Volkskrankheit "leisure sickness" Kaum im Urlaub und schon krank

Frankfurt a.M. · Im Urlaub zeigt sich manchmal, wie hoch der Stresspegel bei der Arbeit wirklich ist. Statt die freien Tage zu genießen, werden viele erst einmal krank. Wie aber kommt es zu der "Leisure-Sickness", der "Freizeitkrankheit"?

Grippeähnliche Symptome hauen rund 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in den ersten Tagen des Urlaubs um. Ihr Körper schafft es nicht, den ständigen Alarmpegel herunterzufahren. Besonders die, die nicht wissen wie sie aktiv entspannen sollen, rafft die auch als "Leisure-Sickness" bezeichnete Urlaubskrankheit dahin. Denn wer immer im gleichen Tempo weitermacht, der läuft irgendwann dauerhaft auf Hochtouren. Der Körper passt sich der Überlastungssituation an und schafft es nicht mehr, einen Gang zurückzuschalten. Das Immunsystem streikt. Auf Ruhe folgt die Krankheit.

So macht uns Stress krank

Stress macht vor dem Urlaub ebenso wenig Halt wie vor Wochenenden und Freizeit. Krankenkassen und Gesundheitsexperten bemängeln seit Langem die Tatsache, dass die Zahl der stressbedingten Krankheiten zunimmt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihn zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Eine große Anzahl an handfesten Erkrankungen lässt sich darauf zurückführen. Bluthochdruck ist so eine. Die Folgen für die Gesundheit sind katastrophal: Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen, psychische Krankheiten wie Depressionen oder Burn-out, Nierenversagen und Erblindung stehen mit ihm in Zusammenhang. Für dauergestresste Menschen erhöht sich im Urlaub sogar das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, so das Ergebnis amerikanischer Studien.

Warum ein bisschen Stress nicht schadet

Dabei ist es nicht grundsätzlich schlecht für uns, mal ein bisschen unter Strom zu stehen. Der Mensch braucht Stress sogar, um die an ihn gestellten Anforderungen, zu bewältigen. "Anspannung gehört zum Leben, ihr muss aber Entspannung folgen", betont Professor Dr. Karl-Heinz Ladwig, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Herzstiftung. Bleibt die Entspannung weg, haut es uns auf Dauer um. Besonders die chronische Dauerbelastung ruiniert die Gesundheit. Es schleichen sich Verhaltensweisen ein wie der ständige stressbedingte Griff zur Zigarette oder der zum Schokoriegel. Manche essen aus Frust oder trinken zu viel, weil sie immer unter Strom stehen und den Pegel nicht herunterfahren können. Als Dauerventil benutzt zieht auch das gesundheitliche Probleme nach sich: Übergewicht oder Alkoholsucht.

Blutdruckerhöhungen, dann dauerhafter Hochdruck

Wie aber tragen psychische Prozesse dazu bei, dass sich ein Bluthochdruck entwickelt und auf Dauer bleibt? Einzelne Blutdruckerhöhungen hat die Natur vorgesehen. So sorgen in einer kurzfristigen Stresssituation Anpassungsmechanismen für ausreichend Blutdruck, um Muskeln und Organe mit sauerstoffreichem Blut zu versorgen. Der Körper schüttet mehr Hormone wie Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin aus. Dadurch erhöht sich der Blutzuckerspiegel, Herzschlag und Blutdruck steigen an und die Durchblutung wird vermehrt. Hier spielt das autonome Nervensystem eine wichtige Rolle, das eine sofortige Anpassung der Herzfrequenz, der Pumpleistung des Herzens und der Einstellung des Widerstands in den großen Gefäßen bewirkt.

Steht das Nervensystem dauerhaft unter Strom, führt diese Überaktivierung zu einer Steigerung der Herzleistung und zur Erhöhung des Blutdrucks. Der Körper reagiert darauf irgendwann mit einem Umbauprozess der Gefäßwand. Sie ist gefährlich, weil sie zur Steifheit der Gefäße führt. Dem Herzen bleibt nichts anderes übrig als gegen diesen vermehrten Widerstand des Gefäßsystems anzupumpen. "Ein fataler Teufelskreis ist entstanden", erklärt Prof. Ladwig. Denn der Körper möchte sein inneres Gleichgewicht durch Veränderung erreichen und mit seiner Reaktion auf eine Belastung für ein weiteres Funktionieren sorgen.

Wenn Stress Normalität wird

Der Organismus stellt sich auf das veränderte Stressniveau ein: Der Zustand der Hochspannung wird zur Normalität. Hat sich der Körper auf das erhöhte Niveau eingestellt, ist der Bluthochdruck auf Dauer mit eigenen Mitteln, das heißt allein mit Entspannungstechniken gegen den Stress, nicht mehr zu senken. Der Griff zu Betablockern und Co. stellt den einzigen Ausweg für den Augenblick dar, um Folgekrankheiten wie Magengeschwüre oder Herzinfarkt abzuwenden.

Schonend Blutdruck senken

Besser wäre es, erst gar nicht an den Punkt zu kommen, an dem sich körperliche Leiden bemerkbar machen. Zumal in vielen Arbeitsbereichen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen: Dauererreichbarkeit in der Freizeit und sogar im Urlaub schrauben den Dauerstresslevel zusehends weiter hoch. Darum wäre es höchste Zeit, sich mit Techniken zur Stressbewältigung auseinanderzusetzen und durch regelmäßige Entspannung positiv auf den Blutdruck einzuwirken. Ein erster Schritt zurück zum entspannten Zustand ist, den eigenen Alltag aus großer Distanz — sozusagen mit Adlerblick — genau anzusehen und zu hinterfragen. Auch kann intensive Bewegung, Musik machen oder Freizeitbeschäftigungen wie Freunde zu treffen oder Kinobesuche viel zur Entspannung beitragen.

Vor dem Urlaub heißt es, sich bewusst auf die freien Tage vorbereiten. Wer vom Schreibtisch gleich am nächsten Tag in den Urlaub startet, macht es wie ein Autofahrer, der bei Tempo 100 sein Auto abwürgt. Er nimmt sich die Chance, langsam herunterzufahren.

(wat)