Alarmzeichen erkennen Suizidgedanken – das sind die Warnhinweise

Düsseldorf · Zuletzt haben sich in Deutschland mehr als 10.000 Menschen pro Jahr das Leben genommen. Wie erkennt man, dass ein Angehöriger gerade an Suizid denkt – und wie kann man helfen?

Niedergeschlagen sitzt ein Mann am Fenster (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/ArtMari

Jedes Jahr nehmen sich in Deutschland rund 10.000 Menschen das Leben. Das sind mehr als durch Verkehrsunfälle und Drogen sterben, das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. 2023 haben sich 10.300 Menschen das Leben genommen.

„Forscht man nach Suiziden rückblickend nach, zeigt sich, dass bei rund 90 Prozent der Suizidopfer eine psychiatrische Erkrankung vorlag“, sagt Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig.

Neben Depressionen sind es häufig psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie oder Suchtkrankheiten, die mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden sind. Kann man diese erfolgreich behandeln, verschwindet oft auch der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Denn einen Suizid zu verüben, ist für die meisten Menschen keine freiwillige Handlung. Den Begriff „Freitod“ finden viele Experten aus diesem Grund nicht passend. Sie sehen die Selbsttötung als schlimmste Folge ernster Erkrankungen.

„Die Betroffenen sind tief verzweifelt und sehen keine Hoffnung, ihre Situation zu verändern“, sagt Barbara Schneider, Chefärztin im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie an der LVR-Klinik in Köln und Vorsitzende des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland. Ihr ganzes Denken und Handeln sei wie in einem Tunnel auf den Suizid eingeengt.

Schwierige Lebensumstände, soziale Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder Einsamkeit, Kinderlosigkeit – all das seien Risikofaktoren, die zu Suizidgedanken führen können, sagt Schneider. Fast immer ist damit das Gefühl einer tiefen Hoffnungslosigkeit verknüpft. In depressiven Episoden quälen Schuldgefühle die Betroffenen. „Die Erkrankten empfinden sich als Versager, weil sie das Gefühl haben, als einzige mit der herrschenden Situation nicht zurecht zu kommen“, sagt Hegerl.

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Foto: dpa, Yuri Arcurs, Pascoe

Kommen dann Erfahrungen hinzu wie eine Trennung, finanzielle Probleme, Verlusterlebnisse oder die Diagnose einer schweren Krankheit, könne das den Impuls dazu geben, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Allerdings werden laut Hegerl schwierige äußere Bedingungen als Grund meist überschätzt. Eine sehr große Studie aus England zeige zum Beispiel, dass schwere körperlicher Erkrankungen das Suizidrisiko nicht wesentlich beeinflussen. Die Selbsttötung ist außerdem nicht immer von langer Hand geplant. „Oft gibt es Situationen, in denen Menschen plötzlich von Suizidgedanken überwältigt werden“, sagt Schneider. Alarmzeichen gibt es laut den Experten trotzdem fast immer:

  • Große Hoffnungslosigkeit: Hellhörig sollte man werden bei Äußerungen wie „Es hat ja doch alles keinen Sinn mehr …“, „Irgendwann muss auch mal Schluss sein …“ oder „Es muss jetzt was passieren …“. Bei depressiven Menschen sind sie der Hinweis auf eine ernste Gefährdung.
  • Angelegenheiten ordnen: Viele Menschen möchten vor einem Suizid ihre Angelegenheiten ordnen. Sie bedanken sich beispielsweise gezielt noch einmal für Dinge, verschenken Wertgegenstände, kündigen an, dass man sich vielleicht bald nicht mehr sehen werde und verabschieden sich von Freunden und Bekannten. Wer fest zum Suizid entschlossen ist, wirkt oft ruhiger und weniger verzweifelt. Das kann zu der Fehlannahme führen, dass es dem Betroffenen endlich wieder besser gehe.

Werden solche Warnzeichen wahrgenommen, sollten Angehörige, Freunde und Bekannte nicht zögern und konkret folgende Dinge tun:

  • Sprechen Sie das Thema an! Reden Sie ruhig und sachlich mit dem Betroffenen darüber. Befürchtungen, damit erst einen Suizid zu provozieren, sind falsch. Meist ist es für Suizidgefährdete eine Entlastung, mit anderen Menschen über die quälenden Gedanken und die Verzweiflung zu sprechen.
  • Suchen Sie die Hilfe eines Arztes! Unterstützen Sie den Betroffenen darin, sich professionelle Hilfe beim Hausarzt, Neurologen, Psychotherapeuten oder in einer psychiatrischen Notfallambulanz zu suchen. Es ist hilfreich, dem Betroffenen die Terminvereinbarung abzunehmen und ihn dorthin zu begleiten. Oftmals sind diese Menschen in der akuten Situation selbst zu antriebslos.
  • Zögern Sie nicht, den Notarzt oder die Polizei zu rufen! Befürchten Sie, jemand könnte sich akut das Leben nehmen, treffen Sie Menschen, die augenscheinlich in einer akuten Krise sind, rufen Sie unverzüglich den Notarzt. „Wie ein Herzinfarkt stellt auch eine solche Situation einen akuten Notfall dar, der dieses Handeln erforderlich macht“, sagt Schneider.


Häufig kann man in einer akuten Situation Zeit gewinnen, indem man das Gespräch mit dem Betroffenen sucht. Denn der Impuls zum tatsächlichen Ausführen des Suizids ist häufig nur kurz. „Will jemand etwa von einer bestimmten Brücke springen, aber diese ist gesperrt, dann geht er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einer anderen Brücke“, sagt eine Sprecherin der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Der Impuls zur Selbsttötung ist möglicherweise vorüber, bevor sich der Betroffene ein anderes Ziel gesucht hat. Darum zielen präventive Maßnahmen beispielsweise darauf ab, Brücken durch Netze zu schützen oder den Zugang abzusperren.

So brachte man in Bern an einer leicht zugänglichen Terrasse 30 Meter oberhalb der Altstadt Fangnetze an. Die Suizidrate sank in den folgenden Jahren. Mit verschiedenen Maßnahmen erreichte man auch an der Golden Gate Bridge in San Francisco, dass die Zahl der Selbsttötungsversuche drastisch zurückging. Neben Hinweisschildern mit der Telefonnummer einer Krisenberatung wurden dort Notruftelefonen und Netze angebracht.Hilfe finden Betroffene wie auch Angehörige bei folgenden Anlaufstellen:

  • Telefonseelsorge 0800/1110111 und 0800/1110222
  • Sozialpsychiatrische Dienste bei den Gesundheitsämtern

Ein Selbsttest auf der Seite der Deutschen Depressionshilfe gibt erste Hinweise auf mögliche Anzeichen einer Depression. Man findet dort nähere Informationen zu diesem Thema sowie Hilfsadressen. Angehörige finden darüber hinaus in Selbsthilfegruppen Unterstützung. Solche Gruppen findet man über die Seite des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Dort lässt sich nach Diagnosen oder Orten suchen.

Weitere Hintergrundinformationen zum Thema Suizidprävention finden Sie in unserem Überblicksartikel.

Anmerkung der Redaktion: Diesen Artikel haben wir ursprünglich 2018 veröffentlicht. Nach leichter Überarbeitung bieten wir ihn ob weiter bestehender Aktualität erneut zum Lesen an.