Mehr Männer als Frauen betroffen Gewaltträume — Vorboten von Parkinson

Hamburg · Wer im Schlaf nachts spricht oder schreit, um sich schlägt und bisweilen seinen Bettpartner verletzt, ist nicht von Natur aus aggressiv: Vielmehr liegt eine Traum-Schlaf-Verhaltensstörung vor, die ein Frühzeichen für ernste neurodegenerative Erkrankungen sein könnte.

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Foto: Shutterstock/baranq

"60 bis 70 Prozent der Patienten, die an dieser "REM-Schlaf-Verhaltensstörung" leiden, entwickeln nach zehn bis 30 Jahren Morbus Parkinson oder die seltenere neurodegenerative Erkrankung Multisystematrophie (MSA)", sagte Professor Wolfgang Oertel, Direktor der Klinik für Neurologie an der Philipps Universität Marburg. Diese Traum-Schlafverhaltensstörung wird RBD genannt, oder lang: Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder. Ärzte und Forscher untersuchen dieses Phänomen immer intensiver: Sie wollen zum einen eine Therapie für die Betroffenen finden und suchen zudem nach Frühzeichen für neurodegenerative Erkrankungen wie die Parkinson- und Alzheimer-Krankheit.

RBD ist eine Männerkrankheit

Die REM-Schlafverhaltensstörung wurde 1986 erstmals beschrieben und beginnt meist jenseits des 50. Lebensjahres. Männer (87,5 Prozent) sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen. Eine von 200.000 Personen erkrankt daran. Sie tritt im REM-Schlaf und darum vor allem in der zweiten Nachthälfte auf. Bei der RBD ist die Muskelerschlaffung im Schlaf aufgehoben, gleichzeitig kommt es zu aggressiven, oft gewalttätigen Trauminhalten. Die Patienten erleben diese Träume regelrecht und führen zielgerichtete, typischerweise schlagende und tretende Bewegungen aus. Häufig kommt es während der Schlafstörung zu Selbst- oder Fremdverletzungen. Die Patienten haben zwar in der Regel kein Bewusstsein für ihre Bewegungen, berichten aber beispielsweise davon, dass sie geträumt haben, dass sie angegriffen wurden und sich zur Wehr setzen mussten. Oft attackieren sie aus dem Schlaf heraus den Bettpartner oder verletzen sich selbst durch einen Sturz aus dem Bett oder schlagen gegen die Bettkante.

Diagnose und Therapie

Typische Anzeichen sind nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) die Bewegungen in der zweiten Nachthälfte und das potenziell selbst- oder fremdgefährdende Verhalten. Auch Medikamente wie trizyklische Antidepressiva können Auslöser sein. Bei Verdacht auf RBD liefert den Beweis die Video-Polysomnografie, eine kaum belastende Ableitung von Gehirnaktivität und Muskelaktivität im Schlaf, die mittlerweile zur Standardausstattung jedes Schlaflabors gehört.

"Wird die Diagnose RBD gestellt, sollten eventuelle Anzeichen von neurodegenerativen Erkrankungen unbedingt abgeklärt werden", empfiehlt Professor Oertel. Patienten sollten darüber hinaus über die typischen Warnzeichen und Symptome von Parkinson, MSA, Demenz und verwandte Krankheiten hinreichend informiert werden.

Morbus Parkinson ist nach Morbus Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. In Deutschland sind schätzungsweise rund 250.000 Menschen betroffen. Mit einer steigenden Zahl an Patienten ist zu rechnen: Die Bevölkerung wird insgesamt älter und auch die Patienten leben dank besserer Therapie länger. Die Zahl der Neuerkrankungen wird durch geburtenstarke Jahrgänge in naher Zukunft zunehmen.

Der Begriff Multisystematrophie (MSA) bezeichnet eine rasch fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, bei der mehrere Systeme im Gehirn betroffen sind. Es ist eine Kombination von Symptomen und Krankheitszeichen wie sie bei Morbus Parkinson und bei Störungen des vegetativen Nervensystems und des Kleinhirns auftreten. MSA tritt in der Regel zwischen dem vierzigsten und sechzigsten Lebensjahr auf, der Erkrankungsgipfel liegt bei 57 Jahren. Die Erkrankung ist rasch fortschreitend und führt innerhalb von drei bis fünf Jahren zum Verlust der Gehfähigkeit und im Mittel nach acht bis zehn Jahren zum Tod. Insbesondere für diese sehr seltene, aber schwerwiegende neurologische Erkrankung ruht die Hoffnung auf einer mildernden Therapie in der sehr frühen Diagnose. Damit erhält die Früher-kennung der RBD eine besondere Bedeutung, um neue Therapieverfahren gegen die MSA entwickeln zu können.

(wat)
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