Bangen um Therapie Schwerstkranker Engpässe bei Medikamenten in Deutschland

Düsseldorf · Immer wieder herrschen in Deutschland Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten. In der vergangenen Woche war das hochwirksame Leukämie-Medikament Daunoblastin nicht lieferbar. Ein Grippeimpfstoff kann nicht pünktlich geliefert werden - und die Liste ist noch länger.

Das sind die Gründe für Arzneimittelengpässe
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Foto: dapd, dapd

Aktuell sind es 36 Arzneimittel, die Thomas Preis, Pressesprecher des Apothekerverbandes Nordrhein, auch auf Rezept seinen Kunden nicht aushändigen kann. Es sind ein Cholesterinsenker, Blutdruckmittel, Cortisonsalbe, starke Schmerzmittel, Antibaby-Pillen, Antibiotika für Kinder oder Magenmittel, die in seiner Apotheke nicht zu bekommen sind. "Insgesamt können wir davon ausgehen, dass 50 bis 100 Medikamente nicht lieferbar sind", sagt Preis.

Lieferengpässe kennt auch der Leiter der Klinikapotheke am Lukaskrankenhaus in Neuss, Ulrich Quack: "Ich erinnere mich an einem Fall, in dem die nuklearmedizinische Untersuchung ausfallen musste, weil das Medikament für die Untersuchung nicht verfügbar war", schildert er. Der Patient habe so nur mit älteren Verfahren untersucht werden können. Bislang konnte Klinikapotheker Quack ansonsten ein alternatives Präparat — entweder Generika oder Medikamente einer älteren Generation — weitergeben, um die Behandlung der Patienten sicherzustellen. "Ich rechne aber nicht damit, dass diese Probleme abnehmen werden", fügt er hinzu.

Die Helios Kliniken, die auch in Krefeld Krankenhäuser betreiben, erklären, die Versorgung mit lebensnotwendigen, wichtigen Zytostatika sei seit Monaten instabil. Dringend gebraucht werden diese Präparate in der Krebstherapie und bei Autoimmunerkrankungen. Und auch in Düsseldorf ist man besorgt: "Im Uniklinikum gibt es zwar derzeit keine Versorgungsengpässe, doch ist für uns seit einiger Zeit der Aufwand, die lückenlose Versorgung sicher zu stellen, deutlich gestiegen", sagt die Sprecherin des Uni-Klinikums Susanne Dopheide.

Spürbar sind die Engpässe zudem in der hausärztlichen Praxis. Dr. Thomas Assmann vom Deutschen Hausärzteverband sieht in den Rabattverträgen, die zwischen Krankenkassen und Herstellern geschlossen werden, eine Gefahr. "Die billigsten Hersteller bekommenden Zuschlag. Sowohl die Qualität der Medikamente, als auch die Lagerhaltung lassen oft aufgrund ökonomischer Gesichtspunkte zu wünschen übrig", moniert der Lindlarer Hausarzt.

Ausweichen auf Medikamente älterer Generation

"Uns beunruhigt die Sequenz von Engpässen in den letzten eineinhalb Jahren", erklärt Prof. Dr. Bernhard Wörmann, der medizinische Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO). "Das betrifft uns als behandelnde Ärzte wie auch unsere Patienten — sowohl Kinder als auch Erwachsene — die auf die heilenden Medikamente angewiesen sind." Bleiben die Lieferungen der Hersteller aus, bleibt den Medizinern nichts anderes übrig, als auf ältere Ersatzmedikamente auszuweichen. Das tun zum Beispiel die Krebsärzte. "Bei Brust- und Eierstockkrebs gibt es ein älteres Medikament, das mehr Nebenwirkungen hat, weniger gut verträglich ist und zehn Prozent weniger aktiv ist", erklärt Wörmann. Schlechtere Heilungsraten seien für Schwerstkranke aber keine Alternative. "Bezogen auf den Gesamtmarkt mögen nicht lieferbare Arzneimittel eine zu vernachlässigende Größe sein. Für den Einzelnen ist es hingegen eine Katastrophe", gibt der Sprecher des Apothekerverbandes Nordrhein zu bedenken.

Die Ursache für die Engpässe liegt oft in der Herstellungs- und Lieferkette: Medikamente wie das Leukämie-Mittel Daunorubicin werden von den pharmazeutischen Unternehmen häufig nicht selbst hergestellt, sondern möglichst preiswert auf dem Weltmarkt eingekauft. "Die Lagerhaltung dieser Medikamente ist bei den pharmazeutischen Unternehmen aus Kostengründen häufig unzureichend", erklärt Prof. Dr. Gerhard Ehninger, der Vorsitzende der DGHO. Viele Arzneimittel und deren Wirkstoffe werden im Zuge der Globalisierung zunehmend weltweit — beispielsweise in China oder Indien — und nur noch an einem Standort hergestellt. Fällt im einzigen Herstellungsbetrieb eine Produktionsanlage aus oder der Hersteller stellt die Produktion eines Präparates ein, zeigt das sofort Konsequenzen: Das Medikament ist nicht lieferbar. Steige die Nachfrage nach einem bestimmten Wirkstoff, könne ein solches System nicht schnell genug auf die veränderten Bedingungen reagieren, sagt Onkologe Wörmann.

Kommerzielle Gründe heizen Situation an

"Darüber hinaus sind die Preise für bestimmte generische onkologische Wirkstoffe und Antibiotika in Deutschland sehr niedrig, so dass international tätige Firmen die Waren eher ins Ausland umleiten", teilt die Kliniksprecherin der Helios Kliniken, Natalie Erdmann mit.

"Ausschließlich kommerzielle Überlegungen führen hier zu der bisher nicht gekannten Situation, dass ein hoch wirksames Arzneimittel zur Leukämiebehandlung der üblichen Versorgungskette entzogen wird", sagt Prof. Irene Krämer, Vizepräsidentin des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA). "Wir Krankenhausapotheker halten dies für ein fatales Signal und fordern die Zulassungsbehörden in Deutschland und Europa auf, diese Entscheidung zu revidieren."

Hoffnung auf ein neues Gesetz zerschlägt sich im Bundesrat

Einig sind sich die Apotheker-Verbände allerdings nicht. Lieferengpässe gebe es hin und wieder, ließ der Geschäftsführer des Bundesverbandes klinik- und heimversorgender Apotheker (BVKA) Dr. Rötger von Dellingshausen wissen: "Von aktuell wachsenden Schwierigkeiten können wir aber nicht sprechen", zitiert ihn die "Pharmazeutische Zeitung". Auch das Bundesgesundheitsministerium sieht derzeit keinen Handlungsbedarf.

In den USA ist es in jüngster Vergangenheit zu Problemen bei der Versorgung mit Krebsmedikamenten gekommen. Deshalb hat die Obama-Regierung die Überwachungsmöglichkeiten in der Arzneimittelversorgung verändert. Ähnliches wollten die DGHO und die Arzneimittelkommission auch für Deutschland erreichen. Ein neuer Gesetzentwurf sah größere Handlungsspielräume für zuständige Behörden vor, damit im Ernstfall zur Vorbeugung oder Behandlung schwerer Krankheiten die Bereitstellung nötiger Arzneimittel kontinuierlich geregelt wäre.

Doch die betreffenden Absätze des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften wurden gestrichen. Nur in abgespeckter Form ging der Gesetzentwurf durch Bundestag und Bundesrat. Damit fehlen in Deutschland auch weiterhin Möglichkeiten, die Arzneimittelversorgung konstant sicherzustellen. "Der DGHO wäre das vor allem für den Pandemiefall wichtig gewesen", erklärt Tim Ladiges, Sprecher des Onkologenverbandes.

Die deutschen Onkologen rechnen deshalb damit, dass sich die Lage um Arzneiengpässe verschärfen wird. "Die Zahl der Krebspatienten steigt", sagt Prof. Dr. Bernhard Wörmann. Damit steige auch der Bedarf an Medikamenten.

(wat)
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