Studie zu Pflegeheimen Fixierung von Patienten oft vermeidbar

Witten/Herdecke/Hamburg · An das Bett gefesselt im Pflegeheim - für viele alte Menschen ist das keine Alptraumvorstellung sondern tägliche Realität. Eine aktuelle Studie zeigt aber: Fixierungen lassen sich vielfach vermeiden, ohne dass der Pflegealltag beeinträchtigt wird.

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Foto: AP, AP

Die umstrittenen Fixiergurte und Bettgitter für alte Menschen im Heim sind nach einer aktuellen Studie in vielen Fällen unnötig. Mit besserer Schulung der Mitarbeiter lasse sich die Zahl der sogenannten freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FEM) deutlich reduzieren, ohne das es zu mehr Stürzen oder Psychopharmaka-Verordnung komme, schreiben die Autoren.

Die Studie der Universitäten Witten/Herdecke und Hamburg wurde am Mittwoch in der renommierten Fachzeitschrift "Journal of the American Medical Association (JAMA)" veröffentlicht, wie die Universitäten mitteilten.

"Gitter sind pflegefachlich nicht gerechtfertigt"

"Gitter und Gurte sind nicht nur ethisch umstritten und sollen laut Gesetz das letzte Mittel der Wahl sein, sie sind auch pflegefachlich nicht gerechtfertigt. Und trotzdem werden sie regelmäßig in Pflegeheimen angewendet", kritisiert Gabriele Meyer, Pflegewissenschaftlerin der Universität Witten-Herdecke.

Alternativen seien Niederflurbetten oder Matratzen auf dem Boden, die Gitter überflüssig machen könnten. Hüftschutzhosen milderten die Verletzungsgefahr bei Stürzen. Sensormatten vor dem Bett könnten das Personal rechtzeitig auf unkontrolliertes Aufstehen und womöglich Entweichen von Bewohnern aufmerksam machen. "Es gibt keine Patentrezept, das muss individuell festgelegt werden."

Nach Schätzungen werden bundesweit jeden Tag rund 400.000 Menschen in Pflegeheimen mit Gurten an das Bett oder den Rollstuhl gefesselt oder mit Bettgittern am Aufstehen gehindert. Grund ist die Furcht vor Stürzen etwa bei Parkinson-Patienten.

Demente Menschen zeigen oft einen übergroßen Bewegungsdrang, verlassen die Einrichtungen und irren draußen herum. Langfristige Fixierungen müssen gerichtlich angeordnet werden, kurzfristige wie ein Bettgitter für eine Nacht nicht. Kritiker verweisen auf die Unfallgefahr durch die Gurte bis hin zu Selbststrangulierungen und den schnellen Muskelabbau durch die Zwangslage. Hinzu kommen die ethischen Probleme.

Pflegealltag ohne Zwang

Entscheidend sei es, die Haltung der Pflegekräfte zu verändern und deutlich zu machen, dass der Pflegealltag auch ohne Zwang und Einschränkung bewältigt werden kann, sagte die Pflege-Professorin.

Der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in Dortmund nannte die hohe Zahl der Fixierungen ein "Alarmsignal". "Es bedarf einer besseren Schulung der Mitarbeiter, absenkbarer Betten, einer modernen Sturzprophylaxe und dem Verzicht auf Psychopharmaka, um eine Würde wahrende Pflege in Deutschland zu gewährleisten", forderte er.

In der Studie waren jeweils 18 Pflegeheime in Nordrhein-Westfalen und Hamburg ein halbes Jahr miteinander verglichen worden. In einer Gruppe wurde das Personal mit einem Leitlinien-Programm intensiv auf Möglichkeiten hingewiesen, Fixierungen zu vermeiden. In der Vergleichsgruppe lief die Arbeit praktisch unverändert.

In der ersten Gruppe sei die Zahl der Freiheitseinschränkungen von 31,5 der Bewohner auf 22,6 Prozent zurückgegangen, ohne dass es mehr Stürze gab oder zusätzlich Medikamente verordnet werden mussten. In der Vergleichsgruppe blieb der Anteil unverändert.

"Diese Erkenntnisse sind sehr wertvoll auch für das gerichtliche Verfahren zur Genehmigung von Fixiergeräten, Bettgittern und anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen", sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU). Sie verwies auf den so genannten Werdenfelser Weg, der dazu beigetragen haben, in Pflegeheimen von Bayern die Zahl solcher Freiheitsbeschränkungen von 2010 auf 2011 um 14 Prozent zu reduzieren.

Dabei prüft ein Pool von Verfahrenspflegern, die eigene pflegerische Berufserfahrung und eine Rechstschulung haben, jeden Einzelfall. Wenn eine Fixierung zu vermeiden sei, "lehnt das Betreuungsgericht den Antrag auf Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen ab und sichert so das Pflegepersonal und die Angehörigen auch juristisch ab", erläuterte Merk.

(dpa)
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