Fehlerhafte Brust-Implantate Kliniken ermitteln Betroffene
Düsseldorf · Seit auch hierzulande Frauen mit minderwertigen Brustimplantaten empfohlen wird, diese entfernen zu lassen, wächst bei den Betroffenen die Unsicherheit. Das Essener Uni-Klinikum hat eigens eine Hotline eingerichtet. Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Skandal um PIP-Brustimplantate
Wie viele Frauen in Nordrhein-Westfalen haben die möglicherweise defekten Brustimplantate erhalten? Die genaue Zahl ist noch unklar. Wahrscheinlich handelt es sich um mehrere hundert oder tausend Fälle. Experten gehen von 17.000 bis 20.000 Fällen bundesweit aus. Die Krankenhausgesellschaft NRW schickt laut Sprecher Lothar Kratz heute ein Rundschreiben heraus, in dem sie die Kliniken auffordert, potenzielle Empfängerinnen von Billig-Implantaten, falls noch nicht geschehen, zu ermitteln und sie umgehend zu informieren.
Um welche Implantate geht es? Die Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Implantate vorsorglich entfernen zu lassen, bezieht sich auf Produkte der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) und des niederländischen Herstellers Rofil. Bei diesen Silikon-Präparaten liege ein mögliches Gesundheitsrisiko vor. Auch ohne erkennbare Rissbildungen kann das Silikon Schäden hervorrufen.
Welche Krankenhäuser haben schon Fälle gemeldet? Bislang bekannt sind nur zehn Fälle im Marienhospital Essen und rund 500 Fälle in der Essener Uni-Klinik. Beide Häuser haben zu allen Patientinnen Kontakt aufgenommen. Von den zehn Patientinnen des Marienhospitals hat sich eine bereits die Implantate aus anderen Gründen herausnehmen lassen, eine weitere Frau wird laut Sprecher Oliver Gondolatsch diese Woche operiert. In der Essener Uni-Klinik hat man alle Patienten kontaktiert sowie eine Hotline eingerichtet. "Wir haben wegen der starken Nachfrage sogar eine zweite Leitung freigeschaltet", sagt Professor Rainer Kimmig, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde. Die Verunsicherung sei immens. Erstes Ziel sei es, die unmittelbare Angst zu nehmen. "Es besteht ja keine akute Gefahr", so Kimmig. Auch Patienten aus anderen Kliniken würden im Haus beraten und behandelt.
Woran sind die minderwertigen Implantate zu erkennen? In der Regel bekommt jeder Patient mit einem Implantat einen Implantat-Pass. Darin sind Hersteller und Seriennummer des Implantats verzeichnet. Existiert ein solcher Pass nicht, müssen OP-Bericht oder Patientenakte herangezogen werden. Solche Akten müssen 30 Jahre aufbewahrt werden.
Was kostet die operative Entfernung der Brust-Implantate? Das variiert im Einzelfall und nach medizinischer Indikation. Grob geschätzt bewegen sich die Kosten laut Krankenhausgesellschaft NRW zwischen 2500 und 4600 Euro. Darin enthalten sind zwei bis vier Tage Verweildauer in der Klinik.
Wer kommt für die Kosten auf? Grundsätzlich wird unterschieden, ob medizinische — etwa Krebs — oder kosmetische Gründe ausschlaggebend für das Einsetzen von Brustimplantaten sind. Im zweiten Fall könnten die Krankenkassen prüfen, ob der Patient an den Kosten zu beteiligen ist. Dazu sagt Wilfried Jacobs, Chef der AOK Rheinland/Hamburg: "Wenn eine Frau das umstrittene Implantat entfernen und ersetzen lassen will, übernimmt die AOK Rheinland/Hamburg die Kosten. Das gilt für Krebspatientinnen. Aber auch bei Frauen, die aus anderen Gründen (etwa ästhetischen) ein Implantat haben, übernehmen wir die Kosten für den Wechsel, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist. In diesem Fall werden wir zudem prüfen, ob wir von der einsetzenden Klinik Schadenersatz verlangen können. Wichtig: Auf unsere Patientinnen kommen keine Kosten zu." Das handhaben jedoch alle Krankenkassen unterschiedlich. Im Marienhospital will man die Kosten nicht auf die Patienten abwälzen, so Sprecher Gondolatsch. Auch in der Essener Uni-Klinik will man laut Chefarzt Kimmig die finanzielle Belastung für die Patienten so gering wie möglich halten.
Ist die Entfernung eines Implantats nicht ebenfalls wieder gefährlich? In der Tat, damit ist ein erneuter chirurgischer Eingriff verbunden, eine erneute Vollnarkose, ein erneutes Risiko für etwaige Komplikationen. Gewiss ist die moderne Anästhesie exzellent im Umgang mit Komplikationen, trotzdem kann sie Folgeschäden, auch wenn die Wahrscheinlichkeit minimal ist, nie ganz vermeiden. "Deshalb muss man etwa bei Risikopatienten abwägen, ob eine operative Entnahme des Silikons überhaupt sinnvoll ist", so Chefarzt Kimmig.
Welche Folgeprobleme sind denkbar? Harmlos sind leichte Irritationen durch die Intubation, Übelkeit und sogenannte Durchgangssyndrome. Derlei ist beinahe normal. Gefährlicher, aber eben auch seltener sind alle Komplikationen, bei denen die Vitalfunktionen beeinträchtigt werden. Die Gefahr liegt statistisch aber bei unter 0,1 Prozent.
Wie verläuft die Narbenheilung bei einem erneuten Eingriff? Erfahrene Gynäkologen und plastische Chirurgen können auch bei einem solchen Korrektureingriff ein ästhetisch zufriedenstellendes Ergebnis erzielen. Frauen sollten sich allerdings über die Expertise des Operateurs informieren — und auch über die Erfahrung des Anästhesisten. Diese Recherchen sind umso wichtiger, als die abermalige operative Rekonstruktion einer Brust, in die bereits minderwertiges Silikon ausgelaufen oder ausgeschwitzt ist, möglicherweise nicht ganz einfach ist. Dazu mangelt es allerdings an medizinischen Daten.
Stimmt es, dass es Probleme auch mit hochwertigen Produkten geben kann? Ja, Langzeitstudien in den USA haben nachgewiesen, dass auch höherwertige Implantate durchaus reißen können, wenn auch seltener. Pro Jahr gibt es bei einem Prozent dieser "besseren" Implantate Risse, nach zehn Jahren sind zehn Prozent nicht mehr intakt. Als Alternative zu Implantaten kann man die Brust auch mit Eigengewebe aufbauen.
Gibt es neuere Erkenntnisse über das Krebsrisiko bei minderwertigen Implantaten mit Industriesilikonen? Ja, aber sie bestätigen die Vermutung eines erhöhten Krebsrisikos nicht. In Frankreich waren die meisten Krebsfälle unter den 20 Trägerinnen von PIP-Implantaten Brustkrebsfälle, und es waren ältere Patientinnen. Das mehrt die Vermutung, dass es sich um Frauen handelt, die auch ohne Implantat an Krebs erkrankt wären. Genaueres weiß man erst in einigen Jahren, wenn jetzt junge und mit einem Implantat versehene Frauen ihrerseits älter geworden sind.