Zivilisationskrankheit belastet auch Wirtschaft Vier Millionen Deutsche haben Depressionen

München (RPO). Depressionen von Mitarbeitern kommen die deutschen Unternehmen teuer zu stehen. Die Krankheit kostet die Volkswirtschaft 22 Milliarden Euro jährlich und ist einer Studie der Allianz-Versicherung und des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zufolge inzwischen die "Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung" in Deutschland.

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Foto: dpa, Yuri Arcurs, Pascoe

Am teuersten aber seien nicht Behandlungskosten und Fehlzeiten, sondern die Minderleistung von Mitarbeitern, die ausgebrannt und depressiv seien und dies verheimlichten.

"Mit 9,3 Milliarden Euro der größte Kostenblock ist darauf zurückzuführen - das war die überraschende Erkenntnis der Studie", sagte Allianz-Krankenversicherungsvorstand Christian Molt am Mittwoch in München. Um so wichtiger sei es, Depressionen nicht länger zu tabuisieren und zu stigmatisieren.

"Vier Millionen Deutsche sind daran erkrankt, und wir haben jedes Jahr 14.000 Suizide", sagte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, Florian Holsboer. "Es kann jeden treffen."

CNN-Chef Ted Turner sei genauso depressiv geworden wie der britische Premier Winston Churchill oder der deutsche Nationalspieler und FC-Bayern-Spieler Sebastian Deisler: "Asche ohne Ende, eine brasilianische Braut, aber plötzlich Depressionen." Die Veranlagung könne vererbt sein oder durch eine traumatische Erfahrung entstehen, und Auslöser sei meistens Stress.

Psychiater kritisiert Burnout-Tamtam

Holsboer warnte allerdings davor, Depressionen und Burnout in einen Topf zu werfen und so eine schwere seelische Erkrankung zu banalisieren. Heute rühmten sich viele Menschen geradezu, sich verausgabt zu haben ohne die verdiente Anerkennung vom Chef. "Da wird zu viel Tamtam drum gemacht", spottete der Psychiater.

Depressionen dagegen bedeuteten, dass ein Mensch sich über nichts mehr freuen könne, jegliches Interesse verliere, keine Perspektive mehr sehe und des Lebens überdrüssig werde, "wie man das bei dem Torhüter Robert Enke gesehen hat".

Die Medizin könne diese Krankheit mit hochwirksamen Arzneien behandeln. Dank Gentest sei die Behandlung inzwischen auch viel gezielter und mit weniger Nebenwirkungen möglich. Allerdings gebe es zu wenig Psychiater, und viele Hausärzte könnten Depressionen nicht frühzeitig erkennen oder behandeln. Das mache die Krankheit oft erst chronisch. Molt sagte, nicht einmal zehn Prozent der Patienten würden richtig behandelt.

Dass depressive Menschen zur Arbeit gingen, statt sich krank zu melden und heilen zu lassen, koste die Wirtschaft 9,3 Milliarden Euro. Die Behandlung von Patienten koste 5,2 Milliarden Euro, die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit 1,6 Milliarden Euro und die Erwerbsunfähigkeit 4,6 Milliarden Euro im Jahr.

Die Folgen der Selbstmorde schlagen der Studie zufolge mit 1,3 Milliarden Euro zu Buche. Die Gesamtkosten von 22 Milliarden Euro entsprächen fast einem Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung, sagte der Versicherungsvorstand und forderte, Depressionen müssten endlich als ernst zu nehmende Krankheit akzeptiert werden.

Nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation WHO werden Depressionen in 20 Jahren die häufigste Krankheit in den Industrienationen sein.

(apd/top)
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