Die Spurensuche beginnt von vorne Wo versteckt sich EHEC O104:H4?
Düsseldorf (RPO). Die Suche nach dem Ursprung des gefährlichen EHEC- Erregers beginnt von vorn. Die Spur nach Spanien erwies sich als peinlicher Irrtum. Epidemologen und Behörden versuchen in kriminalistischer Kleinarbeit herauszufinden, wo sich die Betroffen mit EHEC infiziert haben. Die Suche übertrifft noch die nach der Nadel im Heuhaufen.
Das Eingeständnis der Behörden in Hamburg schlug in Spanien ein wie eine Bombe. Es habe sich doch keine Übereinstimmung mit dem gefährlichen EHEC-Typ O104 gezeigt, teilte die Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks in der Hansestadt mit. Agrarministerin Rosa Aguilar forderte umgehend Entschädigungen und schimpfte über das deutsche Krisenmanagement.
Das steht beim Kampf gegen die EHEC-Infektionen wieder am Anfang. Die Zahl der schweren Erkrankungen durch den Darmkeim EHEC steigt weiter an. Das Robert-Koch-Institut (RKI) zählte am Mittwoch 470 Fälle des von dem Erreger ausgelösten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das zu akutem Nierenversagen führen kann. 16 Menschen sind inzwischen gestorben.
Sehr schnell wird es unübersichtlich
Wo jedoch die Krankheit ihren Ursprung hat, ist ungewisser denn je. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner versicherte am Mittwochmorgen im Fernsehen, die Suche gehe mit Hochdruck weiter. Die aber erweist sich schnell als sehr komplex. Wie Detektive müssen die EHEC-Ermittler sich vorarbeiten. Der Gurken-Flop von Hamburg hat sie erheblich zurückgeworfen. Jetzt ist noch nicht einmal bekannt, worüber das Bakterium übertragen wurde. Die Fahnder müssen neu ansetzen.
Den ersten — und nun wieder einzigen - Zugangsweg bieten die Patienten. Sie sollen die dringend benötigten Anhaltspunkte liefern. "Die Befragung ist das Wichtigste", sagt Aigner im Morgenmagazin. Das Robert-Koch-Institut (RKI) befrage Patienten, wo und was sie gegessen hätten. Auch die Lieferwege von Lebensmitteln müssten zurückverfolgt werden.
Was hier in zwei Sätzen anklingt, entwickelt schnell neue Dimensionen. Gleich mehrere verschiedene Eigenschaften der EHEC-Seuche erschweren die Suche.
Die Inkubationszeit Der EHEC-Erreger kommt erst verspätet zum Ausbruch. Etwa eine Woche braucht er, bis sich bei den Infizierten unter anderem zu Übelkeit, wässrigem Durchfall und Erbrechen kommt. Die Epidemologen müssen bei der Suche nach dem Keim also zurückblicken. Die Inkubationszeit beträgt zwischen drei und zehn Tagen. Die Ermittlungen müssen folglich eine erhebliche Zeitspanne umfassen. Ein weiteres Problem: Nur wenige können sich erinnern, wann sie vor zehn Tagen genau was und wo gegessen haben. Und selbst wenn so sind verdächtige Lebensmittel längst in den Müll gewandert.
Die Träger Die Regierung warnt vor dem Verzehr von rohem Gemüse. Nach wie vor sind insbesondere Gurken, Tomaten und Blattsalate verdächtig. Die Aussagen mehrerer vom RKI befragter Patienten deuten daraufhin. Alle Betroffenen hatten Gurken, Tomaten und Salat roh verzehrt. Das aber ist nicht mehr als ein Anhaltspunkt auf der Suche nach dem Erreger. Andere Möglichkeiten vermag derzeit niemand auszuschließen.
Wer aber nun der Bösewicht, der eigentliche Überträger ist, bleibt ungeklärt. EHEC-Infektionen können verschiedenste Quellen haben. Der Keim besiedelt am häufigsten den Darm von Rindern. Am plausibelsten erschien daher bislang die Gülle-Theorie, wonach Gemüse beim Düngen der Felder verunreinigt wurde. Aber auch der Kontakt zu Nutztieren wie Rindern und Schafen kann eine EHEC-Infektion zur Folge haben, etwa auf dem Bauernhof oder auch im Streichelzoo. Als weiterer typischer Übertragungsweg gilt der Verzehr ungekochter tierischer Produkte wie Rohmilch oder Mettwurst.
Hinzu kommt die direkte Übertragung von Mensch zu Mensch. Experten sprechen in einem solchen Fall von Sekundärinfektionen. Menschen können sich beim Gegenüber anstecken, ohne es zu wissen. Die größte Zahl der Erkrankungen mit EHEC bleibt Experten zufolge unentdeckt. Bei einer Untersuchung wurde auch bei den Eltern erkrankter Kinder der Darmkeim gefunden, die aber waren nicht erkrankt. Für die Gesundheitsbehörden wird die Suche damit nicht eben leichter. Je größer die Zahl der möglichen Überträger, desto schwieriger wird es die Quelle zu identifizieren.
Mobilität Erschwerend kommt hinzu, dass sowohl Menschen als auch Tiere als auch Lebensmittel im globalisierten Zeitalter ständig in Bewegung sind. Der Keim stammt vermutlich aus Norddeutschland, weil dort die meisten Infektionen auftreten. Doch eine Garantie, dass dort die Quelle auch zu finden ist, gibt das nicht her, wie der jüngste (unbegründete) Verdacht gegen spanische Landwirte zeigt.
Ein Patient, dessen jüngsten 240 Stunden, alle Lebensmittel und alle Menschen und Tiere, mit denen er in Kontakt getreten ist, das ist streng genommen der Heuhaufen, in dem die EHEC-Nadel zu finden ist.
Typ O104 Der Keim, nach dem gesucht wird, ist winzig. Er versteckt sich unter Millionen artverwandten Keimen, die meisten davon sind unbedenklich. Die verschiedenen EHEC-Typen gehören zur Bakteriengruppe der Escherichia coli. "Das sind Allerweltskeime, die trägt jeder in sich", wissen Experten. "Der Nachweis eines beliebigen EHEC-Bakteriums bedeutet nichts für die Suche nach der Ursache des aktuellen Ausbruchs, für den der Typ HUSEC-4 (O104:04) verantwortlich ist", schreibt Alexander S. Kekulé, Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung im Tagesspiegel. Zumindest der neu in Münster entwickelte Schnelltest lässt die Chancen, fündig zu werden, etwas steigen.
Gefahndet wird unterm Mikroskop. Zuvor müsen die Gesundheitsbehörden auswählen, welche Lebensmittel sie überhaupt testen wollen. Millionen Produkte, jedes einzelne davon mit Millionen Keimen versehen. Darin einen spezifischen Keim zu suchen, kann sich auch als Ding der Unmöglichkeit erweisen.