Wissenschaftler kritisiert unseriöse Forschung Nahtoderfahrung: Nicht immer "Licht am Ende des Tunnels"

Stuttgart (rpo). Wer hat noch nicht davon gehört: Vom Licht am Ende des Tunnels, von einem unbeschreiblichen Gefühl der Wärme und Liebe im Angesicht des Todes. Forschungen zeigen allerdings zweierlei: Oft waren die Betroffenen nicht wirklich vom Tode bedroht, und die Nahtoderfahrungen sind wesentlich vielfältiger als die bekannten Klischees.

<P>Stuttgart (rpo). Wer hat noch nicht davon gehört: Vom Licht am Ende des Tunnels, von einem unbeschreiblichen Gefühl der Wärme und Liebe im Angesicht des Todes. Forschungen zeigen allerdings zweierlei: Oft waren die Betroffenen nicht wirklich vom Tode bedroht, und die Nahtoderfahrungen sind wesentlich vielfältiger als die bekannten Klischees.

Rund vier Prozent aller Deutschen hatten Schätzungen zufolge schon einmal eine so genannte Nahtoderfahrung. Das Phänomen wird bereits seit Jahrhunderten beschrieben ­ allerdings in sehr unterschiedlichen Bildern. Nach Ansicht des Berliner Soziologen Hubert Knoblauch sagt die Nahtoderfahrung deshalb auch mehr über das Diesseits als über das Jenseits aus.

"Der Tod ist das Ende aller Dinge des menschlichen Lebens, nur des Aberglaubens nicht", befand der griechische Philosoph Plutarch vor gut 2.000 Jahren. Schon immer hatte sich die Menschheit auf ein Leben nach dem Tod gemacht.

Forschung oft weltanschaulich geprägt

Kein Wunder also, dass Berichte über Nahtoderfahrungen auch heutzutage immer wieder Thema in der Öffentlichkeit sind. Mit einem Schönheitsfehler: "Dem öffentlichen Interesse entspricht keine im selben Maße betriebene wissenschaftliche Forschung", sagt Knoblauch. Vielmehr sei gerade auch die wissenschaftliche Forschung häufig in weltanschauliche und religiöse Interessen verstrickt: "Es wird sehr viel Schindluder getrieben ­ und gerade deshalb kommt auch kaum seriöse Forschung zu Stande."

Denn zu gerne wüssten die meisten, was sie während des Sterbens oder im Tod zu erwarten haben: "Einige erhoffen sich Trost und Beistand beim Umgang mit dem Sterben oder dem Tod Nahestehender, und nicht wenige verbinden mit diesem Thema ein echtes existenzielles Interesse, weil es die Frage berührt, wie die unbekannte Grenze des Lebens aussieht", erklärt der Experte.

So wimmelt es denn auch im Internet von Erfahrungsberichten eigener Nahtoderfahrungen und von Internetseiten mehr oder minder seriösen Inhalts. Häufig betreiben die Betroffenen selbst Forschung, um das Phänomen zu verstehen, das sie am eigenen Leib erfahren haben.

Nicht so Hubert Knoblauch: Der Soziologe beschäftigte sich mit Religionssoziologie und befragte im Rahmen eines Forschungsprojekts mehr als 4.000 Ost- und Westdeutsche zur Nahtoderfahrung. Ergebnis: Rund vier Prozent berichteten von solchen Erlebnissen. Ein einheitliches Muster ließ sich jedoch nicht finden ­ vielmehr spiegelten sich in den Berichten vielfältige biografische, kulturelle und soziale Einflüsse wider.

Nicht immer direkter Zusammenhang mit nahem Tod

Die erste Erkenntnis: "Es gibt nicht immer den direkten Zusammenhang mit dem nahen Tod." Weniger als die Hälfte der im Nachhinein befragten Menschen waren bei dem einschneidenden Erlebnis auch tatsächlich fast tot. Manchmal reichte auch schon ein Beinahe-Unfall.

In jedem Fall aber sei der Auslöser eine körperliche, dramatische Krisenerfahrung gewesen, betont Knoblauch. Umgekehrt hatten die meisten Menschen, die dem Tod nahe waren, keinerlei Nahtoderfahrung. Die Soziologen benannten die Nahtoderfahrung deshalb zunächst einmal treffender in "Todesnäheerfahrung"(TNE) um.

Diese TNE kommt häufiger vor als angenommen: Selbst bei vorsichtigen Hochrechnungen dürften der Studie zufolge ungefähr 3,3 Millionen Deutsche solch eine Erfahrung gemacht haben. Dabei verteile sich die TNE gleichmäßig auf Männer und Frauen, West- und Ostdeutsche, das Durchschnittsalter der Betroffenen liege bei 35,6 Jahren, erklärt Knoblauch.

Vielfalt der Erlebnisse

Damit hören die Gemeinsamkeiten jedoch schon auf: Das berühmte Licht am Ende des Tunnels ist nur eine von vielen Erfahrungen: "Entgegen der gängigen Behauptung einer gleich bleibenden Struktur zeigte sich eine sehr große Vielfalt, was die inhaltlichen Elemente angeht."

Universale, allgemein gültige Elemente konnte die Forscher kaum ausmachen, dagegen aber sehr spezifische kulturelle Motive: So trat bei manchen Betroffenen der Sensemann auf, bei anderen waren es Engel; manche begriffen die TNE als bedrohlich, andere als wunderbares, unbeschreibliches Erlebnis.

"Keine Nahtoderfahrung gleicht der anderen", bilanziert der Experte. Allerdings sei es kurzsichtig, solche Erfahrungen lediglich als neurophysiologische Prozesse abzutun. Knoblauch hofft auf intensivere, kulturvergleichende Forschung ­ womöglich könnte sie für etwas Licht sorgen am Ende des Tunnels.

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