Männer ticken anders Riskantes Verhalten Indiz für Depression

Bayreuth · Männer, die wie besessen über die Autobahn heizen, die eine Leidenschaft für schnelle Motorräder haben oder sich exzessiv gefährlichen Sportarten hingeben, gelten als männlich. Dass sich in diesem Verhalten auch eine handfeste Depression zeigen kann, zeigt sich oft erst viel später.

Stress setzt auch den Promis zu
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"Depressionen sind der Killer Nummer eins", sagt Psychiater Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf. Drei bis vier Millionen Männer erkranken im Verlauf ihres Lebens daran, schätzen Experten. Lange galt Depression als eine Krankheit der Frauen. Man nahm an, dass sie zwei bis drei Mal häufiger daran davon betroffen sind. Dies wird heute von Experten bezweifelt. So stieg zwischen 1994 und 2003 die Zahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle wegen psychischer Erkrankungen bei Männern um 82 Prozent, bei Frauen dagegen "nur" um 57 Prozent. Das belegt der Gesundheitsbericht 2010, den die Stiftung Männergesundheit und die Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. erstellen ließen.

10.000 Männer sehen jedes Jahr den einzigen Ausweg im Freitod, 100.000 versuchen im selben Zeitraum sich das Leben zu nehmen. Gelungene Suizide sind ein männliches Phänomen, so offenbart es der Gesundheitsbericht weiter: Zwei Drittel bis drei Viertel aller Suizidopfer sind Männer. Das belegt: Depressionen sind keine Frauenkrankheit. Die Symptome, die aber über diese Krankheit landläufig bekannt sind, beschreiben das, was eher bei Frauen in Augenschein tritt. Männer aber definieren sich anders. Aus diesem Grund zeigt sich das psychische Leiden in unbekannter Form.

Symptome — Der Depression auf der Spur

Exzessiver Sex, Affären, ein hohes Risiko zu fahren und sich selbst und andere in Todesgefahr zu bringen, alles bis zum Limit auszureizen, überzogene Wutanfälle, Männer, die plötzlich sehr aufbrausend sind — das sind die versteckten Hilfeschreie depressiver Männer. "Für dieses Verhalten muss man das leidige Testosteron heranziehen", sagt Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf. Er arbeitet als Ärztlicher Direktor im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. "Männer sind einfach hormonell aggressiver ausgestattet", fügt er hinzu. Als Experte für Männerdepressionen kennt er Gefühlsausbrüche von Männern, die explodieren, nur weil der Nagel nicht in die Wand will.

Männer leiden im Verborgenen, gehen bei Depressionen nur selten zum Arzt, so beschreiben es auch die Experten der Techniker Krankenkasse. Sie bringen sich mitunter in gefährliche Situationen, nur weil sie keine Hilfe annehmen. "Frauen besitzen die Fähigkeit des Klagens", beschreibt der Psychiater. Was noch vor 40 Jahren als Jammern und Klagen von Medizinern belächelt wurde, wird heute in der Psychologie als Fähigkeit erkannt, auf Hilfsbedürftigkeit hinzuweisen. Er sieht Frauen im Vorteil durch ihre Fähigkeit, bei der Freundin wie beim Hausarzt klagen zu können. "Frauen suchen Hilfe, Männer bringen sich um", erklärt Prof. Wolfersdorf. Mit steigendem Alter gehe bei den Männern die Suizidrate stark hoch.

Die Schwäche der Männer

Viele Männer können das Hilfesuchen nicht, weil sie es nach der Erkenntnis des Experten nicht lernen. Für das starke Geschlecht deckt sich das Suchen nach Hilfe und Unterstützung nicht mit dem Idealbild, das sie von sich selber haben. Sie werden groß mit der Anforderung stark sein zu müssen, komme was wolle. "Männer weinen nicht", heißt auch das Buch, in dem Prof. Wolfersdorf gemeinsam mit den Co-Autorinnen und Wissenschaftsjournalistinnen Constanze Löffler und Beate Wagner das Thema Depression um eine besondere Sichtweise erweitern.

Wer das weinen nicht gelernt hat, dessen Selbstbild ist bestimmt von einer starken Leistungsorientierung. Dies zeigt sich, so die Erfahrung des Psychiaters, vor allem in der Einzeltherapie mit depressiven Männern. Themen wie Arbeitsbelastung, Arbeitsplatzunsicherheit, die eigene Rolle im Berufsleben und die Angst gegenüber der eigenen Familie zu versagen, sind die Themen, die Männer umtreiben. Das Durchmischen von Berufs- und Privatleben erzeugt eine neue Art von Stress, der an der Gesundheit nagt. Bei depressiven Frauen hingegen stehen laut Wolfersdorf eher Beziehungsthemen im Vordergrund.

Das erklärt, warum die Depression im Alter häufiger zum Vorschein kommt: Wer sich stark über seine Arbeit definiert, kommt ins Schwimmen, wenn er in den Ruhestand geht, den Job verliert oder krankheitsbedingt ausfällt. Das starke Geschlecht schwächelt dann.

Depression und Sucht eng beieinander

Mancher bemerkt zwar, dass er nicht mehr klar kommt, sucht aber die Lösung in einer Eigentherapie: "Alkohol gehört dazu oder extremer Sport", sagt Wolfersdorf. Sport nämlich wirkt durch die Hormone, die der Körper bei langer sportlicher Belastung ausschüttet, antidepressiv. Es sind Cortisol, Adrenalin und Serotonin, die die wunde Psyche betäuben. Wolfersdorf kennt viele Beispiele: "Ein Mann, der plötzlich massiv anfängt zu Laufen. Er läuft Marathon. Ein Jahr hat er das durchgehalten, dann war er depressiv." Ein anderer hingegen habe durch ein tägliches Lauftraining über die Distanz von sechs Kilometern ein Ventil für seine Krankheit gefunden und komme gut damit zurecht. Daneben bringen Medikamente die Freude im Leben zurück. Wem Dopamin fehlt, der wird antriebslos. Serotonin lässt uns angstfrei durch den Alltag gehen. Wer einen Mangel daran erleidet, der bemerk das auch an einer veränderten Libido oder Appetitmangel. Das sind Fälle, in denen Therapeuten mit Medikamenten helfen können.

Ungeschehen machen sowohl Pharmakotherapie als auch Psychotherapie eine Depression nicht. Heilen kann man nur bedingt. "Aber in 70 bis 80 Prozent der Fälle ist eine Symptombesserung möglich", sagt Prof. Wolfersdorf. "In den meisten Fällen kommt eine Wiedererlangung der Beziehungs- und Arbeitsfähigkeit heraus. Allerdings marschiert der Mensch, der einmal eine schwere Depression gehabt hat, die mit einem erhöhten Risiko wieder einmal depressiv reagieren zu können, durchs Leben."

Hier finden Betroffene Hilfe

Anlaufstelle sind im akuten Fall psychiatrische Kliniken. In den dortigen Notfallambulanzen wird sofort jedem geholfen, der Hilfe benötigt. "Wir sind dazu verpflichtet"" sagt der Experte aus der Praxis. Allerdings beobachtet auch er in seiner Notfallambulanz, dass die Zahl der Hilfesuchenden sich in den letzten Jahren verdreifacht hat. "Die Menschen gehen heutzutage mehr in Behandlung, finden aber keinen Platz", berichtet Prof. Wolfersdorf. Richtig schwierig wird es für die, die zeitnah psychotherapeutische Hilfe im ambulanten Bereich in Anspruch nehmen wollen. Patienten warten dort mitunter ein halbes Jahr lang auf einen Therapieplatz. Die Lücke zwischen akuter Notfallbehandlung und der ambulanten Weiterbehandlung schließen häufig die Hausärzte, die zwar nicht tiefergehend therapieren können, wohl aber laut Wolfersdorf die medikamentöse Versorgung sicherstellen.

(wat)
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