Experten erwarten neuen Trend Was Online-Ärzte taugen

London (RPO). "Diagnose Genitalwarzen. Rezept im Anhang." Immer mehr Menschen in Großbritannien lassen sich im Internet beraten. Die Online-Ärzte dürfen sogar Medikamente verschreiben. Bilder von Ausschlägen können einfach hochgeladen werden. Experten gehen davon aus, das diese "Praxis" in Zukunft Standard wird.

Ergebnisse aus dem Arztreport 2010
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Hierzulande dürfen Ärzte ebenso wie in Frankreich, Dänemark oder Norwegen nur dann online beraten, wenn sie den Patienten vorher mindestens einmal persönlich zu Gesicht bekommen haben. In Großbritannien sieht man das gelassener: Die rein virtuelle Internet-Praxis ist völlig legal. Inzwischen gibt es im Königreich über ein Dutzend derartige Seiten. Einzige Einschränkungen: Online-Ärzte dürfen keine akuten Notfälle versorgen und keine Rezepte für Suchtstoffe ausstellen.

Noch die Ausnahme

"Noch sind die britischen Internetseiten eine Ausnahme", sagt der Arzt Steinar Pedersen, Gründer des Norwegischen Zentrums für Telemedizin. "Aber sie kündigen einen Trend an, den wir bald überall sehen werden. Wenn die Menschen erst vertrauter mit der Technologie werden, wird die Stimmung kippen."

Jenseits der britischen Inseln bläst der Wind den Befürwortern virtueller Arztpraxen derzeit noch kräftig ins Gesicht. So droht etwa der kanadische Ärzteverband jedem Mediziner mit Lizenzentzug, der einem Patienten ohne vorherigen persönlichen Kontakt ein Rezept ausstellt.

Behörden vertrauen

In Großbritannien müssen sich Betreiber jener Onlinepraxen, die Medikamente verordnen, lediglich registrieren lassen. Zwar soll die sogenannte Care Quality Kommission das Niveau der Beratung sichern, aber das Gremium vertraut auf die Selbstkontrolle der Anbieter: "Wir prüfen die Seiten nur dann, wenn wir Klagen hören", meint ein Kommissionssprecher.

Für eine Sprechstunde berechnen die virtuellen Praxen eine Gebühr von acht bis über 20 Pfund (umgerechnet etwa zehn bis 25 Euro), die die Ratsuchenden aus eigener Tasche zahlen müssen. Klagen Patienten über gravierende Gesundheitsprobleme, so sollen sie an einen echten Arzt verwiesen werden. Die meistverschriebenen Medikamente sind denn auch Präparate gegen Erektionsstörungen, Haarausfall und Geschlechtskrankheiten.

Ferndiagnosen problematisch

Patrick Cadigan, Sprecher des britischen Royal College of Physicians, hält wenig von der Online-Sprechstunde. Es sei grundsätzlich problematisch, eine Ferndiagnose zu stellen. "Ohne den persönlichen Kontakt verpasst man Hinweise darauf, was bei einem Patienten nicht stimmen könnte", sagt der Kardiologe.

Denn die vorgefertigten Online-Fragebögen seien zur Erhebung der Anamnese bei weitem nicht ausreichend. "Wenn man die Krankengeschichte des Patienten nicht gut kennt, kann man etwas verordnen, was schaden könnte", sagt Cadigan. "Ich habe die Sorge, dass diese Internetseiten die Therapie weniger mit Blick auf das Wohl des Patienten wählen als vielmehr zum eigenen finanziellen Nutzen."

Wer etwa auf der Seite drthom.com ein Rezept für das Potenzmittel Viagra will, muss Auskünfte geben etwa zu Erektionsstörungen, Größe, Gewicht und Blutdruck. Etwa jedem elften Patienten rät die virtuelle Sprechstunde, persönlich einen Arzt zu konsultieren. Den Gewinn schmälert dies kaum, schließlich zählt der Betreiber, der sinnigerweise mit einer großen Apothekenkette kooperiert, mindestens 100.000 Kunden.

Körperpartien hochladen

Der medizinische Leiter der Seite, Thom Van Every, betont, alle Patienten würden nach Krankengeschichte und Medikamentengebrauch befragt. Und wer etwa an Genitalwarzen oder Hautausschlägen leide, könne sogar Fotos der betroffenen Körperpartien hochladen, die dann von Medizinern begutachtet würden.

"Die meisten Leute, die das merkwürdig finden, sind Ärzte", sagt Van Every. "Heutzutage laden Menschen Fotos auch auf Facebook hoch. Das ist doch keine große Sache mehr."

Lori Heim, Präsidentin des US-Hausärzteverbands, hält Fotos zwar durchaus für eine sinnvolle Hilfe. Aber den Ärzten könnten andere wertvolle Hinweise entgehen, die die Ratsuchenden nicht abgelichtet haben. Und habe ein Patient verschiedene Symptome, müsse ein Mediziner oft eine körperliche Untersuchung vornehmen - etwa Herz und Lunge abhören oder Gelenke begutachten. "Am besten hat man eine persönliche Beziehung zu seinem Arzt", sagt Heim. "Dann bekommt man am ehesten die richtige Diagnose."

(apn/anw)
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