Ugandas Geister sind zurück Was steckt hinter dem Kopfnicksyndrom?

Addis Abeba/Kampala · Ohne Vorankündigung beginnt der Körper von Joyce Laram zu zucken. Unkontrolliert nickt die 15-Jährige immer wieder mit dem Kopf, aus ihrem Mund kommen Wehklagen und unverständliche Worte. Die starken Hände der Mutter, die versucht, Joyce festzuhalten, stößt das Mädchen von sich, während es mit weit aufgerissenen Augen um sich blickt. "Ich muss sie mit einem Seil festbinden, wenn sie solche Anfälle hat", sagt Mutter Betty Olana.

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Foto: CDC, Dr. Erskine Palmer

Joyce, die im Norden Ugandas lebt, ist vom Kopfnicksyndrom befallen. Betroffen sind fast ausschließlich Kinder zwischen 5 und 18 Jahren. Rund 5000 Fälle soll es in dem ostafrikanischen Land bereits geben. Mehr als 200 junge Patienten sind laut Gesundheitsministerium seit 2009 an der seltsamen epilepsieartigen Krankheit gestorben.

Im Schatten eines Mango-Baums beginnt ein kleiner Junge heftig zu zittern. Schließlich fällt er vornüber und schlägt mit dem Gesicht auf dem trockenen Boden auf. Seine Lippen bluten. "Das passiert mittlerweile fast jeden Tag", sagen die Eltern. Weitere Symptome der Krankheit sind Schwächegefühl und geistige Unterentwicklung.

Experten stehen vor einem Rätsel. Auch ein Mitte Januar von der Regierung in Kampala entsandtes Ärzteteam konnte trotz eingehender Untersuchungen vor Ort nicht klären, wodurch das Syndrom ausgelöst wird. Manche meinen, Mangelernährung könnte eine Ursache sein.

Aber die Menschen in der Region Acholiland im äußersten Norden Ugandas haben eine ganz andere Erklärung für das bizarre Leiden:
Geister sollen sich in die Körper der Kinder geschlichen haben, um sich für die Gräueltaten der "Lords Resistance Army" (LRA) zu rächen, die das Gebiet 20 Jahre lang terrorisiert hatte.

"Es kann gar nicht anders sein: Die Dämonen sind in unser Gebiet eingedrungen. Die Geister all der Leute, die von der LRA mit Macheten und Äxten abgeschlachtet worden sind, sind zurückgekommen, um unsere Kinder zu töten", sagt William Owacha, Chief des Dorfes Tumangu, das 470 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kampala liegt. In dem Ort mit 767 Einwohnern sind 97 Kinder erkrankt. Es gibt kaum eine Familie, in der nicht mindestens ein Mitglied unter dem Syndrom leidet.

Viele Patienten haben Visionen, sehen Gestalten vor sich, die sie bedrohen oder töten wollen. "Kurz bevor die Kinder sterben, schreien sie: "Töte mich nicht! Erschieße mich nicht! Ich werde das Gepäck tragen!"", erzählt Joe Otto, einer der Dorfältesten. Auch Joyce berichtet bei jedem Kopfnickanfall von Todesdrohungen: "Sie brüllt, dass jemand mit einem Speer hinter ihr steht und sie umbringen will", sagt ihre Mutter.

Die Rebellen der LRA haben unter Führung ihres "Propheten" Joseph Kony seit 1987 unzählige Menschen ermordet, vergewaltigt, verstümmelt oder entführt. Angeblich kämpfen sie für einen christlichen Gottesstaat. Für die Durchsetzung ihrer Ziele haben die Milizen tausende männliche Kindersoldaten rekrutiert und junge Mädchen als Sexsklavinnen missbraucht. Die jungen Verschleppten mussten häufig das schwere Gepäck der Rebellen tragen und wurden getötet, wenn sie zu schwach waren. Heute ist die blutrünstige Truppe vor allem noch in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und im Kongo aktiv.

In vielen Teilen Afrikas ist der Glaube an Hexerei, übersinnliche Mächte und die Geisterwelt weit verbreitet. Da die herkömmliche Wissenschaft und die westliche Medizin manchmal an ihre Grenzen stoßen, ist es kein Wunder, dass die Menschen in Uganda selbst nach möglichen Ursachen für das Leiden und den Tod ihrer Kinder suchen.
Denn auch die Entsendung von Speichel- und Urinproben sowie von Hirnteilen verstorbener Patienten an die US-Behörden zur Kontrolle und Prävention von Krankheiten (Centers for Disease Control and Prevention, CDC) hat bisher kein Resultat gebracht.

"Wir können derzeit nur die Symptome, nicht aber die Ursachen behandeln", betont Emmanuel Tenywa, ein Experte der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Unter anderem wird das Schilddrüsen-Medikament Carbimazol eingesetzt.

Aber viele Eltern sind verzweifelt und wissen nicht mehr weiter.
Einige haben ihre Kinder in der Wildnis ausgesetzt, weil sie mit der Situation nicht klar kommen, erzählen humanitäre Helfer in der Region. "Diese Kinder werden meist von wilden Tieren gefressen oder ertrinken in einem Fluss", hieß es.

Fakt ist, dass das Kopfnicksyndrom weiterhin nicht entschlüsselt ist. Deshalb gehen jetzt selbst Gesundheitsarbeiter in Uganda dazu über, an die Dämonen-Theorie zu glauben - so wie Richard Kidega: "Die Knochen von tausenden Opfern der LRA wurden hier begraben. Wir müssen etwas tun, um die Geister zu beruhigen."

(dpa)
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