Tendenz steigend Rund 8000 seltene Krankheiten

Berlin (RPO). Seltene Krankheiten sind in Deutschland immer stärker verbreitet. Am Montag wollen Interessenorganisationen auf das häufig vernachlässigte Thema hinweisen.

Diese Krankheiten sind extrem selten
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Foto: AP

Die zehnjährige Fee ist 20 Zentimeter kleiner und zehn Kilogramm leichter als viele Mädchen in ihrem Alter. Die Umwelt nimmt sie als Sechs- oder Siebenjährige wahr.

"Wenn meine Tochter dann aber redet wie andere Kinder in ihrem Alter, reagieren die Menschen erstaunt", sagt Trix Buchholz, Mutter des Mädchens, in Berlin. Fee leidet an einer seltenen Erkrankung im Knochenstoffwechsel, der Hypophosphatasie (HPP), einer genetisch vererbten Krankheit.

So rar Krankheiten wie diese sind, so wenig Bewusstsein ist auch für sie vorhanden. Am Montag wollen Interessenorganisationen auf das Thema hinweisen. Seit vier Jahren wird am 28. Februar weltweit der "Tag der seltenen Erkrankung" begangen. In Deutschland leiden nach Schätzungen rund vier Millionen Menschen an einer Erkrankung, die bei weniger als fünf von 10.000 Menschen auftritt, so die Definition der Europäischen Union (EU). Sechs bis acht Prozent der Bevölkerung sind vermutlich betroffen, schätzt die EU. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass von insgesamt 30. 000 bekannten Krankheiten etwa 6000 bis 8000 "selten" sind.

Darüber hinaus werden jede Woche fünf neue Krankheiten in der medizinischen Fachliteratur beschrieben, wie das Netzwerk für seltene Krankheiten, Orphanet, herausfand. Grund für die Europäische Union, den Kampf gegen seltene Krankheiten zum Thema zu machen. 2008 initiierte Brüssel ein Projekt, das den Mitgliedstaaten beim Aufstellen eines Nationalen Gesundheitsplans helfen will. Das Gesundheitsministerium rief in der Folge ein Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen ins Leben. In einem Jahr soll es einen Nationalplan vorlegen.

Wichtiges Element der überarbeiteten Strukturen sind die Kompentenzzentren an Universitätskliniken. An der Berliner Charité eröffnet am Montag, anlässlich des Aktionstags, ein solches Zentrum. "Wir wollen größere Transparenz schaffen, Patienten schneller an die richtigen Ansprechpartner vermitteln und die Forschung besser vernetzen", sagt die Koordinatorin des Zentrums, Theda Wessel.

Patienten irren oft von einem Arzt zum anderen, bevor sie eine Diagnose erhalten. Wessel ist Fachärztin für kindliche Hormonstörungen und am sozialpädiatrischen Zentrum der Charité beschäftigt. Hierher kommen häufig junge Patienten mit komplexen Erkrankungen, die von verschiedenen Fachärzten betreut werden müssen.

Ein großer Anteil von seltenen Krankheiten ist genetisch bedingt und zeigt sich bereits im Kindesalter. Sie verlaufen oft chronisch und können mit schweren Beeinträchtigungen einhergehen. "Häufig geht es darum, die Lebensumstände des Patienten zu verbessern", sagt Wessel. Zum Team von Fachärzten sollen im Kompetenzzentrum auch Psychologen und Sozialarbeiter hinzugezogen werden.

Für zahlreiche Krankheiten gibt es Selbsthilfeorganisationen. Bei der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, Achse, deren Schirmherrin Eva Luise Köhler ist, die Ehefrau von Ex-Bundespräsident Horst Köhler, laufen die Fäden von zahlreichen Organisationen und Akteuren zusammen. Der Verein ist auch Anlaufstelle für Betroffene.

Doch Achse bietet auch Unterstützung für Ärzte, die Fragen zu seltenen Erkrankungen haben oder bei der Diagnose eines Patienten nicht weiter kommen. Die Ärztin Christine Mundlos vernetzt als sogenannte Lotsin Mediziner und andere Experten. "Denn nicht nur die Betroffenen kommen an ihre Grenzen, sondern auch die betreuenden Ärzte", sagt Mundlos.

"Noch immer ist der Weg zur Diagnose für die Patienten zu lang; sie werden auf ihrer Suche im Gesundheitssystem alleine gelassen. Spezialisierte Zentren mit individueller Fallbetreuung werden dringend gebraucht!", beschreibt Achse-Geschäftsführerin Mirjam Mann die derzeitige Situation.

Auch für die kleine Fee gibt es bisher keine Heilung. Das Mädchen hat trotz ihrer Erkrankung zu einem guten Selbstbewusstsein gefunden. Trix Buchholz hofft auf die baldige Zulassung einer Enzym-Ersatztherapie. Fee wäre eine der ersten Patientinnen, die sie in Deutschland bekäme.

(AFP/sdr)
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