Therapie per Cyber-Brille Wie eine App Angststörungen virtuell behandelt

Barcelona · Eine Spinne auf der Hand oder ein Flug mit Turbulenzen: solche Situationen sind für Patienten mit Angststörungen der absolute Horror. Allein der Gedanke daran löst bei Ihnen Panik aus. Eine App soll die Patienten nun therapieren ohne, dass sie ein Flugzeug betreten oder ein Insekt anfassen müssen.

Über eine 3D-Brille, in die ein Smartphone eingelegt wird, blicken die Patienten in die virtuelle Realität.

Über eine 3D-Brille, in die ein Smartphone eingelegt wird, blicken die Patienten in die virtuelle Realität.

Foto: Youtube/Psious Toolsuite

Die Entwickler der App "Psious" versprechen auf ihrer Webseite, dass die Therapie mithilfe eines Smartphones oder Tablets und einem Computer so erfolgreich sei wie herkömmliche Therapiemethoden. Der Patient taucht bei "Psious" in eine virtuelle Realität ein, wird an die Orte und in die Situationen gebeamt, vor denen er sich fürchtet.

Dabei wird das Handy in eine spezielle Brille gelegt, eine Simulation gestartet und schon sieht man sich zum Beispiel am Flughafen wieder und sitzt kurze Zeit später im Flugzeug. In der virtuellen Realität bewegt sich der Patient frei, wie man es aus Computerspielen in 3D-Grafik kennt. Das Gehirn spielt dem Menschen wie in einem Traum eine Realität vor, löst Reflexe und andere Körperfunktionen aus.

Das Video erklärt, wie die App funktioniert:

Therapie ist keine Spielerei

Für Außenstehende wirkt diese Therapiemethode wie eine Spielerei. Bleiben dabei nicht wichtige Eindrücke auf der Strecke? Schließlich sieht man zwar, was passiert, aber der Tastsinn wird mit der App nicht animiert, Wärme oder Kälte spürt man nicht.

Laut Christiane Eichenberg ist die Therapie per virtueller Realität aber sehr wohl vergleichbar mit einer klassischen Konfrontationstherapie, bei der der Patient eine echte Spinne auf der Hand hat oder selbst im Flugzeug sitzt. Eichenberg ist Professorin für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Medien am Department Psychologie der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien.

Studien belegten etwa, dass die Expositionsbehandlung in der virtuellen Realität dieselben Erfolge aufweist wie herkömmliche Behandlungen. Bei beiden Behandlungsmethoden wird der Patient mit seiner Angst konfrontiert, soll sich an bestimmte Situationen gewöhnen anstatt sie zu vermeiden.

Speziell zur App "Psious", die in Barcelona entwickelt wurde, gibt es noch keine Studien. Doch Xavier Palomer, Mitbegründer und Chef von "Psious", sagte unserer Redaktion, dass die App zusammen mit Medizinern entwickelt worden sei und nun von Therapeuten getestest werde.

Die Wiener Professorin bestätigt, dass dieser Vorgang durchaus üblich sei, "Produkte werden oft auf den Markt gebracht und dann erst längeren Tests und Studien der Wissenschaft unterzogen, auch wenn es wünschenswerter ist, eine Evaluierungsphase der Vermarktung vorzuschalten." Dieses Vorgehen spreche noch lange nicht gegen die Seriösität eines Produktes.

Warum die virtuelle Realität besser ist als die Wirklichkeit

Die virtuelle kann mit der "normalen" Realität bezüglich der Konfrontationstherapien nicht nur mithalten, sondern hat in der Psychotherapie sogar Vorteile: Viele Patienten sind eher bereit sich eine Datenbrille aufzusetzen, als dem Objekt der Angst direkt gegenüberzutreten.

Zudem gibt es laut Eichenberg durchaus technische Geräte, die etwa Gerüche erzeugten und die Angstsituation noch realistischer werden lassen. Bei jeder Behandlung muss jedoch ein Psychotherapeut anwesend sein, der den Patienten entweder motiviert oder beruhigt, bis der Angstzustand sich bessert. Sonst bestünde die Gefahr, dass ein Schock ausgelöst wird und sich das Vermeidungsverhalten des Patienten nur verstärkt.

Es gibt aber auch Situationen, in denen die Psychologin eine digitale Konfrontationstherapie nicht für sinnvoll hält. So sei es moralisch fragwürdig, Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) in eine virtuelle Realität zu versetzen, um dort Kriegsszenen nachzuerleben. "Es kann nicht der Sinn sein, hier einen Gewöhnungseffekt herbeizuführen, sodass der Patient später Krieg für eine normale Situation hält", sagt Eichenberg.

In den USA wird die Methode trotzdem zur Behandlung bei PTBS genutzt. Rettungskräfte und Zeugen, die die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 miterlebt haben, kehrten so am Computer zu dem Zeitpunkt zurück, an dem die beiden Flugzeuge in die Zwillingstürme krachten. Ein Bericht eines ehemaligen US-Soldaten in der "New York Times" zeigt jedoch deutlich, dass die Therapie von PTBS generell umstritten ist.

Ein weiteres Problem bei dem Einsatz der virtuellen Realität ist die sogenannte Simulatorkrankheit. Ähnlich wie bei Schiffskranken wird den Patienten bei der Nutzung eines Simulators manchmal übel oder sie verlieren die Orientierung. Ob und wie die Entwickler von "Psious" diese Symptome ausschließen wollen, konnten sie nicht sagen.

Was kostet die Behandlung?

"Psious"-Chef Palomer sagt, dass die App für den Therapeuten kostenlos sei, der Patient aber eine monatliche Pauschale von mindestens 30 US-Dollar (rund 25 Euro) zahle. Dazu kommt die Brille, in die das Smartphone gelegt wird, 310 US-Dollar (rund 270 Euro) kostet sie im Paket mit einem Handy. Wer ausschließlich die Brille möchte, findet Preis nicht auf der Internetseite, sondern muss ihn beim Hersteller erfragen. Von den deutschen Krankenkassen wird solch eine Behandlung nicht übernommen.

Laut Christiane Eichenberg setzen bisher nur sehr wenige Therapeuten in Deutschland die virtuelle Realität ein - und dies meist nur zu Forschungszwecken. Beispiele finden sich bei der Bekämpfung der Flugangst. "In vielen anderen Ländern wie Spanien oder den Niederlanden ist die Entwicklung da schon weiter", weiß die Psychotherapeutin. In den Niederlanden etwa würden alternative Beratungs- und Therapiemöglichkeiten - zum Beispiel per Internet - schon von den Krankenkassen bezuschusst.

Die App "Psious" ist auf die Therapie von Angstzuständen spezialisiert. Das Instrument der virtuellen Realität bietet jedoch noch weitere Einsatzmöglichkeiten. Patienten mit Essstörungen beispielsweise werden ebenfalls in die digitale Welt versetzt. Dort laufen sie durch Türen, für die sich selbst zu dick gehalten haben. Bilder wie diese erlauben es den Patienten im virtuellen Raum, ihren eigenen Körper ganz anders kennenzulernen.

"Psious" holt die virtuelle Realität aus der Spieleecke

Medizinische Computerprogramme sorgen auch dafür, das Image der virtuellen Realität zu verbessern. Lange galt die Technik als Spielerei für Nerds, die sich mit komischen Brillen und verkabelten Handschuhen ungelenk durch Computerspiele bewegen. Doch die virtuelle Welt feiert nun ein Comeback in seriösen Anwendungsbereichen. So geht das FBI etwa in hochtechnologisierten Simulationsräumen auf Verbrecherjagd. Facebook hat wiederum mehrere Millionen Dollar investiert, um einen Hersteller von 3D-Brillen zu übernehmen. Ganz ohne Computerspiele geht es aber dann doch nicht, denn die Software basiert meist auf Plattformen, die zur Unterhaltung entwickelt wurden.

(ac)
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