Mediziner sind beunruhigt Viele HUS-Patienten haben neurologische Komplikationen

Kiel (RPO). Bei der Hälfte aller EHEC-Patienten mit Hämolytisch-Urämischen-Syndrom (HUS) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) treten neurologische Komplikationen auf bis hin zu epileptischen Anfällen. Auch in den Asklepios-Kliniken in Hamburg kämpfen die Mediziner mit schweren Verläufen der Infektion.

EHEC: Bauern vernichten ihre Ernte
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In den sieben großen Asklepios Kliniken in Hamburg wächst die Sorge um neurologische Komplikationen bei EHEC-Patienten. Beunruhigend sei, dass etwa die Hälfte aller schweren Verlaufsfälle mit dem Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS) nach drei bis fünf Tagen neurologische Ausfallerscheinungen entwickelten, sagte Joachim Röther, Chefarzt der Neurologischen Abteilung in der Asklepios Klinik Altona, in Hamburg.

Epileptische Anfälle beobachtet

Als Grund dafür nennt der Mediziner das Ansteigen der giftigen Stoffe in den Gefäßen der Patienten. "Schwellungen und kleine Blutverklumpungen verstopfen die Blutbahnen. Ähnliche Verläufe sind in der Literatur vereinzelt bei Patienten mit Rota-Viren beschrieben worden", sagte Röther.

Knapp die Hälfte der schweren Verläufe zeigt Asklepios zufolge neurologische Ausfallerscheinungen. Davon wiederum erleidet die Hälfte - also etwa ein Viertel der schweren HUS-Verläufe - epileptische Anfälle. Die Mediziner beobachten ferner Sprachstörungen, Störungen des Sehens (Doppelbilder), Tremor (Gliederzittern), Verwirrtheit und Schläfrigkeit.

Unbekannte Krankheitsverläufe

"Wir beobachten unerwartete Krankheitsverläufe, die wir bisher nicht kannten", sagte der Direktor der Medizinischen Klinik I am UKSH- Standort Lübeck, Hendrik Lehnert, am Mittwoch in Kiel. Derzeit werden in Lübeck und am zweiten UKSH-Standort Kiel 91 Patienten mit HUS behandelt. Die Störungen auf der Ebene des Gehirns würden etwa drei bis vier Tage nach Beginn des HU-Syndroms auftreten, sagte Lehnert. Sie reichten von milderen Symptomen wie Kopfschmerzen bis hin zu Sprachstörungen und Epilepsien.

Die Ärzte gingen derzeit dazu über, Antibiotika wesentlich früher als bislang einzusetzen, sagte Klinikdirektor Stefan Schreiber. Grund dafür seien Erkenntnisse aus der Obduktion einer verstorbenen Patientin. "Wir haben etwas gelernt." Bei der Obduktion sei festgestellt worden, dass der Keim nahezu den kompletten Magen- und Darmtrakt entzündet hatte. "Der Keim lebt wesentlich länger als wir bislang dachten."

Schreiber geht davon aus, das weit mehr Menschen mit dem Erreger infiziert wurden als bislang tatsächlich erkrankten. "Wahrscheinlich ist es so, dass Tausende den Keim geschluckt haben", sagte Schreiber. Er vermutet auch bei der EHEC-Epidemie eine genetische Anfälligkeit. Die Empfänglichkeiten von Menschen für Krankheiten sei in vielen Fällen durch vererbte Faktoren festgelegt.

Nach Angaben von Lehnert stagniert die Zahl der neuen EHEC-Fälle am UKSH derzeit zwar. "Wir sind aber weit davon entfernt sagen zu können, dass sich die Lage entspannt." 23 Patienten liegen in Kiel und Lübeck auf der Intensivstation.

Zahl der Erkrankten steigt weiter

Die rasante Ausbreitung des Darmkeims EHEC in Deutschland geht trotz aller Anstrengungen der Gesundheitsbehörden weiter: Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Mittwoch erneut einen Anstieg der schweren Erkrankungen durch den Erreger. Die Zahl der beim RKI gemeldeten Fälle des von dem Erreger ausgelösten sogenannten hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) stieg innerhalb eines Tages von 373 auf mindestens 470. Das HUS ist die schwere Komplikation bei einer EHEC-Infektion und kann zu akutem Nierenversagen führen. Die Zahl der Toten in Deutschland stieg nach dem Tod einer Frau in Niedersachsen auf 16.

Außerdem war eine Patientin in Schweden ums Leben gekommen, die sich zuvor in Deutschland aufgehalten hatte. Allein in Hamburg, dem Schwerpunkt der Infektionswelle, lag amtlichen Angaben zufolge bei 668 Patienten eine EHEC-Infektion oder ein Verdacht darauf vor. Die Zahl der HUS-Fälle stieg dort innerhalb eines Tages um 14 auf 124.

Nach wie vor gebe es keinen Hinweis auf eine "definierbare Quelle", sagte der Präsident des Robert-Koch-Institutes, Reinhard Burger, am Mittwoch in Berlin. "Konkrete Ansatzpunkte sind im Moment nicht da." Es sei auch noch zu früh zu sagen, dass ein Plateau erreicht worden sei.

Warnung vor spanischen Gurken aufgehoben

Die EU-Kommission hat eine Gesundheitswarnung vor spanischen Gurken aufgehoben. Tests in Deutschland hätten ergeben, dass es sich bei auf einigen Gurken gefundenen Bakterien nicht um den Auslöser der schweren Erkrankungen handle, teilte die Kommission am Mittwochabend in Brüssel mit. Auch Tests der spanischen Behörden seien negativ ausgefallen. Die EU-Kommission hatte ihre Warnung vor spanischen Gurken am vergangenen Donnerstag ausgesprochen.

Das spanische Gesundheitsministerium erklärte, die Aufhebung der Warnung sei ein "sehr wichtiger Schritt, um so schnell wie möglich wieder Normalität im spanischen Landwirtschaftssektor herzustellen". Das Ministerium betonte erneut, rechtliche Schritte gegen die Hamburger Gesundheitsbehörden zu prüfen, die spanische Gurken für die Erkrankungen verantwortlich gemacht hatte. Der spanische Verband der Obst- und Gemüseproduzenten und -exporteure vermutet, dass die Negativschlagzeilen über EHEC pro Woche einen Verlust von 200 Millionen Euro verursachten.

Das Institut für Risikobewertung (BfR) in Berlin hatte am Abend mitgeteilt, dass die Erreger auf verdächtigen, aus Spanien stammenden Gurken nicht mit dem für den derzeitigen Ausbruch verantwortlichen Keim-Typ übereinstimmten.

Jeder Zweite stellt Ernährung um

Jeder zweite Deutsche hat laut einer Umfrage wegen der Ausbreitung des gefährlichen EHEC-Erregers seine Ernährung umgestellt. 59 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer gaben in der am Mittwoch veröffentlichten Befragung des Marktforschungsinstituts Forsa an, auf rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate derzeit zu verzichten.

27 Prozent der Befragten ergreifen den Angaben zufolge verstärkte Hygiene-Maßnahmen und achten besonders darauf, die Hände oft und gründlich zu reinigen. Forsa befragte für die Initiative "Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung am 30. und 31. Mai 1002 Menschen.

(apd/AFP/)
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