Extremismusforscher nach Anschlag in Straßburg „Der Islamische Staat rekrutiert gezielt Kriminelle“

Düsseldorf · Der mutmaßliche Angreifer von Straßburg ist mehrfach vorbestraft. Im Gefängnis soll er sich radikalisiert haben. Wie kommt es zu dieser Radikalisierung? Wir haben den Gewalt- und Extremismusforscher Nils Böckler gefragt.

 Ein Mann wird inhaftiert (Symbolfoto).

Ein Mann wird inhaftiert (Symbolfoto).

Foto: dpa/Felix Kästle

Der Gefährder Chérif C. soll für den Anschlag in Straßburg verantwortlich sein. Er war mehrfach vorbestraft und saß unter anderem auch in Deutschland wegen schweren Diebstahls im Gefängnis. Während der Haft soll er sich radikalisiert haben. Wie kann das passieren?

Nils Böckler Seit den Anschlägen auf die französische Zeitung „Charlie Hebdo“ stellen wir einen Angreifer-Typus fest, den man vorher so nicht auf dem Radar hatte.

Wie meinen Sie das?

Böckler In der Zeit zwischen 2000 und 2010 schlossen sich viele Al Quaida an, weil sie auf der Suche nach einem Sinn waren und sie die Ideologie fasziniert hat. Sie wollten sich mit einer Idee beschäftigen. Seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo kristallisiert sich ein Angreifer heraus, der einen kriminellen Hintergrund hat und deshalb gezielt vom IS angesprochen wird.

Nils Böckler ist Radikalisierungsforscher am Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement.

Nils Böckler ist Radikalisierungsforscher am Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement.

Foto: Nils Böckler

Das heißt, viele werden im Gefängnis islamisiert, weil man sie dort über ihre kriminellen Taten ansprechen kann?

Böckler Ja. Es gibt ein Propaganda-Bild des IS im Netz. Darauf steht sinngemäß: „Deine dunkelste Vergangenheit wird bei uns zur hellsten Zukunft“. Damit wollen sie gezielt Kriminelle ansprechen, die bislang von der Gesellschaft für ihre Taten bestraft worden sind. Ihnen wird dann signalisiert, dass sie beim IS nicht nur weiterhin kriminell sein können, sie werden damit auch berühmt und machen Karriere.

Aber nur, weil jemand inhaftiert ist, muss er sich von dieser Parole nicht angesprochen fühlen.

Böckler Das stimmt. Menschen, die sich radikalisieren, befinden sich meist in einer Krise. Sie haben geliebte Menschen verloren, mussten ihre Heimat, ihre Kultur aufgeben oder es sind Jugendliche, die auf identitätsstiftende Angebote der Terroristen reinfallen. Auch Inhaftierung erzeugt den Druck, die eigene Identität neu zu finden. Wer in einer solchen Phase steckt, fragt sich, wie er mit seinem Leben klar kommen soll und welchen Sinn das Leben hat. Das macht ihn leicht ansprechbar für die Rekruteure des IS, die ganz gezielt Leute im Gefängnis auf ihre Seite ziehen wollen.

Das heißt, der IS konzentriert sich sogar auf Gefangene?

Böckler Ja, der sogenannte Islamische Staat rekrutiert gezielt Kriminelle. Wer noch kein Islamist ist, aber im Gefängnis sitzt, bei dem versuchen sie gezielt anzuknüpfen. Und umgedreht sorgen sie dafür, dass Islamisten, die ins Gefängnis gehen, auch weiterhin Islamisten bleiben, indem sie ihnen Briefe schicken und Sympathie zeigen.

Was haben Gefangene von der Radikalisierung außer dem Glauben an eine Ideologie?

Böckler Sie bekommen einen neuen Lebensweg aufgezeigt, aber auch den Halt in einer Gruppe, also ein neues soziales Netzwerk. Deshalb gibt es auch solche, die als Rechtsextremisten ins Gefängnis gehen und als Islamist wieder herauskommen. Rechtsradikalismus und Islamismus haben nämlich viel gemeinsam. Beides sind Ideologien, beide bieten Schwarz-Weiß-Denken, eine Gruppe, Freizeitaktivitäten und Karriere. Das Wichtigste ist, dass die Ideologie diesen Menschen eine Legitimation für ihr kriminelles Handeln bietet. Welche Ideologie das ist, kann dann zur Nebensache werden.

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