Seelsorgerin zur alternativen Krebstherapie in Bracht-Brüggen "Die Chemotherapie ist für viele ein brutaler und steiniger Weg"

Düsseldorf · 10.000 Euro kostet eine umfassende Behandlung im Zentrum für alternative Krebstherapien in Brüggen-Bracht. Die Wirksamkeit der Therapien ist in Studien nicht erwiesen. Nun könnten drei Patienten an den Folgen eines Medikamentes gestorben sein. Warum lassen sich Krebspatienten auf so etwas ein? Wir haben mit einer Seelsorgerin darüber gesprochen.

 Katharina Hamacher arbeitet seit 30 Jahren als Seelsorgerin. Seit drei Jahen ist sie am Kreiskrankenhaus Grevenbroich St. Elisabeth tätig.

Katharina Hamacher arbeitet seit 30 Jahren als Seelsorgerin. Seit drei Jahen ist sie am Kreiskrankenhaus Grevenbroich St. Elisabeth tätig.

Foto: Katharina Hamacher

Frau Hamacher, Sie arbeiten jeden Tag im Krankenhaus als Seelsorgerin und erleben häufig, was passiert, wenn Menschen die Diagnose Krebs bekommen. Was ist das für ein Moment im Leben eines Menschen?

Hamacher Für die meisten ist das erstmal ein echter Schock, weil sie mit der Diagnose mitten aus dem Leben gerissen werden. Das Leben steht einem durch die Behandlung auch einfach nicht mehr zur persönlichen Verfügung. Neulich hat eine Patientin noch zu mir gesagt: "Während der Chemotherapie kann ich nichts planen, weil ich nie weiß, wie es mir geht." Und dass das Leben dann plötzlich endlich ist und man seine Pläne nicht mehr umsetzen kann, das ist für viele wirklich schockierend.

Gibt es denn einen psychischen Prozess, den alle Krebspatienten so oder so ähnlich durchmachen?

Hamacher Nein, jeder Patient reagiert anders auf seine Erkrankung, insbesondere dann, wenn der Krebs rezidiv ist, also immer wieder kommt, oder die Diagnose "austherapiert" gestellt wird. Was ich aber häufiger erlebe, ist, dass manche Patienten schon längere Zeit vorher gespürt haben, dass etwas nicht stimmt, sich aber nicht überwinden konnten zum Arzt zu gehen. Wenn sie dann zu uns kommen und beispielsweise die Diagnose Brustkrebs erhalten, erleben sie vor allem von den Angehörigen Schuldzuweisungen wie "Wir haben dir doch gesagt, dass du zum Arzt gehen sollst". Und dann gibt es andere, die verdrängen ihre Krankheit bis zum Schluss. Sie machen alle Therapien mit und signalisieren auch nach außen deutlich, dass sie nicht weiter darüber reden wollen.

Ist Ihnen ein Fall besonders in Erinnerung geblieben?

Hamacher Neulich hatte ich einen Patienten, der zu mir gesagt hat: "Ich weiß, dass ich sterben werde, aber ich wusste nicht, wie schwer das ist."

Und was genau ist ihm so schwer gefallen?

Hamacher Seine Familie zurückzulassen. Denn alle haben sich gut verstanden, er hatte einen Sohn, es gab ein Enkelkind und er konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, sie loszulassen. Und das, obwohl er mit seiner Krankheit - er hatte Lungenkrebs - sehr offensiv umgegangen ist. Er wollte von den Ärzten von vornherein eine offene und ehrliche Einschätzung wissen und hat sich dagegen entschieden, noch eine Behandlung auszuprobieren. Was ihm wichtig gewesen ist, war, ohne Schmerzen zu sterben, und das wurde ihm auch ermöglicht.

Können Sie angesichts solcher Erfahrungen nachvollziehen, dass sich ein Krebspatient in die Hände eines Heilpraktikers begibt, der alternative Therapien anbietet, wie es in Brüggen-Bracht der Fall war?

Hamacher Dafür gibt es für mich mehrere Erklärungen. Zum einen kann es eine altersabhängige Entscheidung sein, denn wir erleben es immer wieder, dass sich auch Senioren stark ans Leben klammern und jeden Strohhalm ergreifen, der Hoffnung verspricht. Zum anderen kann es sein, dass die Angehörigen den Patienten drängen. Das wiederum erleben wir sehr häufig bei jüngeren Patienten. Dass die Kinder oder Ehepartner sagen, die Patienten dürften nicht aufgeben, dass sie noch andere Lösungen finden sollen.

Wenn ich mir das vorstelle, denke ich mir, dass ein Mensch, der den Tod vor Augen hat, eine große Verzweiflung überkommen müsste, die ihn vielleicht auch dazu treibt, allerlei Therapien auszuprobieren. Aber davon sprechen Sie gar nicht.

Hamacher Das liegt daran, dass für viele Patienten der Krankheitsverlauf extrem zermürbend ist. Gerade wenn sie schon über Jahre krank sind und der Krebs rezidiv ist, also immer wieder gekommen ist, dann wollen sie oft einfach nicht mehr.

Das bedeutet: Die Nebenwirkungen der Chemotherapie und Bestrahlung sind so schlimm, dass die meisten irgendwann lieber sterben, als damit weiterzumachen?

Hamacher Ja, für viele ist die Chemotherapie ein sehr brutaler und steiniger Weg. Es gibt schon auch die anderen, die bis ans Ende kämpfen. Aber wenn ich das prozentual sagen sollte, kommen viele an einen Punkt, an dem sie nicht mehr können. Der tritt meist nach den ersten Runden zwei- bis dreiwöchiger Chemotherapie ein, viele sagen dann: "Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es nie gemacht, und mache es auch nie wieder."

Was sind denn die Nebenwirkungen, sowohl körperlich als auch psychisch?

Hamacher Gliederschmerzen, Übelkeit, Haarausfall - wobei, der stört die meisten Patienten noch nicht einmal so sehr. Aber die Füße brennen, die Schleimhäute entzünden sich, sowohl im Mund, sodass es schwierig wird noch etwas zu essen, aber auch die Schleimhäute im Genitalbereich sind betroffen. Es gibt Taubheitsgefühle in den Fingern, Verstopfung. Und hinzu kommen die psychischen Erscheinungen. Viele werden schwer depressiv, klappen zu Hause emotional zusammen und sagen dann eben oft Sätze wie: "Jetzt bin ich zwar zu schwach, aber wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir lieber die Kugel gegeben."

Finden Sie angesichts solcher Erlebnisse, dass Chemo und Bestrahlung sinnvoll sind?

Hamacher Manchmal fragt man sich schon, ob es nicht besser wäre, einem Patienten die Lebensqualität zu erhalten - also keine Behandlung zu geben. Auch, wenn sich dadurch die Lebenszeit etwas verkürzt.

Es klingt für mich so, als wäre das vielleicht sogar der eigentliche Grund, warum Menschen bereit sind, sich alternativen Therapien zu unterziehen. Dass sie dort eben diese Nebenwirkungen nicht oder nicht mehr ertragen müssen.

Hamacher Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn ein Arzt auf seiner Webseite verspricht, dass man bei gleichem Ergebnis einen leichteren Weg gehen kann - dass das viele anspricht. Aber man muss auch sagen, dass man dann sehr blauäugig sein muss. Denn wenn es wirklich so gut funktionieren würde, dann würden ja viel mehr Menschen solche Therapien wählen.

Gerade bei Brustkrebs soll Chemo und Bestrahlung ja sehr gut wirken.

Hamacher Wobei ich auch sagen muss, dass gerade Brustkrebs sehr hinterlistig ist. Ich kann das gar nicht anders ausdrücken. Denn oftmals sind die Patientinnen vier oder fünf Jahre beschwerdefrei und dann kommt der Krebs so wieder, dass man ihn mit wirklich harten Waffen bekämpfen muss.

Halten Sie denn dann überhaupt etwas von diesen konventionellen Methoden?

Hamacher Ja, auf jeden Fall. Man muss auch die andere Seite sehen. Oftmals wird das Leben deutlich verlängert und viele Patienten werden damit auch geheilt. Wir haben hier im Krankenhaus auch viele Chemo-Patienten, die den anderen Mut machen und sehr positiv berichten. Und das ist auch wichtig und gibt den anderen Patienten Kraft.

Aber alternative Mittel werden im Krankenhaus nicht eingesetzt?

Hamacher Manchmal liest ein Patient etwas und fragt den Arzt, ob man das in seine Therapie integrieren kann. Dann wird das geprüft und manchmal auch tatsächlich zusätzlich gegeben. Um welche Therapien es sich dann aber genau handelt, kann ich nicht sagen, dafür müsste man mit einem Onkologen sprechen. Wichtiger als die Frage nach der richtigen Therapie ist meiner Meinung nach aber der Rückhalt bei Familien und Freunden. Wer die Idee hat, sich mit alternativen Methoden behandeln zu lassen, sollte das unbedingt mit nahestehenden Menschen besprechen und sich auch bei Psychoonkologen eine weitere Meinung einholen.

(ham)
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