Jeder fünfte Betroffene stirbt an Unterernährung Magersucht: Auch Männer hungern für das Schönheitsideal

Fankfurt/Main (rpo). Magersucht gilt eigentlich als klassische Frauenkrankheit. Aber das übertriebene Streben nach Waschbrettbauch, breiten Schultern und Muskelpaketen treibt auch immer mehr Männer zum krankhaften Hungern.

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung leben in Deutschland mehr als 100.000 an Magersucht erkrankte Menschen zwischen 15 und 35 Jahren.

"Wir gehen davon aus, dass fünf Prozent der Magersüchtigen Männer sind, doch die Dunkelziffer wird deutlich höher sein", sagt die Geschäftsführerin des Frankfurter Zentrums für Ess-Störungen, Sigrid Borse. "Besonders für Männer ist es schwer, mit ihrer Krankheit offen umzugehen, da Ess-Störungen in der Gesellschaft immer noch als typische Frauenkrankheit gesehen werden."

Nach Worten der Psychologin Ulrike Bachmann, die in ihrer Praxis im osthessischen Alsfeld magersüchtige Menschen behandelt, leiden viele Jugendliche an mangelndem Selbstwertgefühl. "Sie sind während der Pubertät auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Innerlich sind sie noch nicht gefestigt. Deshalb lassen sie sich leicht von den heutigen Schönheitsidealen beeinflussen."

Jungen fühlen sich meist zu schwach

Im Gegensatz zu pubertierenden Mädchen, die sich mit ihren weiblichen Rundungen nicht anfreunden können, fühlen sich die Jungen meist zu schwach. So ging es dem 21-jährigen Marc, der seit drei Jahren an Magersucht leidet. "Ich kam mit meiner Rolle als Mann nicht klar. Männer müssen stark sein, doch ich fühlte mich schwach."

Deshalb fing der Frankfurter an, ins Fitness-Studio zu gehen. Außerdem wurden seine Mahlzeiten immer kleiner, bis er kaum noch etwas aß. Bei Männern tauche oft der so genannte "Adonis-Komplex" auf, sagt Psychologin Bachmann, eine Kombination aus Ess-Störung und exzessivem Sportwahn.

Die jungen Männer, die erst einmal in den Sog der Magersucht geraten sind, kommen daraus nicht mehr so schnell heraus. "Die anfänglichen positiven Rückmeldungen meiner Umwelt stärkten mein Selbstbewusstsein," erinnert sich Marc. "Ich sah keinen Grund, um mit dem Hungern und dem exzessiven Sport aufzuhören. Je dünner ich wurde, desto mächtiger fühlte ich mich."

Macht über den eigenen Körper

Eine große Rolle spielt Bachmann zufolge das Gefühl der Kontrolle: Zum ersten Mal erfahren die jungen Menschen, wie es ist, Macht zu haben - Macht über den eigenen Körper. "Deshalb haben sie Angst, zuzunehmen, denn dadurch würden sie die Kontrolle wieder verlieren", erläutert die Psychologin.

Magersüchtige weisen allerdings nicht nur ein gestörtes Essverhalten auf, sondern auch eine gestörte Körperwahrnehmung. "Wenn sie nackt vor dem Spiegel stehen, sehen sie anstatt Haut und Knochen überall nur Fettpolster", betont Bachmann. Auch Marc sah seinen extrem abgemagerten Körper genauso wie vor seiner Ess-Störung: "Alle Menschen waren dünner als ich."

Der einzige Ausweg aus diesem Teufelskreis ist nach Ansicht von Psychologen eine stationäre oder ambulante Therapie, die allerdings möglichst im Anfangsstadium der Erkrankung begonnen werden muss. Erste Hilfe bietet die Beratung im Internet des Frankfurter Zentrums für Ess-Störungen.

"Die Betroffenen können anonym Fragen an Therapeuten stellen, um vielleicht den ersten Schritt aus der Magersucht heraus zu wagen", sagt Borse. Magersucht dürfe nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Jeder fünfte Magersüchtige sterbe an seiner extremen Unterernährung.

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