Forscher im Dauereinsatz Wissenschaftskrimi um EHEC-Keim

Düsseldorf (RPO). Seit Ausbruch der Darminfektionen vor gut zwei Wochen arbeiten Ärzte, Biologen und Behörden im Dauereinsatz. Bisher ist ungeklärt, woher das Bakterium stammt, das die aktuellen Erkrankungen auslöst. Mittlerweile ist es Experten aus Münster gelungen, das Erbgut des Keims zu entschlüsseln.

Wie schütze ich mich vor EHEC-Erregern?
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Foto: dapd

Das Labor von Professor Helge Karch, der als Mikrobiologe die Hygiene-Abteilung am Universitätsklinikum Münster leitet, arbeitet seit knapp 350 Stunden fast ohne Pause. Geschlafen hat dort in diesen 14 Tagen kaum einer richtig. Für das Robert-Koch-Institut (RKI) analysieren die Experten in Karchs Abteilung Proben von EHEC-Patienten. Sie wollen herausfinden, warum der Keim so aggressiv ist. Diese Erkenntnis könnte ein wichtiger Schritt für eine Therapie sein. Auch Karch schläft in diesen Tagen schlecht: "Kaum bin ich mal eingenickt, werde ich wieder wach und denke an HUSEC 041." So heißt der aktuelle Bakterienstamm.

Dieser EHEC Keim war bislang unbekannt

Mehr als 1000 Bakterienstämme der "enterohämorrhargischen Escherichia coli" (EHEC) gibt es. 42 davon können das "hämolytisch-urämische Syndrom" (HUS) auslösen. Bei dem jetzt grassierenden Erreger handelt es sich jedoch um eine Bakteriums-Variante, die so bislang nicht aufgetreten ist. Sie ist extrem gefährlich und zeigt verschiedene Resistenzen gegen Antibiotika. Der Ursprung ist unklar.

Für die Wissenschaftler in Münster begann die Arbeit an einem Montag, als erste Stuhlproben eingeliefert wurden. Soeben meldeten sie, dass sie das Genom des Bakteriums analysiert hätten. "Von der ersten Probe bis zur Identifizierung des Stamms dauerte es nur zehn Tage", sagt Karch begeistert. Was für Verbraucher wie eine Ewigkeit scheint, ist in Forscherkreisen unvorstellbar schnell. Früher, vor etwa 30 Jahren, so Karch, habe man für diese Schritte zwischen fünf und zehn Jahren gebraucht. Trotzdem gibt er unumwunden zu: "Für mich ist es ein sehr schwerer Gegner. Die Mechanismen dieses Keims sind so komplex, dass man an die Grenzen dessen stößt, was das menschliche Gehirn fassen kann."

Aus ganz Deutschland kommen Proben nach Münster, die mit jenem Stamm, der sich bereit 2001 isolieren ließ, verglichen werden. Mittlerweile hat die Gruppe einen Schnelltest entwickelt, der innerhalb von vier Stunden herausfindet, ob ein Patient mit dem aktuellen Stamm "O104:H4" infiziert ist.

EHEC Schnelltest beschleunigt Diagnose

"Viele Patienten, die Durchfall haben, gehen sofort ins Krankenhaus", sagt Stefan Dreising, Sprecher des Universitätsklinikums Münster. Die Ärzte testen dann, ob es sich um EHEC handelt oder nicht. Bei normalen Laboranalysen müssen die Betroffenen zwei bis drei Tage warten, bevor sie das Ergebnis bekommen. Der Schnelltest ermöglicht es den Ärzten, in wenigen Stunden die EHEC-Infektion zu bestätigen — oder eben zu widerlegen. So wird schneller wieder Platz in den Krankenhäusern geschaffen.

Tatsächlich stoßen Krankenhäuser vor allem in Norddeutschland an Grenzen ihrer Kapazitäten. Patienten, die an dem schweren Verlauf erkrankt sind, benötigen vor allem Blutplasma-Transfusionen. "Der Blutspendedienst Nord des Deutschen Roten Kreuzes erhält inzwischen Blutplasma aus Süddeutschland", sagt Sprecher Jens Lichte. Einen Engpass gebe es aber nicht, bundesweit seien zurzeit genug Vorräte vorhanden. Jedenfalls sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Der Blutspendedienst Nord habe in den vergangenen Tagen 7500 Plasma-Einheiten an Krankenhäuser in Hamburg und Schleswig-Holstein verteilt, erklärt Lichte, normalerweise benötigten sie etwa 800 bis 1000 Einheiten pro Monat.

EHEC-DNA in Münster entschlüsselt

Für die Forscher geht es also weiter darum, den Keim zu finden und unschädlich zu machen. Auch am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat Bakteriologie Holger Rohde mit chinesischen Kollegen Gensequenzen des Bakteriums entschlüsselt. Allerdings liegen den Wissenschaftlern dort lediglich einzelne Fragmente des Erbguts vor. Nur in Münster kennt man das gesamte Genom. Innerhalb von drei Tagen hat die Firma "Life Technologies Corporation" aus Darmstadt die DNA der eingeschickten Bakterien sequenziert. "Mit den Kollegen in den USA haben wir die richtige Reihenfolge der einzelnen Stücke rekonstruiert", sagt die Genetikerin Simone Günther.

Für Karch und sein Team geht die Arbeit nun weiter: "Wir wollen herausfinden, wo der Keim in der Umwelt vorkommt. Soweit ich weiß, ist dieser Stamm, mit dem wir es im Moment zu tun haben, noch nicht im Tier nachgewiesen worden." Der Ausbruchsstamm weist Eigenschaften auf, die verschiedene Formen von Escherichia coli zeigen. Er ist besonders resistent gegen Antibiotika, er heftet sich an die Darmwand — und er hat eine starke schädigende Wirkung auf Nierenzellen. Wo sich dieser Keim gebildet hat, ist unklar. Es muss sich um einen Hybrid, eine Chimäre, verschiedener Bakterien handeln.

Ursprung der Epidemie ist noch nicht geklärt

Der Mikrobiologe Alexander Kekulé vom Universitätsklinikum Halle schließt nicht aus, dass das neue Bakterium in einem Krankenhaus entstanden ist. "Ein Patient könnte den Keim unter einer Antibiotikatherapie ausgebrütet haben", sagte er gestern in einem Interview mit Welt-Online.

Auch Karch erklärt: "Wir untersuchen auch Schleimschichten, in denen Bakterien und andere Mikroorganismen eingebettet sind. Wir wissen nicht, ob sich dieser Keim in Tieren, in der Umwelt oder sogar im Menschen gebildet hat. " Doch um gegen ihn etwas tun zu können, müssen die Forscher genau diese Frage beantworten. Karch will eine Methode finden, um den aggressiven Stamm zu eliminieren. Bis dahin erwacht er noch oft aus dem Schlaf und denkt an HUSEC 041.

(RP)
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