufs- und Aufstiegschancen, sondern verdienen im Schnitt auch deutlich mehr Geld.

Geduld hilft auch der Beziehung

Auch für die Gesundheit und das private Glück scheint Geduld förderlich zu sein. "Geduldigere Menschen haben mehr Selbstkontrolle, wenn es etwa um einen gesunden Lebensstil geht, und sind deshalb im Schnitt auch gesünder", sagt Matthias Sutter, der in Innsbruck und Florenz lehrt. Geduldige Menschen sind nicht nur seltener alkoholkrank oder spielsüchtig, sondern führen auch gesündere Beziehungen. Eine Studie aus Neuseeland zeigte zudem, dass geduldige Frauen seltener ungewollt schwanger werden.

Natürlich gibt es zahlreiche Beispiele von extrem triebhaften, aber trotzdem erfolgreichen Menschen. Aber es gibt eben auch das Modell Merkel. Wo andere vorpreschen, bleibt sie diszipliniert, geduldig und behält die Kontrolle. Angela Merkel hätte vermutlich auch den zweiten Marshmallow liegen lassen und auf einen dritten gewartet. Mit dem "Kohl'schen Aussitzen" dürfe man Geduld jedoch nicht verwechseln, sagt Sutter: "Es bedeutet nicht, die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, bis einem alles von alleine zufliegt."

Warum manche Menschen geduldig sind und andere nicht, scheint auch mit ihrer Kindheit zu tun zu haben. Denn einen großen Einfluss übt das soziale Umfeld aus. Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit von Bezugspersonen sind entscheidend dafür, ob Kinder lernen, geduldig und ausdauernd zu sein oder nicht. Dies zeigen verschiedene psychologische Studien. Für Matthias Sutter ist das nicht verwunderlich: Wenn Eltern dem Kind beispielsweise eine Belohnung dafür versprechen, dass es regelmäßig sein Zimmer aufräumt, dies am Ende aber nicht einhalten, hat dies Auswirkungen auf das Verhalten des Kindes. Immerhin musste es schmerzhaft erfahren, dass sich Geduld nicht auszahlt. "Wenn Eltern häufig Versprechen brechen, erschwert das zukunftsorientiertes Verhalten von Kindern", sagt er. Dies gelte auch für die Beziehung zwischen Führungspersonal und Mitarbeitern in Unternehmen.

Geduld zu lernen wird schwieriger

Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, ist überzeugt, dass es für Kinder schwieriger wird, Geduld und Disziplin zu lernen. "Die Kinder sind permanenter Ablenkung ausgesetzt, zum Beispiel durch die Medien", sagt Kraus: "Insgesamt haben die Geduld, das Durchhalte- und Konzentrationsvermögen der Kinder dramatisch gelitten." Es sei inzwischen viel schwieriger, mit einer Klasse konzentriert zu arbeiten als noch vor 30 Jahren.

Den Hauptgrund sieht er in den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. "Heutzutage muss alles sofort konsumierbar sein", sagt Kraus. Während man früher sparen musste, um sich eine größere Anschaffung leisten zu können, locken heute Null-Prozent-Sonderfinanzierungen. Internetbestellungen werden per Express geliefert und Lebensmittel sind im Supermarkt zu jeder Jahreszeit verfügbar, weil sie aus aller Welt eingeflogen werden. "Wir leben in einer Welt des Sofortismus", sagt Kraus: "Alles muss sofort da und konsumierbar sein." So etwas übertrage sich auch auf die Kinder. Vielleicht, sagt Josef Kraus, sollten sich die Menschen wieder häufiger die großen Erfinder und Nobelpreisträger zum Vorbild nehmen. Denen sei auch nicht alles über Nacht gelungen. Schon Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne, soll einst gesagt haben: "Genie ist zu einem Prozent Inspiration und zu 99 Prozent Transpiration."

Sich anstrengen und durchhalten, so die Botschaft, könne sich lohnen. Das weiß auch Joachim Löw. Gegen Argentinien schien das Tor im WM-Finale wie vernagelt. Doch die Geduld seiner Mannschaft zahlte sich aus. In der 113. Minute fiel das 1:0. Deutschland wurde Weltmeister.

(frin)
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