Psychologie Die positive Kraft der Angst

Düsseldorf · Ängste können die Lust am Leben nehmen. Dabei fürchten sich Menschen oft mehr vor ihrer Vorstellung von Gefahr als vor der tatsächlichen Bedrohung. Nach der wahren Ursache eigener Ängste zu fragen, kann darum befreiend sein.

 Angst vor realer Gefahr, aber auch vor eingebildeten Bedrohungen kann das Leben lähmen (Symbolbild).

Angst vor realer Gefahr, aber auch vor eingebildeten Bedrohungen kann das Leben lähmen (Symbolbild).

Foto: Ole Spata / dpa

Gerade gibt es viele Gründe, Angst zu haben. Vor Krankheit und Tod, vor der wirtschaftlichen Zukunft und der gesellschaftlichen Fragmentierung. Natürlich kann man auch den Blick lenken auf Menschen, die versuchen, Corona zu trotzen und aus der körperlichen keine soziale Distanzierung werden zu lassen. Doch es lässt sich nicht wegdeuten, dass in Zeiten einer Pandemie das Denken mehr als sonst um Gefahren kreist, Risikoabwägungen plötzlich zum Alltag gehören und ein Stück Unbekümmertheit verlorengeht. Das sorgt bei manchen für dieses Gefühl von Enge, das wir Beklemmung nennen oder drastischer: Angst.

Doch in Angst die große Bedrängerin zu sehen, die die Brust eng macht und den Raum für freies Denken klein, ist nur eine Sichtweise. Angst ist auch nützlich. Sie ist ein Reiz, der überlebenswichtige Reaktionen auslöst, wie Energiebereitstellung in den Muskeln. Von einem „wachsamen Begleiter“ spricht der Neurobiologe Gerald Hüther. Angst sei ein Signal an uns selbst. „Sie tritt auf, wenn wir etwas tun wollen, was nicht gut sein kann. Die Angst holt uns dann dahin zurück, wo weniger Angst ist. Sie schützt uns also vor Leichtsinn. Wir brauchen die Angst zum Überleben“, sagt Hüther.

Auch die Kriegsreporterin Petra Ramsauer, die unter anderem aus Syrien berichtet hat, nennt Angst einen „Ratgeber“. Richtig Angst zu haben, sei eine Kunst, vielleicht eine der wichtigsten Lektionen im Leben, schreibt sie in ihrem Buch über „Angst“. Dabei geht es Ramsauer nicht nur um das Warnsignal in brenzligen Situationen, sondern auch darum, sich von der Angst aus der Komfortzone treiben zu lassen, das Gefühl zu druchleben, um daraus zu lernen. Ramsauer folgt damit dem Philosophen Sören Kierkegaard, der 1844 in seinem Traktat über die Angst schrieb: „Dies ist ein Abenteuer, das jeder zu bestehen hat: dass er lerne sich zu ängstigen, denn sonst geht er dadurch zugrunde, dass ihm nie angst war, oder dadurch, dass er in der Angst versinkt. Wer hingegen gelernt hat, sich zu ängstigen, der hat das Höchste gelernt.“

Die eigene Angst anzusehen, ist auch wichtig, weil sich Ängste oft gar nicht auf eine  reale Gefahr beziehen, sondern auf unsere Vorstellungen von einer Gefahr. „Neurobiologisch macht es keinen Unterschied, ob wir uns vor einem Löwen fürchten, der vor der Tür sitzt oder bloß vor der Vorstellung, dass ein Löwe vor der Tür sitzt, die Reaktionen im Gehirn sind dieselben“, sagt Hüther. Die nur vorgestellte Angst sei vielleicht sogar schlimmer. „Beim echten Löwen kann man ja die Tür einen Spalt aufmachen und nachsehen, was da sitzt“, so der Biologe. Die Angst vor etwas Imaginiertem könne dagegen ins Unermessliche wachsen, gerade weil sie sich nicht objektiv überprüfen lasse.

Genau da liegt auch das manipulative Potenzial der Angst. Denn wer Menschen Angst einjagt, tut dies meist mit Warnungen vor Szenarien in der Zukunft. Ob sie tatsächlich eintreten, ist kaum nachprüfbar. Doch können Angstvisionen Menschen gefügig machen. In seinem neuen Buch „Wege aus der Angst“ empfiehlt Hüther darum, stets danach zu fragen, mit welchen Interessen Menschen in der Öffentlichkeit warnen. „Man muss sich  nicht in erster Linie fragen, ob eine Warnung stimmt, sondern warum sie ausgesprochen wird. Und ob das nicht auch möglich gewesen wäre, ohne Menschen Angst zu machen.“

Diese Skepsis gegenüber Angstmachern kann natürlich auch dazu führen, dass  Leute nützliche Warnungen in den Wind schlagen. Im Extremfall werden sie dann zum Beispiel zu Corona-Leugnern und bringen sich und andere in reale Gefahr. Meist ist das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Staat dann allerdings schon vorher erschüttert. Und der Unwille, sich  mit komplexen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, trägt seinen Teil dazu bei, das Angstmacher leichtes Spiel haben. So tragen etwa Corona-Leugner oft ihre Zweifel an staatlicher Autorität vor sich her, laufen aber bereitwillig kruden Autoritäten nach, die absurde Verschwörungstheorien verkünden.

Ein wichtiger Gegenspieler der Angst ist also  Vertrauen – in die Quellen von Informationen, in die eigenen Fähigkeiten, in die Hilfsbereitschaft anderer, in ein Aufgehobensein in der Welt.  Hüther spricht von einem Vertrauenspolster, das vor Angstmache schützt. Doch werde dieses Polster in der modernen Welt dünner. Der Mensch habe sich  seine Umwelt immer mehr nach seinen Vorstellungen gestaltet und darüber den Kontakt zu vielem Ursprünglichen verloren. Darum sei er seinen Vorstellungen so sehr ausgeliefert. „Menschen, die  sich noch zu helfen wissen, auch ohne Dienstleister für jedes Spezialproblem, und die verlässliche Freunde haben, nicht nur Facebook-Kontakte, lassen sich nicht so leicht von Ängsten beherrschen“, sagt Hüther.  

Umso wichtiger ist es, Ängste wahrzunehmen und nach ihren Ursachen zu fragen, auch wenn das Überwindung kostet. Und auch, wenn die Unterhaltungsindustrie jede Menge Zerstreuung anbietet, um genau solche Ängste zu zerstreuen. Wer diese Angebote ausschlägt und sich an die Wurzeln eigener Befürchtungen vorwagt, wird auch beim  eigenen Perfektionismus landen. Und bei der  modernen Idee, alles sei beherrschbar. In der gut absgesicherten Leistungsgesellschaft wird dem Einzelnen suggeriert, er müsse sich nur anstrengen, dann habe er sein Leben schon „im Griff“. Bis Unfälle, Krankheiten, eine Pandemie das Gegenteil beweisen. Und das verdrängte Wissen um die Verwundbarbeit des Daseins als diffuse Angst zutage tritt.

Die Journalistin Petra Ramsauer erkrankte als junge Frau schwer und musste eine Zeitlang davon ausgehen, bald  sterben zu müssen. Erst als sie die Krankheit überwand, kündigte sie ihren sicheren Job und folgte ihrem Traum, Kriegsreporterin zu werden. „Es erscheint widersinnig, knapp mit dem Leben davongekommen zu sein, um es dann in Serie zu riskieren“, schreibt sie. Doch habe sie durch ihre Krankheit begriffen, dass man in Wahrheit nichts kontrollieren kann, außer, wie man die Zeit, die einem bleibt, lebt. So kann durchstandene Angst Menschen falsche Hemmnisse nehmen. Hüther sagt es so: „Wenn wir unsere Ängste umarmen und fragen, warum sie zu uns gekommen sind, zeigen sie uns den Weg in die Freiheit.“

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