"Mein Jahr mit dem Tod“ Begegnungen mit dem Tod

Düsseldorf · Autorin Heike Fink hat ein Jahr lang in Sachen Tod recherchiert und mit Menschen gesprochen, die sich täglich mit ihm befassen. Sie stellt viele Fragen, die Antworten darauf muss jeder sich selbst geben.

 Ein Friedhof (Symbolbild).

Ein Friedhof (Symbolbild).

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

Wie wird es sein, wenn man tot ist? Warum haben die Menschen solche Angst vor dem Tod? Warum ist er so ein Tabuthema, das die meisten zu verdrängen versuchen? Heike Fink hat sich ein Jahr lang mit dem Tod auseinandergesetzt und mit Leuten gesprochen, die sich tagtäglich mit ihm befassen: mit Menschen, die auf einem Friedhof leben, mit einem Jäger, einem Tatortreiniger, einer Kinderhospiz-Leiterin, einem Mann, der seine sterblichen Überreste der Ausstellung „Körperwelten“ überlassen will, einem Bestatter und dem Choreografen Martin Schläpfer, der mit Tanz dem Tod zu trotzen versucht.

„Das letzte Mal, dass wir etwas zum ersten Mal tun werden, wird unser Tod sein.“ Es sind Sätze wie diese, die einem bei der Lektüre dieses Buches immer wieder inne halten und nachdenken lassen. Die Journalistin, Drehbuchautorin und Dokumentarfilmerin Heike Fink hat das Thema Tod ein Jahr lang beschäftigt. Ihre Motivation war es herauszufinden, warum sie selbst so große Angst davor hat, nicht verstehen will, warum man irgendwann gehen muss, gleichzeitig aber davon fasziniert ist. Das Sterben eines gleichaltrigen Freundes war für die 50-Jährige Anlass, sich dem Tod zu nähern. Sie suchte sich zwölf Ansprechpartner und traf sich jeden Monat mit einem von ihnen. Und fand heraus, dass der Tod viele Facetten hat und auch Humor dabei eine Rolle spielt.

Schon das Wort ängstigt: Tod. Noch schlimmer brüllt es einem in Versalien entgegen: TOD. Wie ein „Vollmondgesicht mit unterschiedlichen Ohren“, beschreibt es die Autorin. „Es ist ein angstbesetztes Terrain, vermint, voller unkontrollierbarer Gefahren für die Seele.“ Heike Fink stellte sich der Herausforderung und hatte dank ihre Recherche bemerkenswerte Begegnungen. Etwa mit dem 14-jährigen James im Kinderhospiz. Er ist todkrank, leidet unter fortschreitendem Muskelschwund, wird künstlich beatmet und sitzt im Rollstuhl. Trotzdem liefert er sich fröhliche Schlachten mit der Wasserpistole und hat sich in ein Mädchen verliebt, die Schwester eines anderen Patienten.

Bereits vor zehn Jahren hat James erfahren, dass er seine Volljährigkeit nur erreicht, wenn es gut läuft. Trotz seiner schlechten Prognose bleibt er positiv, träumt von einem Besuch in Paris, der Stadt der Liebe. „Den Tod kann ich mir nicht genau vorstellen. Ich kann mir nur ein schönes Bild davon machen“, sagt der Jugendliche, der „Die Brüder Löwenherz“ von Astrid Lindgren als sein Lieblingsbuch nennt. Vielleicht rührt daher sein nüchterner Umgang mit dem Tod? Die beiden Brüder in dem Roman treffen sich im Jenseits, in Nangijala, wieder, auch wenn es dort nicht gerade friedlich zugeht. Finks Schilderungen leben von solchen lebendig wiedergegebenen Gesprächen und Wahrnehmungen, von schönen Momenten wie dem der lachenden Kinder im Hospiz, denen schöne und angenehme Momente geschenkt werden sollen.

Als wäre es normal, leben die Menschen auf dem Friedhof von Kairo mit den Toten zusammen. Dort hausen 300.000 Menschen. Auf den unterirdischen Grabkammern stehen Mausoleen, die als Unterkünfte dienen. So können die Menschen ihren Verwandten ganz nah sein. Durch die große Landflucht in Ägypten und die prekäre Wohnraumsituation in Kairo zogen aber vor allem Arme auf die Friedhöfe. Heike Fink spricht mit einer Frau, die schon auf dem Friedhof geboren wurde und sich nun als Grabwäscherin verdingt.

Das Mausoleum, in dem sie mit ihrem Vater wohnt, gehört ihrer Familie seit Generationen. Sie schlafen auf den Toten, essen auf ihnen und feiern auf ihnen. „Der Friedhof ist ein Teil von mir geworden“, sagt die Frau. „Mein Leben hat Gott so gewollt.“ Trotzdem träumt sie von einer Wohnung in der Stadt, mit Strom aus der Steckdose.

Zehn Kilometer lang ist diese sogenannte Totenstadt, die nur von wenigen Straßen durchkreuzt wird. Hier gibt es „Satellitenschüsseln, Wäscheleinen, kleine Kioske, Frisöre, Marktstände mit Gemüse... ein Café, aber auch einfache Lehm- und Bretterbuden“ zwischen all den Gräbern. Der Tod ist hier kein Tabu, sondern ein Teil des täglichen Lebens.

Das bringt auch bei uns so mancher Beruf mit sich, etwa der des Jägers, der im Wald unterwegs ist, ein Ort, „wo Mord und Totschlag herrschen“, wie er sagt. Denn nirgendwo wird so viel gestorben wie hier. Bäume eingeschlossen. Oder der Tatort­reiniger, der ganz pragmatisch an die Sache herangeht und sich nicht mit dem Tod befasst, wie er beteuert, obwohl er ihn täglich umgibt.

Sonnenschein heißt dieser Tatort­reiniger, und er hat auch ein solches Gemüt – denn sonst könnte er den Job wahrscheinlich nicht machen. Früher war er Kopfschlächter und hat Schweine im Akkord ins Jenseits befördert. Heute reinigt er Tatorte. „Wir beginnen da, wo andere aufhören“, lautet der Werbeslogan seiner Firma. Er weihte Heike Fink in die Besonderheiten seines Berufs ein, für den „ein stabiles Gemüt und ein guter Magen, der auch bei Stress nicht kapituliert“ Voraussetzungen sind. Auch wenn er nicht selbst mit den Leichen konfrontiert wird. „Wir sehen nur die Überreste wie Blut und andere Körperflüssigkeiten, haufenweise Ungeziefer, Maden, Schmeißfliegen“, erzählt Armin Sonnenschein. Je länger eine Leiche liegt, desto länger dauert die Reinigung. Leichengift kann bis zu 30 Zentimeter tief ins Mauerwerk eindringen – und dann wird es gesundheitsgefährdend, wenn der Tatortreiniger seinen Job nicht gut macht. Eigentlich wollte die Autorin ihm einen Tag lang assistieren – doch schon die Erzählungen haben Heike Fink kneifen lassen.

Beeindruckt hat die Wuppertalerin auch die Begegnung mit einer Journalistin, die zunächst ehrenamtlich als Sterbebegleiterin am Palliativzentrum eines Krankenhauses arbeitete und dabei das Projekt „Familienhörbücher“ entwickelte. Sie nimmt Erinnerungshörbücher mit Todgeweihten auf. Diese erzählen darin häufig ihre Lebensgeschichte und versuchen, mit ihrer Stimme, „diesem Spiegel der Seele“, den Hinterbliebenen etwas zu hinterlassen. So trotzt auch die lebendige Erinnerung dem Verschwinden eines geliebten Menschens.

Wäre das Leben schön, wenn es endlos wäre? „Ohne den Tod würden wir nichts erleben an Intensität, an Passion“, sagt etwa Martin Schläpfer. Der Choreograf und langjährige Leiter des Balletts der Rheinoper setzt sich bewusst mit dem Tod auseinander. In seinem Wohnhaus in Düsseldorf steht das Wort „Tod“ an einer Wand – zu sehen in dem Dokumentarfilm „Feuer bewahren, Asche nicht anbeten“ über den Schweizer. So kam Heike Fink auf die Idee, sich mit ihm zu treffen.

Gerade als Tänzer muss man sich mit körperlichem Verfall auseinander setzen. „Älterwerden ist ein schwieriger Prozess, weil er natürlich mit dem Tod zusammenhängt. Man wird sich bewusst, dass man absolut abbaut“, gibt der 59-Jährige zu, der heute Direktor des Wiener Staatsballetts ist. Tanz ist flüchtig, von kurzlebiger Schönheit. „Er ist das Manifest von Energie im Moment“, findet Schläpfer. Er wisse allerdings nicht, ob das die Bejahung von Leben ist oder Verneinung, gibt er zu bedenken. Nicht zufällig hat er über Jahre hinweg verschiedene Requiems choreografiert, Totenmessen. Er spricht von seiner Faszination „für die Angst, das Tabu und auch für die Vergebung, die im Angesicht des Todes – ob im Leben oder in der Kunst“ – für ihn eine tragende Rolle spielen.

Ist die Angst vor dem Tod vielleicht auch die Angst vor Bedeutungslosigkeit? Vor dem Ende von Bewusstsein? Und: Hilft der Glaube, den Schrecken des Todes zu mildern? Heike Fink stellt viele Fragen, auf die es oft keine Antworten gibt – oder nicht für jeden die gleiche. Durch die Beschäftigung mit dem Tod hat sich ihr Verhältnis dazu etwas geändert. „Das Schreckgespenst wurde ein Gespenst. Ich bin leichter geworden“, berichtet sie. Auch wenn sie sagt, dass die Furcht geblieben ist.

Schockiert hat sie die Erkenntnis, dass die Angst vor dem Tod vielleicht auch eine Angst vor dem Verlassenwerden ist, denn „wenn andere sterben ist das schlimmer als der eigene Tod“, sagt sie.

Werdegang Heike Fink, aufgewachsen in Schwaben, Studium Literaturwissenschaft und Soziologie, danach Journalistin und Testesserin. Schreibt Drehbücher und macht Dokumentarfilme.

Buch Heike Fink, „Mein Jahr mit dem Tod. Wie ich den großen Unbekannten besser kennen lernte“, Gütersloher Verlagshaus, 320 S., 20 Euro.

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