Präsident der Bundesärztekammer Hoppe "Wir haben heimliche Rationierung im Gesundheitssystem"

Düsseldorf (RP). Der scheidende Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, fordert in einem Interview mit unserer Redaktion wegen der Geldknappheit im Gesundheitssystem eine Medizin nach Rangliste. Schwere Fälle mit großem Leid sollen bevorzugt behandelt werden. Die Ärzte wollen dazu ein Konzept entwickeln.

 Jörg-Dietrich Hoppe sieht im deutschen Gesundheitswesen eine versteckte Rationalisierung.

Jörg-Dietrich Hoppe sieht im deutschen Gesundheitswesen eine versteckte Rationalisierung.

Foto: ddp

Der FDP wird vorgeworfen, dass sie der Gesundheitspolitik keinen liberalen Stempel gibt.. Kann das der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr?

Hoppe Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz ist Philipp Rösler zumindest ein Einstieg in ein prämienfinanziertes und damit zukunftsfesteres Gesundheitssystem gelungen. Sein Nachfolger Daniel Bahr wird diesen Weg wohl weiter gehen und dabei vielleicht auch das Reformtempo etwas steigern

Als Ärztepräsident haben Sie die Priorisierung in der Medizin gefordert, also eien Behandlung nach der Schwere des Leids. Müssen Sie diese Forderung nun fallen lassen?

Hoppe Ganz und gar nicht. Ich bleibe im Vorstand der Bundesärztekammer und werde mich weiter dafür einsetzen. Wir werden in der Bundesärztekammer einer Arbeitsgruppe einsetzen, die das Thema Priorisierung in der Medizin vorantreiben soll. Die Arbeitsgruppe wird Vorschläge ausarbeiten, wie eine Priorisierung umgesetzt werden kann. Wir Ärzte werden das Thema Priorisierung in die Hand nehmen, weil die Politik sich bisher geweigert hat, dieses Thema anzupacken.

Warum halten Sie eine Priorisierung für so dringend notwendig?

Hoppe Weil wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass für die Versorgung einer alternden Bevölkerung mit steigender Krankheitslast nur begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Schon heute muss die gesetzliche Krankenversicherung mit nur sechs Prozent des Bruttoinlandprodukts die Versorgung von rund 70 Millionen Menschen finanzieren. Das ist sehr viel weniger als in vergleichbaren Industriestaaten. In Schweden, das sehr viel mehr Geld für Gesundheit bereitstellt als wir, wird schon heute priorisiert.

Woran liegt es, dass die Politik Ranglisten in der medizinischen Versorgung ablehnt?

Hoppe Der Politik fehlt der Mut. Von den Politikern ist lange die Mär verbreitet worden, jeder könne jede Art der Versorgung sofort bekommen. So wie früher immer behauptet wurde, die Rente sei sicher. Aber das entspricht nicht den Tatsachen. Heute müssen die niedergelassenen Ärzten bei defacto noch immer gedeckelten Budgets mit ihren pauschalierten Honoraren jonglieren, um die Patienten nach ihrem individuellen Bedarf zu versorgen.

Haben wir schon eine heimliche Priorisierung in unserem Gesundheitssystem?

Hoppe Wir haben eine heimliche Rationierung. Das System ist unterfinanziert und die finanziellen Engpässe müssen irgendwie im Arzt-Patienten-Verhältnis aufgefangen werden. Aber Ärzte sind nicht legitimiert zu rationieren. Das ist auch ethisch nicht vertretbar. Diese Entscheidungen müssen auf höherer Ebene getroffen werden.

Müssen Ärzte heute mehr kaufmännisches Talent haben als früher?

Hoppe Das ist zweifellos der Fall. Das Gesundheitswesen, das ursprünglich aus dem Gedanken der Barmherzigkeit heraus entstanden ist, hat sich stark kommerzialisiert. Ein Beispiel dafür sind die Aktiengesellschaften, die Kliniken betreiben. Sie müssen in einem System, das überwiegend aus Sozialversicherungsbeiträgen finanziert wird, Gewinn erwirtschaften. Daraus ergeben sich natürlich auch für die Beschäftigten im Gesundheitswesen ökonomische Zwänge.

Würden Sie einem jungen Menschen heute noch raten, Arzt zu werden?

Hoppe Wer Arzt werden will und sich dazu berufen fühlt, sollte das unbedingt machen. Wir brauchen Ärztinnen und Ärzte. Dafür müssen aber die geeigneten Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Wir hoffen und wir werden auch dafür streiten, dass dies mit dem Versorgungsstrukturgesetz, das gerade in der Koalition beraten wird, endlich erreicht wird.

Für Ihre Nachfolge als Ärztepräsident gibt es eine Reihe von Kandidaten. Wer ist der Beste?

Hoppe. Es ist bekannt, dass ich viel Vertrauen in meinen Vize Frank Ulrich Montgomery habe.

Was ist das Schöne daran, Ärztepräsident zu sein?

Hoppe Mir ist es darum gegangen, in der Gesundheitspolitik ethische Pflöcke einzuschlagen. Es war mein besonderes Anliegen, die ärztliche Grundethik in Deutschland, in Europa und im Welt-Ärztebund zu pflegen. Dafür habe ich gekämpft.

(RP)
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