Therapeutin gibt Ratschläge Eine Anleitung zum Verzeihen

Düsseldorf · Streit und Konflikte gehören zum Leben dazu - ob in Familie, Freundschaft oder Partnerschaft. Doch wie kann man sich nach einem heftigen Streit wieder versöhnen? Eine Anleitung zum Verzeihen.

 Konflikte gehören zum Leben - aber man sollte konstruktiv damit umgehen (Symbolbild).

Konflikte gehören zum Leben - aber man sollte konstruktiv damit umgehen (Symbolbild).

Foto: Shutterstock.com/Voyagerix

Der Familie Kohl blieb es verwehrt. Bis zum Tod von Vater Helmut fand die Familie des Bundeskanzlers von einst keinen Frieden. Kohls Söhne Walter und Peter schrieben Bücher über die schlechte Beziehung zum Vater, über Kälte und Distanz im Hause Kohl. Versöhnung gab es bis zum Schluss nicht. "Die Konflikte der Familie Kohl sind symptomatisch für viele Familien", sagt Anke Meissner, Familien- und Paartherapeutin in Düsseldorf. Auch wenn es in einigen Beziehungen nicht so extrem wie bei den Kohls enden muss - Phasen der Sprachlosigkeit, des gegenseitigen Unverständnisses und einer fehlenden Harmonie kennen viele aus Beziehungen zu Freunden, Familienmitgliedern oder zum Partner. Meissner erklärt, wie man Konflikte lösen und sich versöhnen kann.

Erkennen, wenn ein Konflikt zu sehr belastet. "Je enger die Beziehung, umso schwerwiegender wirken die Kränkungen eines Streits", sagt Meissner. Hintergrund dafür sind oft Erwartungen, die nicht erfüllt werden - gerade in der Familie. Ein Vater, der nie zu Hause ist und kaum Zeit mit seinen Kindern verbringt, erfüllt meist die Erwartungen seiner Kinder nicht, was nicht selten irgendwann im Streit endet. Hinzu kommen die Charaktereigenschaften der Beteiligten. "Man reibt sich oft, weil man sich ähnlich ist und die eigenen Fehler im anderen gespiegelt sieht", sagt Meissner. Vor allem für Eltern sei es schwierig zu sehen, wenn Kinder die gleichen Fehler machen. Sich gegenseitig mit Vorwürfen zu überziehen, ist aber anstrengend. "Man trägt Konflikte als schwere Last in seinem Lebensrucksack - und das kostet Energie." Wer sich eingesteht, dass ihn ein Streit belastet, kann an einer Lösung arbeiten.

Verzeihen heißt nicht gutheißen. "Viele denken, dass Versöhnen bedeutet, dem anderen zu sagen: ,Es war in Ordnung, was du getan hast.' Das ist nicht so!", betont die Therapeutin. Vielmehr bedeute Verzeihen, den Streit loszulassen und die Situation, in der man gekränkt wurde, anders zu betrachten.

Entscheiden, verzeihen zu wollen. Der Weg zur Versöhnung beginnt bei demjenigen, der gekränkt wurde. "Derjenige muss handeln", sagt Meissner. Der andere ist unwichtig, denn er kann seine Handlung oder Beleidigung nicht ungeschehen oder ungesagt machen. Wichtig: Der Gekränkte müsse sich aktiv dazu entscheiden, mit Vorwürfen aufzuhören.

Zeit nehmen. Dabei kann eine selbstgesteckte Deadline helfen: "Man kann sich vornehmen, dem Partner zum Beispiel noch bis Ende des Jahres böse zu sein", sagt sie. So gebe man sich Zeit, wütend zu sein und zu reflektieren. "Man kann das nicht in Siebenmeilenstiefeln bewältigen, man muss im Schneckentempo denken."

Das Gute sehen. Um zu verzeihen, muss man Denkmuster durchbrechen: Statt den Fokus auf negative Situationen oder Verhaltensweisen zu legen, solle man sich darauf konzentrieren, welche guten Erfahrungen man zusammen gemacht hat. "Wir nehmen gute Sachen kaum wahr, so funktioniert unser Gehirn."

Die eigenen Erfahrungen reflektieren. Richtig ist, sich zu fragen: Warum trifft es mich so? Ist meine Reaktion angemessen? Denn wer schon früher einmal in ähnlicher Weise gekränkt wurde, kann eine vermeintlich harmlose Bemerkung später als schwerwiegender wahrnehmen. Wenn der Vater früher das eigene Fußballspiel verpasst hat, kann es den jungen Mann umso mehr kränken, wenn seine Freundin heute nicht zum wichtigen Vortrag kommt. "Man potenziert das", sagt Meissner. Es sei ratsam, zuerst frühere Erfahrungen zu verarbeiten, damit man den neuen Konflikt davon loskoppeln könne. "Dann kann man damit besser umgehen."

Den "guten" Grund suchen. Um verzeihen zu können, ist es wichtig, das Verhalten des anderen zu verstehen. Jeder Mensch habe für sein Verhalten einen "guten Grund", sagt Meissner. "Dieses ,gut' bedeutet, dass es für den anderen aus seiner Sicht Sinn macht." Das Schwierige dabei: Das Leben sehen Menschen durch verschiedene Filter, die für jeden anders sind. So nimmt man die gleiche Situation anders wahr als das Gegenüber. Manchmal sei es dann so, dass der andere aufgrund seiner Erfahrungen, seines Weltbildes oder seiner Erwartungen keine andere Handlungsoption gesehen habe als die verletzende.

Aufeinander zugehen. Wer sich dazu entschlossen hat zu verzeihen und diesen Prozess beendet hat, muss auf sein Gegenüber zugehen. Man solle Vorwürfe beiseite lassen und ausdrücken, wie man selbst fühlt und was man sich für die Zukunft wünscht. "Sagen, dass man verzeiht, kann ein Türöffner sein", sagt Meissner. Und: "Wenn man sich selbst ändert, ändern sich meist auch die anderen."

Wiedergutmachung kann helfen. Das Geschehene oder Gesagte kann nicht ungeschehen gemacht werden. Dennoch hilft eine Entschuldigung: "Es tut gut ein ,Es tut mir leid' zu hören", sagt Meissner. Zudem kann man eine Wiedergutmachung fordern. ",Mach dir Gedanken, was du tun kannst, um mich zu unterstützen' - das kann man schon einfordern", findet Meissner. Ein Vater, der für sein Kind nie da war, könne es zum Beispiel bei den Enkeln besser machen.

Für die Zukunft lernen. So schmerzlich der Prozess des Versöhnens auch sein kann, kann er Gutes für die Zukunft bringen. Wer zum Beispiel den Grund kennt, warum ein Partner fremdgegangen ist, kann zusammen herausfinden, wie eine Beziehung sein muss, damit sie für beide gut ist. So kann ein Konflikt eine Beziehung am Ende auch besser machen. Zudem sollte man darauf achten, wie man Kritik am anderen äußert. "Ein Satz wie ,Du hast schon wieder die Zahnpastatube offen gelassen' erzeugt direkt eine Gegenwehr", erklärt Meissner. Stattdessen könne man besser sagen: "Die Zahnpastatube ist noch auf, und das ärgert mich." Am Ende des Prozesses kann aber auch das Ergebnis stehen, dass man sich nicht verzeihen kann und will. "Es ist eine Utopie, dass man alles verzeihen kann und muss", sagt Meissner. Manchmal müsse man das akzeptieren. Denn am Ende gehören immer mindestens zwei dazu - und das macht es so schwer.

Gegebenenfalls Hilfe von Profis suchen. Bei manchen Menschen äußert sich eine seelische Belastung auch körperlich: Kopfschmerzen, Rückenleiden oder Magen-Darm-Erkrankungen können ihren Ursprung im seelischen Leiden haben. Auch wenn man merkt, dass man sich im Kreis dreht und die Vorwürfe sogar schlimmer werden, sollte man sich um Hilfe kümmern. Therapeuten können den Beteiligten einen Schutzraum bieten und fungieren als neutrale Person. "Neutral können Freunde oder Familienangehörige nämlich nicht sein."

(mre)
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