Herz, Schlaganfall, Diabetes Gesundheit durch Lebensstil

Die Zahl der Übergewichtigen weltweit hat die Milliarde längst überschritten. Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) zählte im Jahr 2013 global bereits 1,4 Milliarden Adipöse. In Deutschland haben 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen Übergewicht.

 Dicker Bauch —vor allem einKennzeichenmännlicher Physiognomie:Jederfünfte Mann zwischen30 und 39Jahren ist fettleibig.Doch ein gesunderLebensstilkann hier Abhilfeschaffen.

Dicker Bauch —vor allem einKennzeichenmännlicher Physiognomie:Jederfünfte Mann zwischen30 und 39Jahren ist fettleibig.Doch ein gesunderLebensstilkann hier Abhilfeschaffen.

Foto: THINKSTOCK/DISCOVOD

Besonders die männlichen "middle ager" stechen heraus: Jeder fünfte Mann zwischen 30 und 39 Jahren ist fettleibig (siehe Tabelle "Body-Mass-Index"). Übergewicht ist ein Massenphänomen geworden — es betrifft Kinder wie Senioren. Selbst bei den Neugeborenen steigt das durchschnittliche Geburtsgewicht bemerkenswert an.

Die Anlage zum Übergewicht beginnt bereits vor der Geburt. Die Ursache ist keineswegs allein eine genetische Veranlagung. Vielmehr ist schon vor der Empfängnis das Körpergewicht der Frau von großer Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf und die kindliche Entwicklung. Auch der Lebensstil der Mutter während der Schwangerschaft hat großen Einfluss auf das Geburtsgewicht des Kindes. "Jedes Neugeborene, das mehr als 4000 Gramm auf die Waage bringt, hat im späteren Leben ein doppelt so hohes Risiko übergewichtig zu werden", erklärt Professor Arnold von Eckardstein, Direktor des Instituts für klinische Chemie am UniversitätsSpital Zürich.

Isst die Mutter zu energiereich und neigt sie selbst zu Übergewicht, wird das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dick. Ständige Überernährung der werdenden Mutter kann die Zellen des Ungeborenen "epigenetisch programmieren" und ihre Funktionsweise dadurch dauerhaft verändern. Einmal programmiert, geben die Zellen die Informationen dauerhaft an ihre Tochterzellen weiter. Experten vermuten jedoch, dass ein gesunder Lebensstil im weiteren Leben die "epigenetische Programmierung" positiv beeinflussen kann. Umgekehrt funktioniert das aber auch: Ungünstige Faktoren wie Bewegungsmangel, zucker- und fettreiche Ernährung und unregelmäßige Ernährungsgewohnheiten im späteren Leben verstärken die ungünstige Zellprogrammierung.

Fettleibigkeit führt bereits im Kindes- und Jugendalter zu ersten Gefäßschäden. Untersuchungen der Blutgefäße adipöser Kinder zeigen, dass die Gefäßwände bei ihnen deutlich dicker als bei normalgewichtigen Kindern sind. Rund 15 Prozent der drei- bis 17-Jährigen Deutschen sind zu dick, sechs Prozent gelten als fettleibig. Bei zwei Drittel der fettleibigen Kinder liegen bereits in jungen Jahren Risikofaktoren für spätere Herz- und Gefäßerkrankungen vor.

Der Weg zum Herzinfarkt beginnt damit immer früher. Er kann aber auch wieder abgewendet werden. Nehmen die Kinder ab, erholt sich auch die Gefäßwand und wird wieder dünner. "Aktuelle Studien belegen, dass vor allem in jungen Jahren erworbenes Übergewicht über einen langen Zeitraum die Ausbreitung der koronaren Arterienverkalkung um rund 20 Prozent vergrößert", erklärt von Eckardstein und fügt hinzu: "Wir müssen die Fettleibigkeit junger Menschen verhindern. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, um das Risiko für Gefäßverkalkung in späteren Jahren deutlich zu senken."

Die Folgen von Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) sind Herzinfarkt, Herzschwäche und Schlaganfall. Sie sind laut der "Global Burden of Disease Studie" die wichtigsten Ursachen für Tod und verlorene Lebensjahre in Mitteleuropa. Zahlreiche Studien beweisen, dass es für diese Volkskrankheiten entscheidende "Stellschrauben" gibt, an denen jeder selbst drehen kann. Dazu gehört vor allem körperliche Aktivität, Verzicht auf das Rauchen und eine "mediterrane", an Olivenöl und Nüssen reiche Ernährung. Bei bereits vorhandenen Risikofaktoren wie zu hohem Blutdruck und zu hohen Cholesterinwerten kann, so von Eckardstein, "die medikamentöse Senkung der Cholesterinkonzentration durch Statine und die medikamentöse Senkung des Blutdrucks" das Leben deutlich verlängern. Statine sind Cholesterinsenker.

Hoher Blutdruck und erhöhtes LDL-Cholesterin sind die großen Risikofaktoren für Gefäßverkalkung: "Die Senkung des Blutdrucks und LDL-Cholesterins sind zentrale Ziele von nationalen und internationalen Empfehlungen zur Senkung der kardio- und zerebrovaskulären Risiken", erklärt er. Für die Blutdrucksenkung werden weniger als 140 mm Hg systolisch und weniger als 90 mm Hg diastolisch angestrebt. "Für die Senkung des LDL-Cholesterins gilt die Devise: Je tiefer, desto besser", sagt der Experte. Laut europäischer Empfehlungen werden LDL-Cholesterin- Zielwerte in Abhängigkeit vom Gesamtrisiko angestrebt.

Am tiefsten sind diese für Patienten mit bereits vorhandener arteriosklerotischer Gefäßerkrankung, Diabetes, Nierenversagen oder vielen Risikofaktoren (< 100 oder gar < 70 mg/dl bzw. < 2.6 oder gar 1.8 mmol/L) .

Doch nicht alle Fettleibigen werden tatsächlich krank. Zum Übergewicht müssen verschiedene Faktoren hinzukommen. Das Fettgewebe sendet biochemische Signale aus und strapaziert dadurch den Stoffwechsel. Das hat Folgen für den Blutdruck, die Blutfette und den Nüchternblutzucker. Zu hohe Werte über einen langen Zeitraum erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich. Die PROCAM-Studie zeigt eindrucksvoll, dass allein zwei Blutfettwerte einen Hinweis darauf geben, ob der Übergewichtige innerhalb der nächsten zehn Jahre ein hohes oder niedriges Herzinfarkt-Risiko hat (Grafik links).

Erst die Kombination aus Übergewicht und anderen Faktoren bilden das gefährliche "metabolische Syndrom". Schätzungen zufolge sind davon zwölf Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Sie sind nicht nur gefährdet, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, sondern auch früher oder später an Diabetes Typ 2 zu erkranken. (Grafik oben). Erschreckend ist, dass sich in den letzten 20 Jahren weltweit die Todesrate durch Diabetes verdoppelt hat. In Deutschland leiden bereits sechs Millionen Menschen an Diabetes. Es wird vermutet, dass weitere zwei bis drei Millionen Deutsche gar nicht wissen, dass sie zuckerkrank sind. "Strukturierte Maßnahmen auf Basis einer nationalen Diabetes- Strategie sind dringend notwendig", fordert von Eckardstein. "Im Gegensatz zu 16 anderen europäischen Staaten hat Deutschland bis heute noch keinen nationalen Diabetes- Plan etabliert", kritisiert er.

Der Typ-2-Diabetes kann lange Zeit unbemerkt bleiben. Schon mehrere Jahre vor der Diagnose — Mediziner sprechen von einem Prädiabetes — werden Gefäße und Nerven durch den erhöhten BlutzuBlutzuckerspiegel geschädigt. "Das kann zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen. Weitere Folgen können auch Amputationen der unteren Extremitäten sein. Außerdem sind Netzhautschäden am Auge bis hin zur Erblindung sosowie die dauerhafte Schädigung der Niere möglich", beschreibt von Eckardstein die zahlreichen Folgen. Aus diesem Grund fordert er systematische Vorsorgeuntersuchungen von Risikogruppen.

Der frühzeitigen Risikovorhersage für Diabetes kommt damit eine entscheidende Bedeutung zu. Die "Deutsche Diabetes Gesellschaft" (DDG) und auch das britische "National Institute for Health and Clinical Excellence" (NICE) empfehlen eine zweistufige Strategie, um die Wahrscheinlichkeit der Diabetes-Frühdiagnose zu optimieren. Zunächst kann der "Deutsche Diabetes Risikotest" Hinweis auf ein allgemeines Risiko geben. Die Experten empfehlen den Einsatz des Tests generell in Hausarztpraxen, im Rahmen betrieblicher Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz oder in Apotheken.

In der zweiten Stufe kann per Blutuntersuchung der Nüchternblutzucker oder das Hämoglobin A1c (HbA1c) bestimmt werden. Bei normalen Werten (Glukose < 100 mg/dl oder < 5.6 mmol/L; HbA1c < 5.7%) sollen die Untersuchungen nach drei Jahren wiederholt werden. Patienten mit Prädiabetes (Glukose 100 — 125 mg/dl oder 5.6 — 6.9 mmol/L oder HbA1c 5.7 -6.5%) müssten jährlich getestet werden, so die Empfehlung.

"Die Blutzuckerwerte zeigen aber nur eine Momentaufnahme. Da es zu großen Schwankungen kommen kann, empfehle ich bei Personen mit Prädiabetes wiederholte Messungen des Blutzuckers beim Hausarzt über einen Zeitraum von drei Monaten", rät von Eckardstein. Die große europäische EPIC-Studie zeigte kürzlich durch einen Vergleich verschiedener Vorhersagemodelle, wie nützlich diese recht einfachen Methoden bereits sein können. Simpel mutet auch die Möglichkeit an, Diabetes wieder loszuwerden. Durch eine drastische Gewichtsreduktion nach einer chirurgischen Magenoperation hat sich bei ehemals Fettleibigen Diabetes "einfach in Luft aufgelöst". Allerdings ist diese Intervention nur für Menschen mit extremer Adipositas (Grad III) gerechtfertigt.

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