Lästige Angewohnheit Das hilft gegen Nägelkauen

Unbewusst wandern die Fingerspitzen in den Mund, und es wird geknabbert oder abgerissen. Nägelkauen ist eine lästige Angewohnheit und manchmal mehr als das: Sie wieder los zu werden, ist alles andere als leicht. Experten geben Tipps.

 Jeder zehnte Erwachsene knabbert aus Stress, Anspannung oder Langeweile an seinen Nägeln.

Jeder zehnte Erwachsene knabbert aus Stress, Anspannung oder Langeweile an seinen Nägeln.

Foto: Shutterstock/DreamBig

Stress, Anspannung, Langeweile — viele Menschen knabbern in solchen Situationen an den Nägeln. Unbewusst wandert die Hand zum Mund, dann wird genagt, an Nagelecken gebissen oder mit der Zeit der Nagel bis ins Nagelbett hinein weggekaut.

Das Ergebnis sieht nicht nur unschön aus, es begünstigt auch Entzündungen der Nagelhaut oder des Nagelbettes. Denn aufgeweichte Nagelränder und bis ins Nagelbett eingerissene Nägel sind Eintrittspforten für Keime.

Schon bei Kindern ist das Phänomen zu beobachten. Unter Jugendlichen ist es am weitesten verbreitet. Laut einer kanadischen Studie kaut jeder zweite Teenager auf den Fingernägeln herum. Auch im Erwachsenenalter gelingt es vielen nicht, damit aufzuhören. Experten schätzen, dass jeder zehnte Erwachsene das Knabbern nicht lassen kann.

Und das, obwohl es viele gerne wollten. Denn der Kahlschlag an den Fingerkuppen ist vielen unangenehm oder gar peinlich. Das erst recht, "weil es in der Allgemeinbevölkerung mit einem nervösen Charakter oder mit Willensschwäche gleich gesetzt wird", sagt Steffen Moritz, Neuropsychologe am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg.

Das Nagelbeißen kann zwar auch ein Hinweis auf ein tief liegendes psychisches Problem sein, das sich in selbstverletzendem Verhalten zeigt. "In der Regel steckt dahinter aber lediglich eine schlechte Angewohnheit oder große Anspannung, Stress, Traurigkeit oder Aggression. Es ist eine lästige Angewohnheit und keinesfalls eine Sucht", sagt der Hamburger Experte.

Warum Bitterstoffe und Anti-Stress-Bälle oft nicht helfen

"Oft erfolgt das Nägelkauen als Ausgleichsreaktion, um sich abzureagieren", sagt Oliver Ruppel. Er arbeitet als Hypnosetherapeut und Heilpraktiker in Mettmann und behandelt dort per Hypnose zahlreiche Menschen, die in verschiedensten Bereichen eine Verhaltensänderung herbeiführen möchten, sei es Rauchen, Abnehmen oder auch Nägelkauen.

Für ihn zeigt sich beim Nägelkauen ein Mechanismus, wie man ihn in ähnlicher Form auch bei Suchtverhalten kennt: "Es geht darum, ein gutes Gefühl zu haben", sagt der Leiter des Instituts für Hypnose in Mettmann. Auch beim Nägelbeißen gebe man einem inneren Drang nach. "Es ist letztlich egal, ob es um Suchtmittel wie Zigaretten, Kokain, Schokolade oder um Fingernägel geht. Wird geknabbert, werden Botenstoffe ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl erzeugen. So entsteht ein Belohnungseffekt", erklärt Ruppel den psychischen Automatismus, den er meint.

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Das erklärt, warum den meisten, um ihr Nagel-Problem loszuwerden, weder das Kneten eines Antistressballs hilft, noch ein Fläschchen mit Bitterstoffen, die man sich zur Erinnerung auf die Fingerkuppen pinseln kann.

Der Stressball hilft im Moment. Ist er nicht verfügbar, fällt der Betroffene in sein altes Muster zurück und knabbert erneut. Ebenso verhält es sich mit Bitterstoffen. Weiterer Fallstrick beim Fläschchen mit dem fiesen Nagellack: Mancher gewöhnt sich an den Geschmack oder nimmt ihn billigend fürs Nägelkauen in Kauf.

Zwar kann es hilfreich sein, Fingernägel einer regelmäßigen Maniküre zu unterziehen, weil sie danach ebenmäßiger und schöner aussehen und die Hürde zum erneuten Nag-Anfall größer ist. Doch bringt auch das meist nicht den gewünschten Durchbruch. Werden Auslöser wie Stress, Langeweile oder Unsicherheit zu groß, fallen die Betroffenen zurück in ihr altes Schema.

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Ein Leiden — zu banal für den Arzt?

Andererseits erscheint die Störung so banal, dass damit kaum einer zum Arzt geht. "Alleine mit Willenskraft jedoch schaffen es viele nicht", sagt Neurologe Moritz. Der Grund dafür: Nägelkauen ist zwar keine echte Krankheit, aber eine Verhaltensauffälligkeit, bei der die Betroffenen die Kontrolle über ihr Verhalten verloren haben, sagt der Hamburger Neuropsychologe.

Aus diesem Grund scheint es nachvollziehbar, warum in hartnäckigen Fällen eine Verhaltenstherapie hilfreich ist. Wissenschaftlich erprobt ist eine Methode, die sich "Habit Reversal Training (HRT) nennt.

Dabei trainieren sich die Patienten eine Handlungsalternative zum Muster "Nägelkauen" an. "Das kann beispielsweise sein, eine Faust zu ballen", sagt Moritz. Immer wenn sie also den Drang zum Nägelbeißen bewusst verspüren, greifen sie ebenso bewusst auf das alternative Programm "Faust ballen" zurück.

Wie die Entkopplungsbehandlung die Gewohnheit stoppt

Steffen Moritz hat zu diesem Konzept eine eigene Variante entwickelt, die Entkopplungsbehandlung genannt wird. Ihr Ziel ist es, das bestehende alte Verhaltensmuster zu durchbrechen, ohne das gesamte Verhaltensmuster zu ändern. "Wenn es in den Fingern juckt, ist das nämlich nahezu unmöglich", sagt Moritz.

Darum empfiehlt er, ein neues Verhaltensmuster zu wählen, das Ähnlichkeiten zum alten Verhalten hat. Konkret heißt das: "Kommt der Drang zum Kauen, führt man die gewohnte Bewegung aus, verfälscht sie aber kurz vor dem Mund mit einer ruckartigen Bewegung in eine andere Richtung", sagt Moritz. Den Leitfaden für diese Art der Entwöhnung kann man kostenlos über die Seite des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf herunterladen.

Durch die ruckartige Bewegung entkoppelt man das Geschehen vom eingeübten alten Verhaltensmuster. "In der Hälfte der Fälle kann das den Betroffenen helfen", sagt Moritz. In einer groß angelegten Studie habe man dies nachgewiesen.

Hypnose gegen den Drang an den Nägeln zu kauen

Hypnosetherapeut Oliver Ruppel hat bei Erwachsenen gute Erfahrungen mit der Hypnosetherapie gemacht. "Wenn es lediglich darum geht, ein automatisiertes Verhalten — wie es das Nägelkauen sein kann — zu verändern, ist das mit der Hypnose in ein bis drei Sitzungen zu schaffen", sagt er. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Betroffene bereits vorher gelernt hat, Anspannung oder Stress anders zu bewältigen.

"Dann kann man in der Hypnose seine eigene Vorstellungskraft dazu nutzen, seine Verhaltensstrukturen umzutrainieren", sagt er. Die Hypnose schafft dafür ein entspanntes Umfeld, in dem der Patient in seiner eigenen Fantasie durchspielt, was die Lösung für seine Störung sein kann. Der Therapeut leitet ihn durch seine Fragen lediglich dabei an, sagt Ruppel und schließt an: "Mit Zauberei hat das nichts zu tun. Ähnlich wie bei der Raucherentwöhnung oder beim Abnehmen nutzt man bei der Hypnose einfach die Lernfähigkeit des Gehirns."

(wat)
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