Lust per Mausklick Das passiert, wenn Sie regelmäßig Online-Pornos gucken

Köln · Pornografie im Netz ist allgegenwärtig und jederzeit verfügbar. Doch durch das ständig verfügbare Lustgefühl steigt auch das Suchtpotential. Lesen Sie, wie sich Menschen und ihr Alltag verändern, wenn sie regelmäßig Online-Pornos gucken – und warum es sogar gefährlich ist.

 Pornosucht hat psychische Folgen und kann Auswirkungen auf die Errektionsfähigkeit haben.

Pornosucht hat psychische Folgen und kann Auswirkungen auf die Errektionsfähigkeit haben.

Foto: Shutterstock/scyther5

Pornografie im Netz ist allgegenwärtig und jederzeit verfügbar. Doch durch das ständig verfügbare Lustgefühl steigt auch das Suchtpotential. Lesen Sie, wie sich Menschen und ihr Alltag verändern, wenn sie regelmäßig Online-Pornos gucken — und warum es sogar gefährlich ist.

Gerade erst war der Chef da, weil eine Sache versehentlich liegengeblieben ist und jetzt die Frist drängt. "Mist", denkt sich der Frustrierte. "Das ist schief gelaufen. Das jetzt geradezurücken, ist Arbeit." Doch statt es gleich anzupacken, schließt er die Bürotür, schnappt sich sein Handy und geht online, um sich schnell einen Sexfilm anzusehen. Das erzeugt in ihm ein gutes Gefühl — und genau das macht die Sache so gefährlich.

Es sind vor allem Männer, die von der Sucht, ständig Sexfilme gucken zu müssen, gepackt werden. Denn sie reagieren stärker auf visuelle Reize als Frauen. "Der Körper schüttet bei neuen sexuellen Reizen Dopamin aus. Dieser Botenstoff löst das Empfinden von Lust, Verlangen und Glück aus, sagt dem männlichen Gehirn sozusagen immer wieder: "Das ist eine super Erfahrung, die lohnt sich für Dich!"

Beim Pornokonsum kommt es also zu einem übernormalen Glücksgefühl", erklärt Miriam Kegel, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin aus Köln. Auf sexuelle Reize mit Verlangen und einer ebenfalls durch das Dopamin gesteuerten Erektion zu reagieren, hatte vor grauer Urzeit einmal einen evolutionären Vorteil. Heute hingegen steht manchem Mann genau das als gefährliches Suchtpotential im Wege. Denn es hat direkte Wirkung auf das Belohnungssystem im Gehirn.

Diese Erfahrung brennt sich dort förmlich ein. Folgt erneut ein solcher Reiz, setzt er denselben Mechanismus in Gang, an dessen Ende das flüchtige Wohlgefühl Belohnung steht. Der Wunsch, das wiederzuerleben, ist hoch. Ein Orgasmus sorgt für das ultimative Hochgefühl. Der Grund: "Es wird noch mehr Dopamin ausgeschüttet und der Belohnungsfaktor steigt", so Kegel.

Auf der Suche nach dem noch größeren Kick konsumieren manche der Betroffenen darum immer mehr Filme und Bilder, andere wechseln schneller zwischen verschiedenen Sexformaten oder erhöhen die Reizintensität. Statt eines Softpornos schaut der Pornosüchtige dann einen Hardcore-Porno oder Filme mit immer extremeren und ausgefalleneren Inhalten, um Neues zu erleben. Das können beispielweise Gewalt- oder Vergewaltigungsfilme oder Darstellungen von Sex mit Tieren sein. "Viele Betroffene wundern sich über ihre plötzlich entstandenen neuen sexuellen Neigungen", sagt Kegel.

Neben der Online-Kommunikationssucht (Handysucht) und der Online-Spielsucht ist die Pornosucht die häufigste Onlinesucht. "Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Betroffenen steigen wird", sagt Kegel. Wie viele Betroffene es derzeit in Deutschland gibt, lässt sich nicht sagen. Manche Experten sprechen von einer halben Million, andere verweisen auf eine Internetstudie, die pro 10.000 Internetnutzer 80 Pornosüchtige ausmacht.

Eine genaue Zahl zu ermitteln wird vorerst unmöglich bleiben, denn es hapere allein an klar definierten Kriterien für die neue Suchterkrankung, sagt Kegel. Das Gefährdungspotential für den Einzelnen steigt jedoch dadurch, dass der Zugriff auf erotisierende Bilder und Filme leichter denn je ist. Zudem ist er fast immer und überall möglich. Das macht die Pornoabhängigkeit zur Sucht der Zukunft.

Grundsätzlich geht man davon aus, dass eher junge Männer betroffen sind, die über ein höheres Bildungsniveau verfügen. Digital Natives, die als Studenten beispielsweise ohnehin den halben Tag vor dem Rechner sitzen. Sie stehen unter Druck, ihre Hausarbeit fertig zu bekommen. Die Versuchung, sich das schnelle Glücksgefühl zu holen, läge nur einen Mausklick weit entfernt.

Studierende sind aber auch aus anderem Grund besonders gefährdet: "Bei ihnen ist die unstrukturierte Zeit und auch die fehlende Kontrollinstanz ein fördernder Faktor", sagt die Kölner Sexualtherapeutin. Im Unterschied dazu ist das Zeitkontingent bei Berufstätigen eingeschränkt. Wer im Büro sitzt, der lebt mit dem ständigen Risiko, dass ein Kollege oder gar der Chef hereinkommt. Alleine dadurch ist die Möglichkeit Stunden auf Pornoseiten zu verbringen eingeschränkt.

In ihre Praxis finden allerdings nicht nur die jungen Männer. "Es sind Männer verschiedenen Alters, manche Singles, andere verheiratet", sagt die Kölner Therapeutin. Allen gemeinsam ist der Leidensdruck, den sie spüren. Denn auch, wenn es den Betroffenen um die Sucht nach neuen Eindrücken statt um sexuellen Körperkontakt geht, hat die Pornosucht Auswirkungen auf die normale Sexualität: "Durch die ständige Überstimulation mit sexuellen Reizen ist das Belohnungszentrum und damit auch das sexuelle Verlangen unempfindlicher geworden. Das Gehirn hat sich sozusagen auf das sexuelle Schlaraffenland eintrainiert", sagt Miriam Kegel.

In Folge dessen bleiben die Betroffenen bei normalen sexuellen Reizen kalt. Sie brauchen schnelle Reizfolgen, so wie sie nur vor dem Bildschirm zu haben sind. Der Partnerin gegenüber ist das Verlangen hingegen reduziert. "Ist die Dopaminübertragung einmal gestört, kommt es dann bei realem Sex tatsächlich zu einem Lust-Verlust und Erektionsstörungen", sagt die Sexualtherapeutin.

Eine weitere Nebenwirkung von Onlinesex: Er torpediert das normale Antriebsniveau. Plötzlich fallen auch Aufgaben des Alltags schwerer. Sich mit Freunden zu treffen, hat kaum mehr Reiz. "Die Rezeptoren sind einfach auf Überstimulation eingestellt", erklärt Psychologin Miriam Kegel. Es kann zu Konzentrationsstörungen kommen, die wiederum dazu führen, dass man auch während der Arbeit oder anderen Tätigkeiten ständig nach sexuellen Reizen giert. Langeweile oder ein Hänger bei der Arbeit wird dann zum Auslöser für erneuten Pornokonsum.

Grundsätzliche Risikofaktoren, die jemanden zum Pornosüchtigen machen, sind bislang nicht bekannt. "Natürlich wird die Flucht in die virtuelle Welt umso verführerischer, je negativer die eigene Realität erlebt wird. Doch Internetpornografie ist im Gehirn so wirksam, dass sie auch ohne Suchtanfälligkeit schnell zum Selbstläufer werden kann", sagt Sexualtherapeutin Kegel.

Im Gegensatz zum Konsum von Essen, Alkohol und Drogen und anderen Suchtstoffen gibt es auch kein "körperliches Limit". Eine weitere Gefahr: Der "Kater" bleibt zunächst aus. Anders als bei anderen Süchten sind die negativen Konsequenzen des Konsums nicht direkt spürbar. Sie entwickeln sich oft schleichend; oft verbinden die Betroffenen sie darum nicht mit dem Pornokonsum. Im Gegenteil werden Gefühle von Lustlosigkeit, Unruhe und Stress durch einen neuen Sexrausch scheinbar erfolgreich beiseite geschoben. Dadurch wächst die Abhängigkeit.

Doch es gibt ein Entkommen aus dem möglichen Teufelskreis der Reizsucht. "Eine Therapie kann dabei helfen, die Suchtmuster zu durchbrechen und damit auch die Desensibilisierung des Belohnungszentrums wieder umzukehren", sagt die Kölner Sexualtherapeutin. Darum rät sie Betroffenen, sich Hilfe zu suchen.

Hilfe bei Pornosucht finden Betroffene nicht nur bei ambulanten Suchttherapeuten, sondern auch in spezialisierten Kliniken wie den Oberbergkliniken im Weserbergland, der Helios Klinik in Bad Grönenbach oder der Klinik Bad Herrenalb. Auch Selbsthilfegruppen zum Thema Sexsucht sind inzwischen deutschlandweit etabliert. In über 40 Städten werden inzwischen Meetings der anonymen Sexsüchtigen sowie der anonymen Sex- und Liebessüchtigen angeboten.

(wat)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort