Studie Giftige Luft in Flugzeugkabinen

Göttingen · Angesichts vieler Zwischenfälle schwelt seit Jahren ein Streit um giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen. Nun legen Mediziner aus Göttingen Studienergebnisse vor: Sie fanden schädliche Stoffgemische, die vermutlich aus den Triebwerken stammen.

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Foto: shutterstock/ My Good Images

Seit Jahren häufen sich im Luftverkehr Berichte über Zwischenfälle, die möglicherweise auf giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen zurückgehen. Doch die medizinischen Zusammenhänge waren bisher wenig erforscht. Forscher der Universität Göttingen haben nun untersucht, welche Stoffe welche Krankheitssymptome hervorrufen können.

Fast drei Jahre lang prüften die Arbeitsmediziner um Astrid Heutelbeck Proben von Menschen, die nach Flügen über Beschwerden klagten. Dazu untersuchten sie mehr als 140 Patienten - die meisten davon Flugpersonal - und analysierten unmittelbar nach Flügen Blut- oder Urinproben, teilweise mit neuen Verfahren.

Wichtigstes Ergebnis: Neben den bereits bekannten Organophosphaten, die negativ auf Enzyme im Körper wirken, fanden sie regelmäßig sogenannte flüchtige organische Verbindungen (VOC) oder deren Abbauprodukte. Diese Stoffe greifen Nerven und Herz-Kreislauf-System an und reizen zudem die Atemwege. Sie könnten in den Turbinen bei starker Hitze aus Kerosin, Ölen oder Enteisungsmitteln freigesetzt worden und über undichte Stellen im Triebwerk in die Zapfluft gelangen, vermuten die Mediziner. In fast allen Passagierflugzeugen wird die Kabinenluft aus den Triebwerken abgezapft. Dort finden Techniker immer wieder Lachen von Öl oder Enteisungsmitteln.

Sogenannte "Fume Events" (Dunst-Ereignisse) sind bereits seit den 1950er Jahren beschrieben. Für die Zeit von 2006 bis 2013 hat die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) bei deutschen Fluggesellschaften nicht weniger als 663 Fälle registriert. Für Aufsehen sorgte etwa Ende 2010 ein Zwischenfall in einem Germanwings-Airbus beim Landeanflug auf Köln. Pilot und Copilot setzten während der Landung Sauerstoffmasken auf, nachdem sie einen scharfen Brandgeruch wahrgenommen hatten und ihnen übel geworden war.
Die Maschine landete damals sicher.

Trotz der vielen Vorfälle fehlt bislang der wissenschaftliche Nachweis, dass Kabinenluft Krankheiten verursachen kann. Davon ist vermutlich am ehesten das Personal betroffen, das Risiko für Passagiere scheint deutlich geringer.

Die Göttinger Mediziner sind dem Zusammenhang nach eigenen Angaben nun nähergekommen. Ihre Forschungsergebnisse wollen sie in den kommenden Wochen auf Tagungen und in Fachartikeln präsentieren. Das Krankheitsbild des bislang umstrittenen aerotoxischen Syndroms soll so genauer umrissen werden.

Die Pilotenvereinigung Cockpit sieht nun Flugzeughersteller und die europäische Zulassungsbehörde EASA in der Pflicht. Mit der BFU-Studie im Rücken fordert der Verband technische Vorkehrungen, um gefährliche Dämpfe in Flugzeugkabinen zu vermeiden. Cockpit befürwortet zusätzliche Hilfsturbinen für die Kabinenluft. Diese waren zu Beginn des Düsen-Zeitalters lange üblich, wurden dann aber aus Kosten- und Gewichtsgründen eingespart. Bei modernen Großraum-Jets verzichtet allein Boeing bei der 787 auf Zapfluft direkt aus dem Antrieb.

Hersteller und EASA müssten die Gesundheitsrisiken für Passagiere und Besatzungen endlich abstellen, fordern Cockpit und auch die Flugbegleitergewerkschaft Ufo. Die BFU verlangt einheitliche Standards für die Qualität der Kabinenluft. Und die Göttinger Medizinerin Heutelbeck klagt, für viele der nun erstmals im Labor gefundenen Substanzen gebe es bislang keine Richtwerte für die Atemluft. "Das sind alles Stoffe, die in Verbraucherprodukten verboten sind. Es gibt nur Werte für Gefahrstoff-Arbeitsplätze, aber darum handelt es sich ja hier nicht."

Betroffene kritisieren gelegentlich auch die für solche Arbeitsunfälle zuständige Berufsgenossenschaft Verkehr in Hamburg. Die Göttinger Ärzte klagen, sofern keine technischen Berichte über die Zwischenfälle vorlägen, würden oft schon nach wenigen Tagen Leistungen für Heilverfahren eingestellt und ausstehende Laborergebnisse nicht mehr abgewartet.

Die Genossenschaft nimmt nach eigenem Bekunden die Problematik sehr ernst. Es gebe aber uneinheitliche Symptome und unklare Diagnosen. Die Zahl der länger als sechs Wochen anhaltenden Erkrankungen liege pro Jahr im einstelligen Bereich, heißt es, einen dauerhaften Gesundheitsschaden haben man noch nie festgestellt.

Die Gewerkschaft Verdi will nicht nur für das fliegende Personal kämpfen. "Auch die Leute am Boden sind im hohen Maße gefährdet", sagt ihr Verkehrsexperte Robert Hengster. Verdi setze sich daher für die Gründung eines medizinischen Kompetenzzentrums zur Diagnose und Behandlung von Betroffenen ein.

(lukra/dpa)
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