Psychosomatik Von wegen alles nur Einbildung!

Düsseldorf · „Ohne Befund“ - jeder fünfte Patient verlässt die Hausarztpraxis mit dieser Aussage, obwohl ihn körperliche Beschwerden plagen. Warum diese Menschen keine Simulanten sind und was ihnen wirklich fehlt.

 Oft fühlen sich Patienten nicht ernst genommen, wenn Ärzte keine körperliche Ursache für ihr Leiden finden. (Symbolbild)

Oft fühlen sich Patienten nicht ernst genommen, wenn Ärzte keine körperliche Ursache für ihr Leiden finden. (Symbolbild)

Foto: Shutterstock/Andrei_R

Als Miriam Falke (Name von der Redaktion geändert) in der Notaufnahme eingeliefert wird, rast ihr Herz. Ihr Puls überschlägt sich. Schwindel, Atemnot, Druck auf der Brust – diese Symptome lösen in ihr Todesangst aus.

Die Mediziner untersuchen sie gründlich und gehen den organischen Ursachen nach. Nach einer Herzkatheteruntersuchung steht fest: Körperlich ist sie kerngesund. Doch Miriam Falke hat immer noch Angst. Sie hat sich ihre Symptome doch nicht nur eingebildet!

„Ohne Befund“ ist wie ein Simulant zu sein

„Wenn am Ende einer organischen Untersuchung die Aussage „Sie haben nichts, gehen Sie mal zu einem Psychiater“ steht, fühlen sich viele Betroffene mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und alleine gelassen, sagt Martina Zwaan, Leiterin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Hannover. Denn es bleiben die bange Fragen: Was kann ich tun, wenn sich erneut Symptome einstellen? Wohin soll ich dann gehen? Wer glaubt mir?

Auf der Suche nach Antworten suchen die Betroffenen häufig bei unzähligen Medizinern Rat – und betreiben laut de Zwaan ein regelrechtes Arzt-Hopping. Erst nach langer Odyssee richtet sich der Blick auf psychische Auslöser.

Warum der Weg zum Psychosomatiker eine Odyssee ist

„Laut Studien kommen Patienten mit vier- bis achtjähriger Verspätung in psychosomatische Behandlung“, sagt Ljiljana Joksimovic, Chefärztin der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der LVR Klinik in Viersen.

Dafür gibt es verschiedene Gründe, sagt die Viersener Psychosomatikerin:

  • Viele Untersuchungen reihen sich aneinander: Patienten werden von der Blutabnahme zum EKG geschickt. Von dort zum Langzeit-EKG, vom Hausarzt zum Kardiologen. Er macht ein Belastungs-EKG und Ultraschall vom Herzen. Dann folgt oft noch ein MRT. Die Suche nach einer körperlichen Ursache dauert. Auch Termine bei den Fachärzten zu bekommen, braucht seine Zeit.
  • Daneben braucht es Zeit zu erkennen, dass möglicherweise wirklich psychische Gründe das Leiden verursachen. Besonders dann, wenn die endlose Suche nach körperlichen Ursachen mit der etwas abfällig klingenden Empfehlung abschließt, sich an einen Psychologen zu wenden.
  • Zu guter Letzt fehle jedoch vielen Medizinern der offene Blick auf das Feld der Psychosomatik. Das mag vor allem vor dem Hintergrund erstaunen, dass laut Schätzung der Experten rund 25 Prozent der Deutschen irgendwann in ihrem Leben an psychosomatischen Beschwerden leiden. Aus Sicht der psychosomatisch behandelnden Ärzte wäre es darum sinnvoll, dem Patienten die Suche nach körperlichen und psychischen Auslösern schon zu Beginn einer Behandlung als gleichwertige Optionen nebeneinander darzustellen.

Lebenskrisen, finanzielle Probleme, Überforderung im Job, Stress mit Kollegen oder Vorgesetzten, der Tod eines Angehörigen – all das zählt zu den Auslösern psychosomatischer Beschwerden. Sie zeigen sich häufig in Herzproblemen wie Herzrasen, Herzklopfen, aber auch beschleunigtem Puls. Daneben können auch Schmerzen an Armen und Beinen, Kopfweh, chronische Schmerzsymptome, Schwindel, Atembeschwerden, Übelkeit, Blähungen, Appetitverlust, insgesamt Magen-Darmprobleme statt durch organische Ursachen durch eine psychische Last ausgelöst sein. „Viele Erkrankungen, wie zum Beispiel Herzerkrankungen oder Diabetes, können durch chronischen Stress einen schlechteren Verlauf nehmen“, sagt de Zwaan. Sie können sogar das Immunsystem beeinflussen.

Wie der Kopf den Körper krank machen kann

Wie aber kann der Kopf den Körper derart aus der Bahn werfen? Wie ist es möglich, dass psychischer Druck körperliche Symptome verursacht? Joksimovic erklärt das anhand des Symptoms Herzklopfen: Gerät der Körper unter Stress, stößt er Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol aus. Die wirken auf körperlicher Ebene, auch wenn sie durch psychische Auslöser verursacht sind. In Folge dessen steigt der Blutdruck, und der Herzschlag nimmt zu. „Davon wird man nicht gleich krank“, sagt Joksimovic. Kommt es jedoch häufig dazu, kann sich daraus ein psychosomatisches Krankheitsbild entwickeln.

Da den Beschwerden keine körperliche Ursache zugrunde liegt, lassen sie sich häufig auch nicht mit schulmedizinischen Maßnahmen regulieren. „Wir erleben beispielsweise, dass ein Patient Schmerzmittel einnimmt, die bestehenden Schmerzen jedoch bestehen bleiben“, sagt Joksimovic. Nur ein kleiner Teil auftretender Schmerzen lasse sich durch Organschäden erklären. Schmerz sei ein bio-psychosoziales Geschehen, das manche Menschen durch eine hohe Schmerzsensibilität besonders stark erleben können.

„Wir sehen die Not des Patienten“

Mit stationärer oder ambulanter Hilfe, die man in Psychosomatischen Kliniken findet oder auch bei niedergelassenen Psychotherapeuten, lassen sich jedoch auch psychosomatische Beschwerden aus der Welt schaffen, wenn nicht sogar heilen. „Wichtig ist, dass der Patient wieder die Kontrolle über die Situation bekommt und ihr nicht in Schmerz oder beispielsweise Angst ausgeliefert ist“, sagt de Zwaan.

Am Beginn einer solchen Therapie steht immer die Aufklärung. „Wir vermitteln den Patienten, dass wir ihre Not sehen und sie sich nichts einbilden“, sagt Joksimovic. Daneben lernen die Betroffenen, wie ihr Körper unter Belastung reagiert. „Damit fangen sie an zu reflektieren und lernen daraufhin, welche anderen Möglichkeiten es gibt, dem Stress zu begegnen.“ So schnell wie ein Medikament gegen Bluthochdruck wirkt das nicht. Ein bis zwei Jahre und länger kann eine Psychotherapie dauern.

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