Anschläge in Paris Terror - die psychischen Folgen für den Menschen

Düsseldorf · Nach den Anschlägen in Paris herrscht bei vielen Menschen Angst und Unsicherheit. Die terroristische Bedrohung ist näher an uns herangerückt. Was bedeutet der Terror psychologisch für die Menschen in Europa und hier in Deutschland? Müssen wir uns wirklich fürchten?

 Kerzen anzuzünden und sich zu solidarisieren ist die beste Hilfe gegen die Angst.

Kerzen anzuzünden und sich zu solidarisieren ist die beste Hilfe gegen die Angst.

Foto: dpa, mjh cul

Die Anschlagsserie vom vergangenen Freitag riss 132 Menschen jäh aus dem Leben. Einige der 352 Verletzte ringen immer noch mit dem Tod. Das schürt Angst.

Nach Terroranschlägen wie denen in Paris liegen bei vielen die Nerven blank. Solch ein Anschlag könnte jeden treffen. Diese Angst macht sich in den Köpfen breit. Und sie scheint nicht unbegründet. Frankreichs Premier Manuel Valls spricht von weiteren Plänen der IS Anschläge auf europäische Länder zu verüben.

"Wir möchten gerne, dass die Welt um uns herum vorhersehbar ist. Angriffe wie die in Paris zielen darauf ab, Angst zu säen", sagt Prof. Winfried Rief, Klinischer Psychologe und Leiter der Psychotherapie-Ambulanz Marburg. Die Folgen können für den Einzelnen unabsehbar groß sein.

"Wer Angst hat, der mag sich nicht mehr Situationen stellen, in denen sie droht. Der geht vielleicht nicht mehr raus und bewegt sich nicht mehr frei", beschreibt der Psychologe eine der möglichen Folgen. Das kann so weit gehen, dass Menschen Großveranstaltungen meiden, sich nicht mehr auf Plätzen aufhalten möchten oder mögliche Anschlagsorte als touristische Ziele meiden.

"Genau das wollen Terroristen erreichen", ist sich Prof. Gerd Gigerenzer, Psychologe und Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung sicher. Neben dem Erstschlag auf Menschenleben verüben sie einen Zweitschlag: den auf unsere Psyche.

"Das ist der Kernpunkt, den man verstehen muss. Es geht nicht nur darum Menschen in den Tod zu reißen", sagt er. "Diese 132 Individuen, die zufällig Opfer der blutigen Anschläge wurden stehen für ein anderes Ziel. Es geht um den Anschlag auf unsere Gesellschaft und die Demokratie."

Darum hält er es für wichtig, sich nach solch schrecklichen Ereignissen darauf zu konzentrieren diesen Zweitschlag zu verhindern. "Wir sollten nicht zulassen, dass sie solchen Einfluss auf unsere Psyche nehmen und uns von der Angst beherrschen lassen", so lautet sein Plädoyer für Mut und Solidarität. Diese zeigen die Menschen derzeit überall auf der Welt.

In der Tricolore leuchtende Sehenswürdigkeiten von Brasilien, über Amerika und auch Deutschland sind ein solches Zeichen. Brennende Kerzen in Paris, Hamburg und auch Düsseldorf und eine Gedenkminute sind es auch. "Wie auch nach dem 11. September 2001 kann man beobachten, dass die Menschen zusammenfinden, und das ist eine gute Reaktion. Sie zeigt: Wir lassen uns nicht verunsichern", sagt Gigerenzer.

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Foto: Shutterstock/wavebreakmedia

Doch sie sind mehr als ein äußeres Zeichen. "Ritualisierung wie das Kerzenanzünden hilft mit den Dingen umzugehen", erklärt der Leiter der Marburger Psychotherapie-Ambulanz. Auch in der klinischen Praxis nutzen Therapeuten solche Mittel. Eine Kerze abzustellen könne für Patienten ein Weg sein, um sich bewusst von jemandem oder etwas zu verabschieden. Erst danach sind viele offen für eine Neubewertung der eigenen Situation.

Die scheint nötig. "Wir werden akzeptieren müssen, dass es keinen Schutz gibt", ist sich Psychologe und Komplexitätsforscher Dr. Franz Reither sicher. "Wenn jemand die elementaren Regeln einer freien und friedlichen Gesellschaft nicht gelten lässt, versagen alle unsere Mechanismen."

Darum lässt es uns verstört zurück, wenn sich Menschen für eine radikale Ideologie mit einem Sprengstoffgürtel sogar selbst das Leben nehmen. "Das können auch Polizeieinsätze nicht stoppen", sagt Reither.

Aus den Erfahrungen vergangener Gewaltanschläge und auch Unfälle weiß man, dass Menschen jedoch in solchen Situationen zu Bauchreaktionen neigen. "Risiken werden vollkommen falsch eingeschätzt", weiß Professor Gigerenzer.

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Foto: dpa, Martin Gerten

Im Jahr 2009 rief er in Berlin das Harding-Zentrum für Risikokompetenz ins Leben. Es verschreibt sich der Erforschung von Risiken und soll Bürgern dabei helfen, sie richtig zu beurteilen.

Bei dieser Arbeit stieß Gigerenzer auf seltsame Zusammenhänge. Nach den Angriffen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center stiegen viele Amerikaner aus Angst vor dem Fliegen ins Auto. Die Folge: "Etwa 1600 Amerikaner verloren ihr Leben auf der Straße bei dem Versuch, das Risiko des Fliegens zu vermeiden", so der Forscher.

Rational betrachtet ist das Risiko durch einen Terroranschlag umzukommen in Deutschland relativ gering. Mit Blick auf die Todesursachenstatistik ist es weitaus wahrscheinlicher an einer Krankheit zu sterben. So starben beispielsweise im Jahr 2013 894.000 Menschen an Erkrankungen, jedoch nur 34.100 an äußeren Ursachen wie Unfällen oder körperlichen Angriffen.

Aus der Sorge heraus selbst Opfer terroristischer Rachezüge zu werden nicht mehr nach Paris zu fahren, wäre nach Meinung des Risikoforschers falsch. "Das wäre der Zweitschlag", sagt Gigerenzer.

Auch Professor Rief weiß aus seiner klinischen Erfahrung, wie wichtig es nach solch einschneidenden Erlebnissen ist, sich mutig dem Risiko zu stellen. "Das ist nötig, um die Ereignisse zu bewältigen und nicht Gefangener seiner Angst zu werden. Es kann immer irgendwo etwas passieren", so der Marburger Psychologe. Ansonsten könne sich ein selbsteinschränkendes Verhalten manifestieren und die Angst bleibe bestehen.

Besonders gefährdet sind dafür Menschen, die unter einer generalisierten Angststörung leiden oder in einer anderen Situation angstvolle Erfahrungen gemacht haben. "Bei ihnen ist die Gefahr eines Rückfalls besonders hoch", sagt Rief.

In Situationen der Unsicherheit und Sorge können seiner Meinung nach auch soziale Netzwerke nutzen. "Sie machen erlebbar, dass das Leben weitergeht und helfen das Geschehene einzuordnen."

Den Terroristen hingegen geht es um unsere Verunsicherung. Nach Auffassung des Berliner Risikoforschers heißt es jetzt Zeichen zu setzen: "Sie erreichen ihr Ziel nicht, wenn wir zu verstehen geben: Wir spielen da nicht mit."

(wat)
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